Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn’s im Alltag zu laut wird
Aktionstag Wo kommt der Lärm her und wie wirkt er sich aus? Schwerhörigkeit ist nicht mehr nur eine Frage des Alters. Ohrenarzt und Hörakustiker erzählen von ihren Erfahrungen. Selbst in der Bibel richtete sich der Blick schon auf den Lärm
Eine Aislingerin prozessierte vor zwei Jahren gegen die örtliche Feuerwehr. Wegen des Lärms, den die Floriansjünger nicht beim Einsatz, sondern bei diversen Festivitäten spätabends verursacht haben sollen, sah sich die Frau in ihrer Gesundheit beeinträchtigt.
Heute ist in Deutschland der „Tag gegen den Lärm“, eine Aktion der Deutschen Gesellschaft für Akustik, mit der man sich dem europaweiten Aufruf zum „International Noise Awareness Day“anschließt. Dabei geht es darum, die Aufmerksamkeit auf die Ursachen von Lärm und seine Wirkungen zu lenken. Wohl aus gutem Grund, stellt doch der Lärm laut Umweltbundesamt (UBA) für den deutschen Bürger eine der am stärksten empfundenen Umweltbeeinträchtigungen dar. Laut UBA kann er auch krank machen. Aktuellen Schätzungen der Europäischen Umweltagentur zufolge sind auf dem Kontinent mehr als 125 Millionen Menschen Lärmpegeln ausgesetzt, die zu gesundheitlichen Problemen führen können.
Dass sie es nur zu oft tun, davon kann Dr. Axel Schertel einiges berichten. Der HNO-Spezialist aus Wertingen behandelt unter anderem akute Schäden nach einem krachenden Silvesterböller oder Menschen mit chronischen Lärmbeschwerden – verursacht durch die zu laute Arbeitsstelle. Bei ihm melden sich auch mal junge Menschen, die „ohne Ohrstöpsel zehnmal in der Disco waren und beim elften Mal dann Probleme bekommen.“Dabei weiß der Fachmann, dass die Stöpsel aus Plastik und Schaumgummi die Lärmeinwirkung um bis zu 30 Dezibel abmildern können: „Die Vorbeugung mithilfe eines Gehörschutzes ist enorm wichtig.“Zwar stuft er den üblichen Alltagslärm noch nicht als problematische Gefahrenquelle für den Menschen ein. Aber: „Die Leute reagieren dadurch mitunter gereizt, was die Gefahr von Herzund Kreislauferkrankungen erhöhen kann.“
Bei der Altersschwerhörigkeit, die laut Schertel „jedem zwischen 60 und 80 Jahren droht“, könnte auch eine andere Ursache als nur die Alte- rung verantwortlich sein: Wer glaubt, dass er etwas an den Ohren hat, könnte auch Opfer der täglichen und nächtlichen Geräusche um ihn herum sein. Davor warnt mit Simon Kammermeier ein erfahrener Hörakustikmeister und Kenner „der zahlreichen Schallereignisse, die auf uns niederprasseln und zum vorzeitigen Verschleiß des dafür vorgesehenen Organs führen.“Er sagt: „Lärmschwerhörigkeit ist eine Volkskrankheit.“Kammermeier führt zusammen mit seiner Schwester Claudia Kammermeier-Blessing seit Jahren ein international wirkendes Hörsysteme-Unternehmen, damit die Menschen die Welt besser verstehen können. Hörhilfen für den Neugeborenen wie den Greis: Weltweit sind die Produkte der Firma mit Firmensitz in Binswangen und Filialen in Wertingen und Meitingen gefragt. Dreiviertel aller Hörtests in ganz Deutschland stammen aus ihrem Haus. Sein Job, zu helfen, gibt Meister Simon Kammermeier zu verstehen, habe auch den Hintergrund, dass „unsere Ohren nicht für unser heutiges Leben angelegt sind, sondern in die Zeit des Neandertalers reichen, der noch nicht so quälend viele Töne aufnehmen musste.“Das gelte übrigens auch für die Augen, die keineswegs für das ganztägige Starren auf Displays vorgesehen seien.
Nicht ganz so weit zurückgehen mag Rupert Ostermayer. Was ein Zuviel an Geräuschen angeht, verweist der Stadtpfarrer von Wertingen gerne auf diverse Bibelstellen. So heißt es etwa in der Legende vom Kampf Davids gegen den Riesen Goliath: „Erst jetzt erhob sich mörderischer Lärm von den Philistern, Entsetzensschreie, als sie ihren Goliath fallen sahen, übertönt vom Jubel der Israeliten...“
Relativ ruhig und gelassen gibt sich Pfarrerin Ingrid Rehner von der evangelischen Bethlehemgemeinde Wertingen angesichts mancher Lärmprozessklagen gegen Kirchenläuten. Sie selbst musste solche „Gott sei Dank“noch nie erleben.
Ein Juraforum im Internet unterscheidet spitzfindig zwischen sakralem und weltlichem Geläut, wobei Letzteres vom Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung weniger geschützt und damit anfechtbar sei. Und so hört das Landratsamt zwar nicht so sehr bei den Gotteshäusern, dafür umso mehr bei den Gewerbebetrieben hin, ist das Amt hier doch als „Immissionsschutzbehörde“zuständig. Dort gehen Beschwerden über Lärm etwa bei neuen Anlagen und an den Straßen ein.
Mit nahezu 100 Fällen von „Ruhestörung“muss sich Dillingens Polizeiinspektion jedes Jahr beschäftigen. Polizeihauptmeister Gunther Hetz lässt allerdings durchblicken, dass sich die Anrufe von „lärmgeplagten“Bürgern oft als unbegründet erweisen: „Dann war’s halt bloß der kleine Hund vom Nachbarn“, erklärt der Beamte und verweist darauf, dass die Meldungen nicht zugenommen hätten.
Dagegen berichtet Apotheker Josef Stuhler von Lärmproblemen der ganz besonderen Art, die der Inhaber eines Wertinger Geschäfts und einer Dependance in Thierhaupten mit ganz speziellen Mitteln zu lösen hilft: „Häufig meldet sich der schnarchende Teil des Ehepaares, dem ich dann einen Ohrstöpsel zum Weitergeben verkaufe.“