Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Aufrütteln und wach machen
Ich liebe unterschiedliche Menschen, die mir das Gefühl geben, ein Teil von ihnen zu sein. Deshalb genieße ich es, mich in inklusiven Gruppen zu bewegen.
Dort herrscht ein ganz besonderer Geist: Jeder hilft jedem, alles sind füreinander da. Menschen ohne Behinderung sind angetan von der Liebe und Zuwendung, die dort fließt. Noch heute träume ich von der Berlinreise, die ich mit einer solchen Gruppe unternommen hatte.
Ich denke an wunderbare Erlebnisse und tolle Erfahrungen. Meine Seele war hellwach, meine Aufmerksamkeit und Konzentration um ein Vielfaches höher als im Alltag. Unsere Behinderung haben wir nicht als Einschränkung erlebt, sondern als Selbstverständlichkeit. Genau so sollte eine Gesellschaft doch sein: Alle Menschen selbstverständlich so zu akzeptieren, wie sie sind.
Eine ganze wirtschaftliche Branche lebt von uns – Sonderschulen, Heime, Pflegeeinrichtungen, viele Krankenhäuser und Ärzte. Inklusiv helfen wir uns gegenseitig und haben sogar Spaß dabei.
Auf professionelle Hilfe kann und will ich nicht ganz verzichten. Aber mein Umfeld, das bestimme ich selbst – ohne dass mir jemand reinredet. Ich bin eine glückliche Mitbürgerin: selbstbestimmt und mitten in der Gesellschaft. Ich wünsche mir sehr, dass alle Menschen so leben dürfen wie ich. Dass jeder in den Genuss gegenseitiger Achtung und Respekt kommt.
Übung braucht es schon. Denn jeder von uns hat ein kleines Egoschwein in sich. Und neben einem Menschen mit Behinderung fällt gesunden Menschen auf, dass es ihnen eigentlich ganz gut geht. Das ist wohl auch ein Teil meiner Lebensaufgabe: durch mich anderen bewusst zu machen, wie gut sie es haben.
Bedankt hat sich bei mir bisher leider noch niemand dafür. Auf der anderen Seite kenn ich die vielen mitleidigen Blicke und Entrüstung zu Genüge. Bist du vielleicht der oder die Erste, die mir gratuliert? Ich würde mich freuen. O
Franziska Ottlik ist 23 Jahre alt und von Geburt an schwerbehindert. Sie ist halbseitig gelähmt und kann nicht spre chen, sondern nur Laute von sich ge ben. Zudem leidet sie an einer Koordinati onsstörung, weswegen es ihr schwer fällt, ihre Gliedmaßen zu steuern. In unse rer Kolumne schreibt Franziska über ih ren Alltag mit Behinderung. Mithilfe der sogenannten gestützten Kommunikati on kann Franziska sich ausdrücken. Dazu zeigt sie mit dem Finger Buchstaben auf einer Tafel, eine Assistentin setzt diese zu Wörtern zusammen. Das funktio niert so gut, dass sie selbst Telefonate führen kann. Wer mehr über sie erfah ren will, schaut auf ihren Blog: www.franziskaottlik.wordpress.com.