Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Arbeiten im Krisengebiet
Porträt Die Augsburgerin Jeanette Züfle ist für den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen tätig. Ihr Beruf hat sie in den Kongo, nach Liberia und Pakistan geführt. Was sie seit einem Jahr in Syrien macht
Jeanette Züfle kommt gerade nur alle zwei, drei Monate nach Augsburg. Ihr Aufenthalt ist stets von kurzer Dauer: Sie besucht ihre Mutter und Freunde und genießt es, durch die friedliche Stadt zu schlendern. In dem Land, in dem die Augsburgerin derzeit arbeitet, ist an Frieden gerade nicht zu denken. Jeanette Züfle arbeitet in Syrien. Von der Hauptstadt Damaskus aus kümmert sie sich um die innerhalb des Landes vertriebenen Menschen.
Nur noch rund 13 Millionen Menschen leben in dem durch kriegerische Auseinandersetzungen gebeutelten Land. 6,3 Millionen von ihnen gelten als intern Vertriebene: Sie können nicht in ihre Häuser und Wohnungen zurück, weil die Gegend besetzt oder ihr Heim zerstört ist. Jeanette Züfle leitet in Syrien die Abteilung Protection, also Schutz, des UNHCR, des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Er soll die Menschenrechte von Flüchtlingen und innerhalb eines Landes vertriebenen Menschen schützen. Kein leichtes Unterfangen für die 50-Jährige. „Die Situation in Syrien ändert sich alle paar Tage“, sagt sie. „Es ist ein weniger stabiles Arbeitsumfeld.“Dabei hat Jeanette Züfle schon viele instabile Arbeitsumfelder kennengelernt. Seit 1996 ist sie für die Einrichtung tätig, die 1950 gegründet wurde, weltweit als Hüter der Genfer Flüchtlingskonvention auftritt und deren Einhaltung zum Wohl von Menschen auf der Flucht überwacht.
Im Jahr 2000 schult sie staatliche Mitarbeiter im Tschad in Zentralafrika, wie sie Flüchtlinge richtig registrieren. „Damals kamen viele Menschen aus dem Kongo und Sudan in den Tschad, um dort Asyl zu bekommen“, erzählt sie. „Ich habe ihnen die gesetzlichen Grundlagen nähergebracht, erklärt, wie eine Anhörung funktioniert, wie diese dokumentiert wird, wie die Glaubwürdigkeit von Gesprächspartnern eingeschätzt werden kann.“Zwei Jahre später verbringt sie einige Monate in Kroatien, um der Regierung des damaligen EU-Kandidaten Hilfestellung in Asyl- und Flüchtlingsfragen zu geben. „Kroatien war damals nicht mehr Fluchtland, sondern Zielland von Flüchtlingen. Ich habe den Mitarbeitern die Richtlinien des EU-Rechts nähergebracht.“
Im afrikanischen Liberia hilft sie ein Jahr später bei der Errichtung
von Flüchtlingscamps und bei der Erstaufnahme von geflüchteten Menschen aus der Elfenbeinküste. „Es waren schwierige Umstände, weil kriegerische Auseinandersetzungen herrschten und es viele Übergriffe auf Flüchtlinge gab“, sagt sie. „Der UNHCR fungiert in solchen Situationen als Brücke und kümmert sich um die Flüchtlinge, bis das Land selber in der Lage dazu ist.“So lange könne oft nicht gewartet werden. Diese drei vergleichsweise kurzen Aufenthalte waren für sie ein „Testspiel“, das ihr gefallen hat. Ihr sei klar geworden, „dass ich mit dieser Arbeit gut klarkomme. Ich habe mich weiter auf internationale Posten beworben“.
Dass ihre Jobs sie einmal in Krisengebiete führen könnte, begriff
die Augsburgerin in ihrer Studienzeit.
