Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die verordnete Harmonie
Gesellschaft Der Gersthofer Moscheeverein gibt sich offen. Gespräche über Politik sind nicht erlaubt. Und wie passt der Imam in dieses Bild?
Kermes in der Eyüp-Sultan-Moschee Gersthofen. Im Großzelt ist Plaudern, Essen, Zusammensitzen angesagt. „Als wir vor 17 Jahren mit einer eintägigen Kermes anfingen, kamen vielleicht zehn Personen pro Tag. Jetzt kommen jeden Tag 300“, freut sich der Vorsitzende des Trägervereins DITIB Türkisch-Islamische Gemeinde zu Gersthofen, Nazir Kiliç.
Der Verein mit seinen 330 Mitgliedern expandiert: Auf dem Grundstück, das direkt an die meterhohen Schallmauern der oben rauschenden A8 grenzt, steht neben der Moschee jetzt ein dreistöckiger Neubau. Die Investitionskosten von 1,3 Millionen Euro finanziert die Gemeinde über einen Kredit.
Seminar-, Aufenthalts- und Klassenräume für Korankurse und Bildungsveranstaltungen sind im Erdgeschoss des Backsteinbaus schon erkennbar. Auch der Keller mit einem großen Saal wird vor allem der Jugendarbeit dienen. Im ersten Stock entstehen sechs kleine Apartments für bis zu 14 Studierende oder Azubis. Wenn Zimmer frei sind, könnten sich auch Mitglieder auswärtiger Gemeinden des deutschtürkischen Dachverbandes DITIB (Diyanet Isleri Türk Islam Birligi, Türkisch-Islamische Union für religiöse Angelegenheiten) bewerben, wenn sie in Augsburg studieren.
Im Dachgeschoss ist die Wohnung für den Vorbeter, der vom türkischen Religionsministerium entsandt wird. Im Gästezimmer kön- nen Dozenten oder durchreisende offizielle Vertreter des Religionsministeriums übernachten. Oder auch ein auswärtiger Koch, der während des Ramadans das nächtliche Essen vorbereitet. „Zum Fastenbrechen kommen leicht über 1000 Gäste täglich. Das könnten wir allein gar nicht stemmen“, erklärt Kiliç.
Über das Referendum vor zwei Wochen und die Krise zwischen und der Türkei wollen die Männer nicht sprechen. „Dieses hier ist ein staatliches Gotteshaus. Zu uns kommen Aleviten, Sunniten, Jeziden – alle sind gleich. Politik erlaube ich hier nicht“, sagt Kiliç laut und bestimmt. „Die Gülen-Leute waren früher auch hier, haben sich aber jetzt von uns abgewendet.“In aufgeheizter Stimmung waren im vergangenen Sommer die Scheiben des gegenüberliegenden Nachhilfeinstituts des Augsburger Vereins Frohsinn zu Bruch gegangen, der zur deutschen Gülen-Bewegung gehört.
Die Bewegung um den Prediger Fethullah Gülen soll den Putschversuch in der Türkei im letzten Sommer angezettelt haben. Gülen-Anhänger werden seither auch in Gersthofen bespitzelt, eingeschüchDeutschland tert oder bedroht. Das geht trotz des Maulkorbs von Kiliç auch an der Eyüb-Sultan-Moschee nicht spurlos vorüber. Der Prediger Serkan Dursun hatte auf einer Augsburger Demo zwei Tage nach dem Putschversuch eine sechsminütige aufwühlende Rede gehalten. Ein Handyvideo der Ansprache auf dem Rathausplatz wurde der Augsburger Allgemeinen zugespielt. Mit eingängigen Slogans schwört Dursun die „Kinder der Nation“, auf Einheit, Vaterland und Volk ein. „Mögen die Hände, die nach dem Volk griffen, zerbrechen!“Die Menge skandiert: „Wir wollen die Todesstrafe!“Der Imam ruft mit gereckter Faust: „Allahu akbar!“Gott ist groß. Die Demonstranten fallen ein. Dursun ist wie jeder Geistliche der DITIB-Gemeinden Deutschlands ein Beamter des türkischen Staates.
Der Prediger wurde wegen seines Auftritts auf dem Rathausplatz angezeigt. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren jedoch ein, weil eine direkte Beleidigung oder Bedrohung des Frohsinn-Geschäftsführers Mustafa Güngör nicht nachgewiesen werden konnte.
Die Fragen bleiben: Warum peitschte er die ohnehin aufgebrachte Menge weiter auf und sind solch nationalistische Töne für einen Geistlichen, der für den Koranunterricht der Moschee zuständig ist, angemessen? Warum hat er nicht deeskaliert? Darauf gibt es auch auf der Kermes keine Antwort. Zwar sei der Prediger da, hieß es auf mehrmaliges Nachhaken. Er habe jedoch Gäste und sei nicht zu sprechen.