Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die erste neue Siedlung seit 20 Jahren

Hintergrun­d Israels Regierung spricht von einer Ausnahme. US-Präsident Trump bat um Zurückhalt­ung

- VON WINFRIED ZÜFLE

Es waren keine schönen Bilder, die Anfang Februar aus Amona kamen: Polizisten räumten gewaltsam den von jüdischen Siedlern illegal auf palästinen­sischem Privatland errichtete­n Außenposte­n, während hinter den Sicherheit­skräften Bagger auffuhren und damit begannen, Häuser einzureiße­n. Andere Domizile wurden mit dem Kran auf Lastwagen gesetzt und weggefahre­n. Der Regierung war keine andere Wahl geblieben, als den Ort zu räumen: Sie musste ein Urteil des Obersten Gerichts umsetzen. Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu, der sonst lieber eine siedlerfre­undliche Politik betreibt, wurde vom schlechten Gewissen gepackt und versprach den Vertrieben­en umgehend Ersatz.

Den liefert die Regierung jetzt – was ihr in der internatio­nalen Presse böse Schlagzeil­en einbringt. Denn zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren entsteht mit amtlicher Genehmigun­g eine neue jüdische Siedlung im Westjordan­land. Dieses Gebiet, für das orthodoxe Juden gerne die biblischen Begriffe Judäa und Samaria verwenden, hat Israel 1967 im Sechs-Tage-Krieg besetzt.

Die 40 Familien, die aus Amona verjagt wurden, sollen jetzt laut Kabinettsb­eschluss nahe der jüdischen Siedlung Schilo, ebenfalls mitten im Westjordan­land, ihr Dorf auf einem Hügel neu errichten dürfen. Nach internatio­nalem Recht ist es keinem Staat erlaubt, auf okkupierte­m Gebiet eigene Bevölkerun­g anzusiedel­n. Israel hat diese Bestimmung bisher aber konsequent missachtet und damit den Friedenspr­ozess erschwert. Inzwischen leben 600000 israelisch­e Bürger im Westjordan­land und in dem von Israel annektiert­en Ostjerusal­em. Für diese Bewohner wurden 140 Siedlungen errichtet. Daneben entstanden rund 100 Außenposte­n, für die nicht einmal eine Genehmigun­g der israelisch­en Regierung vorlag. Die größte dieser wilden Siedlungen war das im Februar geräumte Amona. Nach einem langen Rechtsstre­it erhielten dort die palästinen­sischen Bauern endlich ihr Land zurück.

Die Regierung Netanjahu legt, wie israelisch­e Zeitungen gestern schrieben, großen Wert darauf, dass die neue Siedlung eine Ausnahme bleibt. Offenbar wurde dies in Geheimgesp­rächen mit der US-Regierung abgestimmt. Denn gleichzeit­ig kündigte die Regierung Netanjahu, die seit dem Amtsantrit­t Trumps den Bau mehrerer tausend Wohnungen in den besetzten Gebieten angekündig­t hat, eine neue Marschrout­e an: Künftig sollen Siedlungen möglichst nur innerhalb der bereits erfolgten Bebauung wachsen.

Der israelisch­e Regierungs­chef legt großen Wert auf gute Beziehunge­n zu US-Präsident Donald Trump. Nach den ständigen Auseinande­rsetzungen, die er mit dessen Vorgänger Barack Obama hatte, hoffte er zunächst, von Trump freie Hand für den Siedlungsb­au zu erhalten. Doch als Netanjahu Mitte Februar im Weißen Haus mit dem neuen US-Präsidente­n zusammentr­af, forderte dieser überrasche­nd die Israelis auf, sich beim Siedlungsb­au zurückzuha­lten. Offenbar hatte Trump nach einem Gespräch mit Jordaniens König Abdullah erkannt, welch großes Friedenshi­ndernis die Siedlungen darstellen.

Dafür hat Trump der israelisch­en Regierung in einem anderen Punkt Freiraum eröffnet: Sie müsse sich nicht länger an die Zwei-StaatenLös­ung halten, sondern solle einfach einen guten Deal mit den Palästinen­sern machen, sagte der Präsident. Darüber war und ist Netanjahu aber alles andere als glücklich. Denn wenn es zur Ein-Staat-Lösung im Nahen Osten kommen sollte, wenn also Israelis und Palästinen­ser nicht jeweils einen eigenen Staat erhalten, sondern in einem Staat zusammenle­ben würden, dann käme Israel nicht umhin, auch diesen Bürgern demokratis­che Rechte einzuräume­n. Dann könnte aber die demografis­che Entwicklun­g dafür sorgen, dass eines Tages die Palästinen­ser über die Mehrheit verfügen und die Israelis nicht mehr Herr im (bislang) eigenen Staat wären.

So liegt es immer noch im Interesse Israels, den Friedenspr­ozess nicht sterben zu lassen. Allerdings ist fraglich, ob die aktuelle „Lockerung“der Siedlungsp­olitik genügt, die Palästinen­ser an den Verhandlun­gstisch zurückzuho­len.

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Foto: Thomas Coex, afp Container, in denen jüdische Siedler im geräumten Amona lebten, sind bei Schilo zwischenge­lagert. Sie sollen einen neuen Standort erhalten.

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