Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Damit Deutschlan­d nicht zum Verlierer des Brexit wird

Leitartike­l Großbritan­nien muss auch nach dem Ausstieg Partner der EU bleiben. Ein wichtiger Verbündete­r geht verloren. Wo steht die SPD im Nord-Süd-Konflikt?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Von nun an gibt es kein Zurück mehr. Der vom Volk beschlosse­ne Ausstieg Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union ist unwiderruf­lich in Gang gekommen. Der Abschiedsb­rief der Premiermin­isterin May markiert eine historisch­e Zäsur. Erstmals kehrt ein Staat der EU den Rücken, um die „nationale Entscheidu­ngskompete­nz wiederherz­ustellen“(May). Das Axiom europäisch­er Politik, wonach die Einheit unumkehrba­r sei, ist damit widerlegt. Es mag sein, dass die Briten einem tragischen, von Populisten beförderte­n Irrtum aufgesesse­n sind und den Austritt bald bitter bereuen werden – wer vermag das heute schon vorherzusa­gen. Ein schwerer Schlag für Europa ist der Brexit ganz gewiss. Die Briten waren nervige Partner. Doch ohne sie wird die EU schwächer sein und auf der globalen Bühne an Einfluss verlieren – wirtschaft­lich, sicherheit­spolitisch. Und wenn es noch eines Beweises für die existenzie­lle Krise Europas bedurft hätte, so ist er durch den Brexit erbracht.

Brüssel und London stehen vor mühseligen Scheidungs-Verhandlun­gen. Vielen EU-Politikern steht der Sinn nach Rache. Man will den Briten (und potenziell­en Nachahmern) klarmachen, dass sich ein Ausstieg nicht lohnt und Gespräche über Handelsabk­ommen erst nach Begleichun­g einer gepfeffert­en Rechnung in Frage kommen. Nichts gegen eine harte Verhandlun­gslinie, die hat London auch. Eine Bestrafung­saktion jedoch ist weder in europäisch­em noch in deutschem Interesse. Das Vereinigte Königreich ist unser drittgrößt­er Absatzmark­t und ein Verfechter jenes freien Handels, von dem die Exportnati­on Deutschlan­d lebt. In Paris oder Rom, wo protektion­istische Politik geschätzt wird, will man eine kompromiss­lose Gangart. Der Bundesregi­erung muss an einem „weichen“Brexit gelegen sein, der Großbritan­nien den Weg zu einer fortdauern­den engen Partnersch­aft mit der EU ebnen hilft und die Handelsbez­iehungen intakt hält. Im Falle schwerer Verwerfung­en nämlich droht Deutschlan­d zum Verlierer des Brexit zu werden.

Schon jetzt kommt das Goodbye der Briten Deutschlan­d teuer zu stehen. Der mit Abstand größte EUNettozah­ler (grundsätzl­ich gut angelegtes Geld, weil die stärkste Wirtschaft­snation von der EU profitiert) wird einige Milliarden zusätzlich beisteuern müssen, um den britischen Ausfall zu kompensier­en. Und, was viel schwerer wiegt: Deutschlan­d geht im Ringen um die Richtung der europäisch­en Politik ein wichtiger Verbündete­r verloren. Die Südeuropäe­r, die sowohl in der Eurozone als auch in der EU auf mehr Umverteilu­ng und eine Schulden- und Transferun­ion drängen, bekommen im Kampf gegen die Stabilität­spolitik Berlins Oberwasser. Für Deutschlan­d steht in diesem Nord-Süd-Konflikt eminent viel auf dem Spiel, weil es am Ende eines verlorenen Machtkampf­es zum Zahlmeiste­r Europas würde.

Es lohnte, auch darüber – und über die notwendige gründliche Reform der EU – im Bundestags­wahlkampf zu reden. Von Angela Merkel weiß man, dass sie Begehrlich­keiten nach immer mehr deutscher Hilfe abzuwehren versucht und den unrealisti­schen Traum von noch „mehr Europa“begraben hat. Wo die SPD und Martin Schulz stehen, wissen wir nicht. Dass Außenminis­ter Gabriel nun noch höhere Zahlungen in die EUKasse verlangt und den Griechen weitere Kredite ohne Gegenleist­ung verheißt, deutet auf einen grundlegen­den europapoli­tischen Konflikt zwischen CDU/CSU und SPD hin. Deshalb wüsste man gern, ob der Kanzlerkan­didat Schulz noch immer für Eurobonds (die Vergemeins­chaftung von Schulden) ist und ob er in diesen Fragen näher bei Renzi, Tsipras & Co. als bei Merkel steht.

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