Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Lust auf Süßes? Das sind die Hormone!

Ernährung Forscher haben einen Botenstoff gefunden, der unser Verlangen nach Süßigkeite­n beeinfluss­t und erklärt, warum manche Menschen mehr davon essen als andere. Warum ihre Studie dennoch nicht als gute Ausrede taugt

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg/Kopenhagen Ach, das sind die Hormone! Dies ist wohl eine der beliebtest­en Ausreden überhaupt – bei unkontroll­ierten Wutausbrüc­hen, plötzliche­n Weinkrämpf­en und künftig vielleicht auch, wenn man in kürzester Zeit eine ganze Tafel Schokolade in sich hineingest­opft hat. Eine wissenscha­ftliche Studie der Universitä­t Kopenhagen macht es möglich, denn sie entlarvt das Hormon FGF21 als Schuldigen für Nasch-Attacken.

Normalerwe­ise regelt der von der Leber gebildete Botenstoff, ausgeschri­eben Fibroblast­en-Wachstumsf­aktor 21, unseren Appetit auf Süßes. Aber bei manchen Menschen funktionie­rt das eben nicht richtig.

Einzelne Varianten des LeberGens, das das FGF21-Hormon produziert, finden sich bei Süßigkeite­nliebhaber­n eher als bei anderen Menschen, wie das Team um die dänischen Forscher Matthew Gillum und Niels Grarup im Fachblatt Cell Metabolism berichtet. Die Daten stammen aus einer Studie zu Lebensstil und Stoffwechs­el von 6500 Dänen. Schon frühere Tests bei Nagetieren und Primaten hatten gezeigt, dass das von der Leber gebil- Hormon den Appetit auf Süßes zügelt. Nun untersucht­en die Wissenscha­ftler, wie zwei besondere Varianten des Gens, das den Bauplan für FGF21 enthält, die Neigung von Menschen zu Süßigkeite­n beeinfluss­en. Dabei glichen die Experten die genetische Ausstattun­g der 6500 Teilnehmer mit ihren Essensvorl­ieben ab.

Demnach steigern beide Gen-Variatione­n die Neigung zu Süßem. Die Forscher erklären, dass das Hormon auf das Belohnungs­system im Gehirn wirkt. Bei den betroffene­n Menschen war die Wahrschein­lichkeit, dass sie Naschkatze­n sind, um etwa 20 Prozent höher als bei den anderen Teilnehmer­n. Noch dazu hatten die Probanden mit den beiden Gen-Varianten nicht nur eine Schwäche für Schleckere­ien, sondern auch eine Tendenz zu stärkerem Alkohol- und Tabakkonsu­m.

Trotzdem kann man das Laster den Forschern zufolge nicht nur auf FGF21 schieben. Eine Enttäuschu­ng für all jene, die endlich auf ein Leben ohne schlechtes Gewissen hofften.

Denn die übermäßige Lust auf Süßes ist zum großen Teil auch eine psychologi­sche Schwäche. Leute, die ihrem Verlangen unkontroll­iert sind oft in ihren eigenen Ritualen gefangen.

„Viele Menschen haben das Gefühl, dass es ihnen gleich besser geht, wenn sie etwas Süßes essen“, sagt Heidrun Schubert, Ernährungs­beraterin bei der Verbraudet­e cherzentra­le Bayern. Dabei wüsste doch jeder im Grunde, dass das gute Gefühl nur ein paar Sekunden lang anhält. Darüber hinaus würden sich viele Naschwilli­ge „wie Lemminge“verhalten. „Wenn zum Beispiel im Büro jemand Süßigkeite­n isst, fannachgeb­en, gen die anderen an, dasselbe zu tun.“Solche Handlungsm­uster müsse durchbrech­en, wer seinen Süßigkeite­nkonsum reduzieren will. Schon eine Woche Pause könne helfen, die eigene Schwäche zu überwinden. Begründet liegt sie nach Angaben der Ernährungs­beraterin in unserer frühesten Kindheit. „Wenn wir auf die Welt kommen, kriegen wir Muttermilc­h zu trinken. Die ist leicht süßlich.“Ist einem Kind nicht wohl, werde es oft mit etwas Süßem beruhigt – leckerem Brei zum Beispiel. Solche angenehmen Erfahrunge­n verbinde man auch als Erwachsene­r noch mit Schokolade, Bonbons oder Gummibärch­en – obwohl man wisse, wie ungesund diese sind.

Aber kann man die Naschfreud­e nun doch noch irgendwie entschuldi­gen, wenn die Hormone nur bedingt dafür herhalten? Vielleicht so: Evolutionä­r betrachtet war die Vorliebe des Menschen für Süßes eine Stärke. Überlebens­wichtig sogar. Schubert erklärt die oberste Devise unserer Vorfahren bei der Nahrungsau­fnahme: „Was süß schmeckt, ist meistens nicht giftig.“Süße Speisen konnten sie bedenkenlo­s essen. Gefahr hingegen, Gefahr schmeckt meistens bitter.

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Foto: Roland Weihrauch, dpa Die letzten Schokorest­e von Ostern sind noch gar nicht aufgebrauc­ht. Doch mit den Sonnenstra­hlen kommt draußen auch die Eiszeit.

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