Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Muss Therese Schur nach 50 Jahren aus dem Haus?
Vorhaben Die 90-Jährige lebt in einem Gebäude, das die Gemeinde Gablingen verkaufen möchte. Noch gibt’s keinen Käufer
Nach 50 Jahren aus ihrer Wohnung ausziehen – darauf muss sich die 90-jährige Therese Schur einstellen. Denn die Gemeinde Gablingen will das Haus in der Flurstraße, in dem sie lebt, verkaufen. Es ist ein sehr unscheinbares Häuschen. Von der Flurstraße ist es fast nicht zu sehen, da es etwas zurückversetzt ist in ein ebenso unscheinbares Grundstück hinein, in dem sich offenbar niemand um Schmuck oder Bepflanzung bemüht.
Das Grundstück gehört der Gemeinde Gablingen – und diese trägt sich, wie es in einer Mitteilung im Amtsblatt der Gemeinde vorsichtig formuliert ist, „mit dem Gedanken“, das gemeindliche Grundstück zu veräußern. Bis Ende März sollen sich Interessenten im Rathaus melden.
In dem alten Gebäude, das modernen Wohnwünschen schon lange nicht mehr gerecht wird, sind jedoch für eine geringe Miete Bürger untergebracht. Zwei syrischen Flüchtlingen gewährt die Kommune dort eine Bleibe.
Aber vor allem für eine Bewohnerin würde ein Verkauf des Häuschens einen großen Einschnitt in ihr Leben bedeuten: Therese Schur, heuer 90 Jahre alt geworden. Sie wohnt seit 1960 in dem Haus. Bei dem Gedanken, jetzt nach allen Jahren doch noch ausziehen zu müssen, treibt es ihr rasch die Tränen in die Augen. Sie wischt sie aber schnell weg.
Seniorenheim? Nein, da wolle sie nicht hin, antwortet sie entschieden und klar. Und zu ihren beiden Schwestern in Welden könne sie auch nicht. Und eigene Kinder gibt es nicht. Von der Gemeinde Gablingen wurde Therese Schur vor Kurzem persönlich vom geplanten Hausverkauf unterrichtet, bestätigt die Bewohnerin.
Die Mitteilung im Amtsblatt überraschte und empörte einige Gablinger, darunter Beate Vogg. Schließlich kennt sie über ihre Schwester, die einen dort wohnenden jungen Flüchtling betreut, deren Situation.
Aus wirtschaftlicher Sicht sei der geplante Verkauf seitens der Gemeinde zwar nachvollziehbar, teilt Beate Vogg in einem Schreiben an unsere Zeitung mit. Nicht jedoch aus „sozialer, moralischer und christlicher Sicht“. Die derzeitigen Bewohner hätten auf dem freien Wohnungsmarkt fast keine Chance. Und der alten Frau könne ein Umzug nicht mehr zugemutet werden. Da in vielen Städten und Gemeinden neuer sozialer Wohnraum ein großes Thema ist, sei ihr die Entscheidung der Gemeinde Gablingen umso unverständlicher.
Gablingens Bürgermeister Karl Hörmann weist darauf hin, dass „das noch nicht spruchreif ist“– die Gemeinde trage sich mit dem Gedanken, das Haus zu verkaufen. Sie sei sich ihrer Verantwortung bewusst und werde sich um eine geeignete Lösung bemühen.
„Wir wollen keine sozialen Härten schaffen“, stellt der Bürgermeister klar. Mit einem etwaigen Bewerber werde man deshalb reden – dieser sei ja auch an die Mietverträge gebunden. Karl Hörmann kennt die Situation der Seniorin, er hat ihr selbst zu ihrem 90. Geburtstag gratuliert.
Derzeit kommt die in Welden geborene Frau in ihrer kleinen Wohnung noch zurecht – allerdings mit Hilfen. Zweimal am Tag schaut eine Pflegerin der Sozialstation vorbei. Die Mahlzeiten bezieht Therese Schur von „Essen auf Rädern“, die Einkäufe erledigt eine Gablingerin für die Seniorin. Zum Wohnungsputz hat sie vierzehntätig eine Hilfe, beschreibt die 90-Jährige ihren Alltag, der sich auf wenige Quadratmeter beschränkt.
Eine Hand kann Therese Schur aufgrund eines früheren Schlaganfalls kaum bewegen. Bei gutem Wetter setzt sie sich noch draußen vors Haus in eine Hütte, die wohl einmal Garage war – aber mehr ist nicht mehr möglich. Die Tageszeitung liegt auf dem Tisch – auf die tägliche Lektüre will die Gablingerin nicht verzichten. 1952 habe sie geheiratet, sei aber schon vorher in Gablingen „in Stellung“gewesen, erinnert sie sich, damals in einer Molkerei.
Ihr verstorbener Mann habe in Augsburg gearbeitet, mit ihm habe sie dann auch viele Jahre hier in der Flurstraße gewohnt – ein Ort, der ihr zur Heimat geworden ist und an dem sie auch bleiben will.
Zweimal am Tag kommt eine Pflegerin der Sozialstation