Nach dem Abitur am Jakob-Fugger-Gymnasium studierte sie Jura in Augsburg, Tübingen und München. Während ihres Studiums schloss sie sich der Menschenrechtsorganisation Amnesty International an und unterstützte die Augsburger Gruppe zum Thema Asylberatung. „Das war 1992. Asyl war nach dem Mauerfall ein riesiges Thema in Deutschland. Es kamen viele Flüchtlinge aus dem Balkan und ich wollte selber beurteilen können, was in den Zeitungen geschrieben wurde“, erzählt sie.
In diesen Jahren stellt sie fest: Sie will auch beruflich nach dem 2. Staatsexamen in diesem Bereich tätig sein und bewirbt sich 1996 als
Rechtsberaterin im deutschen Büro in Nürnberg. Seither sind viele Jahre vergangen. Jahre, in denen Jeanette Züfle in Zelten, Lehmhütten oder Containern gewohnt hat, um in Krisenlagen vor Ort zu helfen. Etwa mitten im Regenwald, wo sie die Unterbringung und Erfassung von 25 000 Flüchtlingen, die aus der Demokratischen Republik Kongo geflohen waren, unterstützt. „Es gab 34 größere Siedlungen, die am Laufen gehalten werden mussten. Später wurde die freiwillige Rückkehr über den Fluss Ubangi organisiert. Das war ein riesiger logistischer Aufwand, die Boote wurden teilweise vor Ort gebaut.“
Nach weiteren Stationen in Liberia, in Genf, wo sie die rechte Hand der Direktorin des Europabüros des UNHCR war, und Pakistan ging es im vergangenen Jahr nach Syrien. Jeanette Züfle lebt dort in einem Hotel in Damaskus, wo alle Mitarbeiter von Hilfsorganisationen untergebracht sind. „Das konnten wir uns nicht aussuchen. Das muss so sein, damit unsere Sicherheit gewährleistet ist.“Die Bandbreite, der in Syrien laufenden Programme des UNHCR ist riesig, Hilfe wird an allen Ecken und Enden benötigt. Jeanette Züfle koordiniert Rechtshilfe. Die Bürger benötigen Dokumente, die durch Flucht und Krieg verloren oder zerstört wurden.
Oftmals gibt es auch keine Ämter mehr, auf denen ein neues Dokument einfach beantragt werden kann. „Das ist dramatisch in einem Land, wo es überall Checkpoints gibt“, erzählt sie. „Im Notfall können Menschen ohne Pass nicht flüchten und haben keinen Zugang zu einem anderen Gebiet.“Sie bieten psychologische Hilfen für traumatisierte Menschen und Opfer von sexualisierter Gewalt an, Aufholklassen für Kinder, die aufgrund von Kinderarbeit nicht mehr am Unterricht teilnehmen konnten. Sie mobilisieren Menschen mit kleinen Projekten, um Hilfe zur Selbsthilfe leisten zu können, verteilen Hilfsgüter, wie Matratzen, Decken, Plastikplanen oder Küchenutensilien und stiften Türen und Fenster, damit die Bevölkerung wieder in ihre zerstörten Wohnungen und Häuser ziehen kann.
Mit Interesse verfolgt Jeanette Züfle in Syrien die Geschehnisse in ihrer Heimat. Es hat sie berührt, wie großzügig Deutschland Flüchtlinge aufgenommen hat. „Natürlich ist es nicht einfach, aber ich habe ein gutes Gefühl“, sagt sie. Fast alle Menschen, die sie in Augsburg kennt, engagieren sich in der Flüchtlingsarbeit. Dieses Engagement beeindruckt sie sehr.
Nur wenige Tage dauert ihr Aufenthalt in Augsburg. Sie hat ihn genutzt, um anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Flüchtlingsinitiative „Tür an Tür“über ihre Arbeit zu sprechen. Ansonsten erfreut sie sich an den sonnigen Tagen. „Hier ist alles fußläufig erreichbar, das ist fantastisch“, sagt sie. „Das fehlt mir in Damaskus.“