Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Schicksale hinter Steinen
Sucht Die Zahl der Menschen, die in Augsburg an den Folgen ihres Drogenkonums sterben, war zuletzt so hoch wie seit fast 20 Jahren nicht. An einem besonderen Platz in der Innenstadt wird an sie erinnert. Ein Betroffener erzählt
Wenn man Rudolf fragt, welche Wünsche und Ziele er hat, fallen ihm spontan zwei Sachen ein. Auf jeden Fall noch einmal ans Meer, sagt er, das wäre schön. Und dann will er langfristig weg vom Methadon, dem Drogenersatzstoff, mit dem er seit zehn Jahren behandelt wird. Rudolf, der eigentlich anders heißt, hat nahezu sein ganzes Leben lang mit seiner Drogensucht gekämpft. In der achten Klassen nahm er aus Neugierde Cannabis, so fing es an, mit 17 dann LSD.
Später Heroin. Heute ist Rudolf 50 Jahre alt, er hat vieles erlebt. Er hat seinen Hauptschulabschluss gemacht und eine Bäckerlehre angefangen. Abgeschlossen hat er sie nicht. Er war im Gefängnis, er hat auf der Straße gelebt. Es gab Phasen, da war er clean. Er machte Therapien, die ihm durchaus halfen. Doch immer wieder hatte er auch Rückfälle. „Die Frau war weg, da fing es wieder an“, sagt er.
Rudolf sitzt an diesem Tag an einem Tisch im Kontaktladen der Drogenhilfe, einer Rückzugsmöglichkeit für Drogenabhängige. Streetworker betreuen hier Suchtkranke, es gibt Freizeitangebote, Beratung, Kaffee, Unterstützung bei Behördenangelegenheiten. Es gibt, draußen vor dem Haus, auch ein Steinbeet, um das sich Rudolf kümmert, auf jedem der großen Steine steht ein Vorname. Es sind Namen der Menschen, die in Augsburg an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben sind. Rudolf kannte die meisten von ihnen.
Im vergangenen Jahr kamen viele Steine dazu, mehr als sonst. 2016 war das Jahr, in dem im Großraum Augsburg so viele Menschen an illegalen Rauschmitteln gestorben sind wie seit fast 20 Jahren nicht. „Drogentote“heißen sie in offiziellen Statistiken, im vergangenen Jahr waren es im Bereich des Polizeipräsidiums 42, die Mehrheit in Augsburg. Heuer starben schwabenweit nach Auskunft der Polizei bislang sechs Menschen an ihrem Drogenkonsum, fünf davon in Augsburg.
Fachleute aus der Region sagen, dass es „den klassischen Drogenabhängigen“nicht gebe; dass Suchterkrankungen alle Gesellschaftsschichten betreffen können und nahezu alle Altersgruppen. Junge Frauen aus gutem Haus, Männer mittleren Alters, die nach einer Lebenskrise abstürzen. Menschen auch, die oft noch ein unaufälliges, bürgerliches Leben führen. Die Experten von der Drogenhilfe Schwaben gehen von 2500 Abhängigen illegaler Substanzen in Augsburg aus. Das Problem ist vielschichtig, doch es gibt einen Grund für die Entwicklung um die Drogentoten in der Region, den jeder nennt, der mit der Thematik vertraut ist: Es geht um Drogen, die „Kräutermischungen“oder „Badesalze“heißen; sie sind synthetisch hergestellt und werden oft als legale Alternativen zu illegalen Rauschmitteln vermarktet. Sie sollen die Wirkweise illegaler Drogen imitieren, etwa von Cannabis.
Als die Polizei die Kriminalstatistik für 2016 vorstellte, betonten die Ermittler, dass bei einem erheblichen nicht. Im Internet lassen sich nach wie vor etliche Seiten finden, auf denen teils mit fragwürdigen Slogans wie diesem geworben wird: „Völlig abgehoben oder sternhagelvoll und nichts von den Behörden zu befürchten? Geile Idee!“
Auch Gerlinde Mair, die Leiterin der Drogenhilfe, sagt, große Veränderungen habe sie noch nicht bemerkt, seit das neue Gesetz da ist. Das Problem an den Kräutermischungen sei, dass die Konsumenten unmöglich wissen könnten, was drin ist. Wie stark es wirkt, wie ihr Körper auf den Mix der Stoffe reagiert. Die Leute griffen auch zu den Substanzen, um nichts Illegales zu tun, sagt Mair. Die Kräutermischungen machten sie gierig, der Suchtdruck sei enorm. Das Problem ist vor allem in Bayern ein Großes; der Freistaat ist im Vergleich auch trauriger Spitzenreiter bei den Drogentoten. In anderen Bundesländern, sagt Mairs Kollege Uwe Schmidt, sei von den Beratungsstellen zu hören, dass zumindest die Badesalze dort nicht das große Thema sind.
Was nicht heißt, dass andere illegale Suchtmittel aus Augsburg verschwunden wären. Kräutermischungen und Badesalze haben klassische Drogen wie Heroin nicht abgelöst, sagt Schmidt, es laufe eher parallel. Es gebe aber kaum noch Suchtkranke die etwa nur von Heroin abhängig seien, es sei oft ein „Multi-Konsum“. Es sei nicht ungewöhnlich, dass neue Drogen auftauchen; das sei nicht das erste Mal. Das Ungewöhnliche an den Suchtmitteln, die auch als „neue psychoaktive Substanzen“bezeichnet werden, sei ihre Unberechenbarkeit.
Rudolf hat auch mal Kräutermischungen probiert. „Einmal und nie wieder“, sagt er heute. Ihm ging es nicht gut danach, es schmeckte ihm nicht. Heute hat er sich gut im Griff. Er fährt viel Rad. Beikonsum zum Methadon lässt er bleiben, berichtet er. Nicht mal Alkohol trinkt er. Draußen, neben dem Steinbeet, haben die Menschen, die im Kontaktladen betreut werden, auf eine Tafel geschrieben, was sie in ihrem Leben noch tun wollen. Jeder der Sätze beginnt gleich. „Bevor ich sterbe, möchte ich...Sieger über meine Sucht sein“, steht dort etwa. Oder: ...heiraten und Oma werden.“Wenn man Rudolf fragt, welche Wünsche und Ziele er hat, fällt ihm doch noch etwas ein, neben dem Meer und dem Wegkommen vom Drogenersatzstoff. Er würde gerne, sagt er, einfach leben, so lange, wie es geht. O
zur Drogenhilfe gibt es unter www.drogenhilfeschwaben.de