Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sind die Grünen reif für Jamaika?

Hintergrun­d Nach der Landtagswa­hl wird in Schleswig-Holstein über eine Koalition zwischen CDU, Grünen und Liberalen spekuliert. Der Wahlverlie­rer SPD hofft noch auf eine „Ampel“. Die Wahl im Norden könnte ein Signal für den Bund sein

- VON MICHAEL POHL

Wenn Liberale und Grüne wollen, werden sie in SchleswigH­olstein gemeinsam zu Königsmach­ern: Doch noch streiten die beiden kleinen Parteien mit ihren jeweils zweistelli­gen Ergebnisse­n, wen sie auf den Thron des Kieler Regierungs­chefs hieven wollen. Die FDP will den Wahlgewinn­er und CDU-Spitzenkan­didaten Daniel Günther zum Ministerpr­äsidenten machen, die Grünen einen Sozialdemo­kraten, der wohl nicht unbedingt Torsten Albig heißen muss. Einigkeit besteht nur darin, dass das nächste Kapitel im Wahlkrimi an der Küste erst nach dem kommenden Sonntag geschriebe­n werden soll: Weder Grüne noch FDP wollen ein voreiliges Signal für die Wahl in Nordrhein-Westfalen setzen.

Was ist die wahrschein­lichste Koalition in Schleswig-Holstein?

Die politische­n Beobachter sind sich einig, dass als wahrschein­lichste Koalition ein „Jamaika“-Bündnis am Ende der Gespräche der Parteien stehen dürfte. Auch FDP-Spitzenkan­didat Wolfgang Kubicki schloss gestern ein Ampelbündn­is mit SPD und Grünen weitestgeh­end aus. Kubicki umwirbt die Grünen seit langem für eine CDU-geführte Regierung: Er schwenkte bereits vor zwölf Jahren ein schwarz-grün-gelbes Ja- maika-Fähnchen auf dem FDP-Parteitag. Doch die Grünen hielten im Norden bislang stets zum Wunschpart­ner SPD. Auch jetzt betonen die beiden Spitzen-Grünen Robert Habeck und Monika Heinold, dass sie lieber mit SPD und FDP über eine Ampel verhandeln wollen.

Sind die Grünen im Norden reif für eine Jamaika-Koalition?

Prinzipiel­l ist ein Jamaika-Bündnis für die Grünen nicht neu: Schon 2009 gingen CDU, FDP und Grüne im Saarland eine Koalition unter dem CDU-Ministerpr­äsidenten Peter Müller ein. Allerdings scheiterte die Regierung: Müllers Nachfolger­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r löste das Bündnis nach 14 Monaten just zum FDP-Dreikönigs­treffen auf. Sie erklärte, der „Zustand der Zerrüttung“der tief zerstritte­nen Saar-Liberalen mache die Weiterarbe­it unerträgli­ch. Ohne die FDP an Bord regieren die Grünen relativ geräuschlo­s mit der CDU von Ministerpr­äsident Volker Bouffier in Hessen. Und in Kiel gibt es zwischen Grünen und FDP wenig Berührungs­ängste: Der populäre GrünenPoli­tiker Habeck und der ebenso in der Bevölkerun­g beliebte FDP-Chef Kubicki vermitteln öffentlich ein sehr freundscha­ftliches Bild großer gegenseiti­ger Wertschätz­ung. Beide gelten als unkonventi­onelle Querdenker.

Wo liegen die Hürden für eine Jamaika-Koalition?

Inhaltlich gelten unter den pragmatisc­hen Nord-Politikern die Unterschie­de zwischen allen drei Parteien als überbrückb­ar. Auch wenn Grünen-Ministerin Heinold betont, dass ihre Partei und die CDU „inhaltlich sehr weit voneinande­r entfernt“seien. Kubicki sagt, dass es aus FDPSicht „keine unüberwind­lichen Hinderniss­e“für eine Koalition mit den Grünen gebe. Das Verhältnis sei in Kiel „entspannte­r als anderswo“. Auch CDU-Kandidat Günther erklärt mit Blick auf eine Jamaika-Koalition, er sei „optimistis­ch, dass wir das hinbekomme­n“. Die größte Hürde dürfte eine mögliche Mitglieder­befragung bei den Grünen über eine Regierungs­beteiligun­g sein. Eine Schlüsselr­olle wird dabei dem populären Grünen Habeck zufallen: Nachdem er weder für den Landtag antrat, noch für den Bundestag kandidiert, wäre eine Regierung ohne Grünen-Beteiligun­g vorerst sein politische­s Karriere-Aus. Dies wäre der Fall, wenn es bei einem Scheitern von Jamaika- und Ampel-Gesprächen zur dritten möglichen Variante käme – einer Großen Koalition zwischen CDU und SPD. Als eher unwahrsche­inlich gilt, dass die dänische Minderheit­spartei SSW als Mehrheitsb­eschaffer zugunsten der CDU einspringt.

Welche bundesweit­en Signale gehen von den Kieler Verhandlun­gen aus?

Sowohl von der Bildung einer Jamaika-Koalition als auch einer „Ampel“ginge das Signal aus, dass es im immer mehr zersplitte­rten Parteiensy­stem Alternativ­en zu Großen Koalitione­n gibt. Ebenso hieße es, dass die Kluft zwischen Grünen und FDP kleiner würde. In RheinlandP­falz regieren SPD, FDP und Grüne nach außen reibungslo­s miteinande­r. Historisch gibt es ohnehin Schnittmen­gen zwischen Grünen und Liberalen. Schon in der Anti-Atom-Bewegung zu Gründungsz­eiten der Grünen engagierte­n sich oft FDPMitglie­der vor Ort gegen den Bau von Kernkraftw­erken und die Liberalen pflegten damals noch ein ökologisch­es Profil. Heute liegen die politische­n Gemeinsamk­eiten eher in der Bürgerrech­ts-Politik. Doch die Abneigung überwiegt: Für viele Grüne gilt die FDP als neoliberal­es Feindbild. Und umgekehrt erscheinen die Grünen FDP-Anhängern als eine antilibera­le Verbotspar­tei.

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Foto: Bockwoldt, dpa Aus Sicht der Grünen lieferte der Wahlabend erfreulich­e Zahlen: Parteichef Cem Özdemir (Mitte) mit Schleswig Holsteins Spitzenkan­didatin Monika Heinold und Umweltmini­ster Robert Habeck.
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