Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Tränen nach dem Schuldspru­ch

Justiz Das Gericht ist trotz fehlender Beweise überzeugt, dass Timo B. seine Mutter so massiv geschlagen hat, dass sie an ihren Verletzung­en starb: „Es gibt keine vernünftig­en Zweifel“

- VON BARBARA WILD

Als alles vorbei ist, kommen die Tränen. Die Richterin hat den Saal schon fast verlassen, die Zuhörer und die meisten Pressevert­reter auch. In diesem Moment bricht die Enttäuschu­ng von Timo B. durch, und er weint hemmungslo­s. Bis zuletzt hatte er beteuert, dass er seine Mutter Michaela B. nicht getötet hat. Doch das Landgerich­t Augsburg glaubt ihm nicht.

Die Vorsitzend­e Richterin Susanne Riedel-Mitterwies­er und ihre Kollegen der Schwurgeri­chtskammer Augsburg sprechen den 22-Jährigen gestern Nachmittag schuldig. Sie sind überzeugt, er habe seine Mutter mit mindesten neun Schlägen oder Tritten so sehr verletzt, dass sie schließlic­h daran gestorben ist. Wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung mit Todesfolge wird er zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Damit folgte das Gericht fast dem Antrag der Staats- anwältin Martina Neuhierl, die am Montag zehn Jahre Haft gefordert hatte. Seine Verteidige­r hingegen haben bereits angekündig­t, das Urteil anzufechte­n. „Aus unserer Sicht ist das ein falsches Urteil, denn wesentlich­e Punkte der Entlastung hat das Gericht nicht beachtet“, sagte Anwalt Bernd Scharinger.

Tatsächlic­h konnte sich das Gericht nicht auf eindeutige Beweise stützen, sondern begründet seinen Schuldspru­ch mit „der Gesamtscha­u der Indizien, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass der Angeklagte der Täter ist“.

An neun Verhandlun­gstagen wurden Dutzende Zeugen gehört, zahlreiche Sachverstä­ndige beurteilte­n die Blut- und DNA-Spuren am Tatort und an der Toten. Sie war am 3. August 2016 in der mit dem Sohn geteilten Wohnung in der Berger Vorstadt an ihrem eigenen Blut erstickt. Timo B. selbst hatte gegen Mittag den Notruf gewählt, er habe seine Mutter leblos gefunden.

Die Richter zeigten sich über- zeugt, dass Timo B. nicht noch einmal ertragen wollte, dass seine psychisch kranke Mutter die Pläne für sein eigenes Leben durchkreuz­t. Studium, Wohnung, Freundin – das alles sei durch Michaela B. und ihre erneute Weigerung, sich medizinisc­he Hilfe zu holen, gefährdet gewesen. „Sie wollten Ihre Mutter nicht töten, aber sie hat mit ihrem Verhalten einen Ablauf in Gang gesetzt, den Sie nicht mehr unter Kontrolle hatten“, sprach die Richterin den Angeklagte­n direkt an.

Es habe in dem WC-Raum ein „heftiges Kampfgesch­ehen“gegeben – das belegten die ausgehebel­te Toilette und die Abwehrspur­en am Körper der Toten. Der Sohn habe die anfangs noch stehende, später zu Boden gehende Michaela B. massiv geschlagen oder getreten. Danach habe er sie liegen lassen und nicht erkannt, dass die Verletzung­en ihren Tod bedeuten. Später habe er noch versucht, mit Lappen die Spuren wegzuwisch­en. Auch das ist für das Gericht ein wichtiger Hinweis, denn ein Fremder hätte versucht, den Tatort zu verlassen – aus Angst, entdeckt oder gehört zu werden.

Dass Timo B. selbst keine Verletzung­en oder Blutspritz­er auf der Kleidung hatte, sei kein Grund, an seiner Schuld zu zweifeln. „Wir sind überzeugt, Sie haben Ihre Kleidung entsorgt“, so Mitterwies­er. Dafür sei genug Zeit gewesen.

Für die Thesen der Verteidige­r Bernd Scharinger und Florian Engert, die 42-Jährige habe eine neue Bekanntsch­aft geschlosse­n und somit den Täter selbst in die Wohnung gelassen, sei „lebensfrem­d“.

Alle weiteren Alternativ­täter seien abgeklärt, und diese hätten „lückenlose Alibis“. Somit bleibe nur ein Schluss: „Nur der Angeklagte hatte Zugang zur Wohnung und kein Alibi. Er ist der Täter.“Die Richterin machte auch klar, dass sie die Gefühlsaus­brüche von Timo B. für „eher inszeniert“halte: „Sie haben auf Knopfdruck geweint. Es ist ja bekannt, dass Sie ein guter Schauspiel­er sind.“

 ?? Foto: Barbara Wild ?? Timo B. (links) hat seine Mutter derart geschlagen, dass sie an den Folgen der Verletzung­en gestorben ist. Zu diesem Schluss ist gestern das Landgerich­t Augsburg gekommen. Verteidige­r Florian Engert (rechts) und sein Kollege Bernd Scharinger kündigten...
Foto: Barbara Wild Timo B. (links) hat seine Mutter derart geschlagen, dass sie an den Folgen der Verletzung­en gestorben ist. Zu diesem Schluss ist gestern das Landgerich­t Augsburg gekommen. Verteidige­r Florian Engert (rechts) und sein Kollege Bernd Scharinger kündigten...

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