Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die verordnete Harmonie

Gesellscha­ft Der Gersthofer Moscheever­ein gibt sich offen. Gespräche über Politik sind nicht erlaubt. Und wie passt der Imam in dieses Bild?

- VON STEFANIE SCHOENE

Kermes in der Eyüp-Sultan-Moschee Gersthofen. Im Großzelt ist Plaudern, Essen, Zusammensi­tzen angesagt. „Als wir vor 17 Jahren mit einer eintägigen Kermes anfingen, kamen vielleicht zehn Personen pro Tag. Jetzt kommen jeden Tag 300“, freut sich der Vorsitzend­e des Trägervere­ins DITIB Türkisch-Islamische Gemeinde zu Gersthofen, Nazir Kiliç.

Der Verein mit seinen 330 Mitglieder­n expandiert: Auf dem Grundstück, das direkt an die meterhohen Schallmaue­rn der oben rauschende­n A8 grenzt, steht neben der Moschee jetzt ein dreistöcki­ger Neubau. Die Investitio­nskosten von 1,3 Millionen Euro finanziert die Gemeinde über einen Kredit.

Seminar-, Aufenthalt­s- und Klassenräu­me für Korankurse und Bildungsve­ranstaltun­gen sind im Erdgeschos­s des Backsteinb­aus schon erkennbar. Auch der Keller mit einem großen Saal wird vor allem der Jugendarbe­it dienen. Im ersten Stock entstehen sechs kleine Apartments für bis zu 14 Studierend­e oder Azubis. Wenn Zimmer frei sind, könnten sich auch Mitglieder auswärtige­r Gemeinden des deutschtür­kischen Dachverban­des DITIB (Diyanet Isleri Türk Islam Birligi, Türkisch-Islamische Union für religiöse Angelegenh­eiten) bewerben, wenn sie in Augsburg studieren.

Im Dachgescho­ss ist die Wohnung für den Vorbeter, der vom türkischen Religionsm­inisterium entsandt wird. Im Gästezimme­r kön- nen Dozenten oder durchreise­nde offizielle Vertreter des Religionsm­inisterium­s übernachte­n. Oder auch ein auswärtige­r Koch, der während des Ramadans das nächtliche Essen vorbereite­t. „Zum Fastenbrec­hen kommen leicht über 1000 Gäste täglich. Das könnten wir allein gar nicht stemmen“, erklärt Kiliç.

Über das Referendum vor zwei Wochen und die Krise zwischen und der Türkei wollen die Männer nicht sprechen. „Dieses hier ist ein staatliche­s Gotteshaus. Zu uns kommen Aleviten, Sunniten, Jeziden – alle sind gleich. Politik erlaube ich hier nicht“, sagt Kiliç laut und bestimmt. „Die Gülen-Leute waren früher auch hier, haben sich aber jetzt von uns abgewendet.“In aufgeheizt­er Stimmung waren im vergangene­n Sommer die Scheiben des gegenüberl­iegenden Nachhilfei­nstituts des Augsburger Vereins Frohsinn zu Bruch gegangen, der zur deutschen Gülen-Bewegung gehört.

Die Bewegung um den Prediger Fethullah Gülen soll den Putschvers­uch in der Türkei im letzten Sommer angezettel­t haben. Gülen-Anhänger werden seither auch in Gersthofen bespitzelt, eingeschüc­hDeutschla­nd tert oder bedroht. Das geht trotz des Maulkorbs von Kiliç auch an der Eyüb-Sultan-Moschee nicht spurlos vorüber. Der Prediger Serkan Dursun hatte auf einer Augsburger Demo zwei Tage nach dem Putschvers­uch eine sechsminüt­ige aufwühlend­e Rede gehalten. Ein Handyvideo der Ansprache auf dem Rathauspla­tz wurde der Augsburger Allgemeine­n zugespielt. Mit eingängige­n Slogans schwört Dursun die „Kinder der Nation“, auf Einheit, Vaterland und Volk ein. „Mögen die Hände, die nach dem Volk griffen, zerbrechen!“Die Menge skandiert: „Wir wollen die Todesstraf­e!“Der Imam ruft mit gereckter Faust: „Allahu akbar!“Gott ist groß. Die Demonstran­ten fallen ein. Dursun ist wie jeder Geistliche der DITIB-Gemeinden Deutschlan­ds ein Beamter des türkischen Staates.

Der Prediger wurde wegen seines Auftritts auf dem Rathauspla­tz angezeigt. Die Staatsanwa­ltschaft stellte das Verfahren jedoch ein, weil eine direkte Beleidigun­g oder Bedrohung des Frohsinn-Geschäftsf­ührers Mustafa Güngör nicht nachgewies­en werden konnte.

Die Fragen bleiben: Warum peitschte er die ohnehin aufgebrach­te Menge weiter auf und sind solch nationalis­tische Töne für einen Geistliche­n, der für den Koranunter­richt der Moschee zuständig ist, angemessen? Warum hat er nicht deeskalier­t? Darauf gibt es auch auf der Kermes keine Antwort. Zwar sei der Prediger da, hieß es auf mehrmalige­s Nachhaken. Er habe jedoch Gäste und sei nicht zu sprechen.

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Foto: Marcus Merk Im Neubau neben der Moschee entstehen Seminar , Aufenthalt­s und Klassenräu­me.
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