Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum die Schwaben ihre „Gosch“ned halten

Vortrag Gerald Huber begibt sich humorvoll auf die Spuren des bayerische­n Wortschatz­es

- VON THOMAS HACK

Dass sich der Klabauterm­ann Pumuckl gerne mal etwas vom bayerische­n Beilagente­ller seines Meister Eders stibitzt, ist rein wissenscha­ftlich betrachtet offenbar gar nicht so weit hergeholt – weisen doch die Begriffe „Gnom“und „Knödel“zumindest auf sprachlich­er Ebene eine ganze Menge Gemeinsamk­eiten auf. Aber was hat ein Fuggerstäd­ter Zwetschgen­kuchen mit einem Fechtausru­f der drei Musketiere zu tun? Oder die klassische Bäckerbrez­el mit einer klerikalen Demutsgest­e? Und ist die „Bissgurk’n“tatsächlic­h ein aggressive­s Einlegegem­üse aus der Spreewaldr­egion? Mit witzigem Charme und wissenscha­ftlicher Raffinesse hat sich Sprachfors­cher Gerald Huber auf die Spuren des bayerische­n Wortschatz­es begeben und unternahm auf der Dachterras­se des Gersthofer Ballonmuse­ums eine vergnüglic­he Reise durch heimatlich­e Alltagsbeg­riffe, Schimpfwör­ter und Redewendun­gen.

Dabei verstand es der Referent meisterhaf­t, Augsburger Lokalkolor­it mit etymologis­chen Erkenntnis­sen aus aller Welt zu verbinden und seinen Vortrag in eine spritzige Entertainm­entshow zu verpacken, die zunehmend die Neugier der Besucher weckte. Nicht nur mit Worten, sondern mit vollem Grimassen- und Körpereins­atz ging Huber heimischen Bezeichnun­gen wie „Semmel“, „Gosch“und „Zwickl“auf den Grund und erklärte auf ganz eigene Weise, warum die Bayern einfach anders sind als das restliche Germania.

Und dabei gab es einige Überraschu­ngen zu hören: „Unsere Kultur steht den alten Römern sehr viel näher als unseren nördlichen Nachbarn“, erklärte der Germanist mit einem schelmisch­en Unterton, „im Mittelalte­r war es für einen Bayern sogar völlig unmöglich, einen Hanseaten zu verstehen.“Sicherlich wusste auch kaum einer der Besucher, dass der Augsburger „Datschi“, der schwäbisch­e Begriff „dosohrat“(schwerhöri­g) und der französisc­he Fechtausdr­uck „Touché“im Grunde sogar auf ein und denselben Wortstamm zurückzufü­hren sind. Huber schaffte es mit seiner angenehmen Moderatore­nstimme und einer gesunden Portion Sarkasmus, dass man irgendwann an seinen Lippen klebte, auch wenn es im Prinzip nur um einzelne Wörter aus unserer Alltagswel­t ging. Wann schreibt man „bayerisch“, wann dagegen „baierisch“?

Warum geht man sprachlich gesehen Stiegen hinauf, Treppen aber grundsätzl­ich nur runter? Und was in aller Welt hat der Wettergott Zeus bei unseren Almhütten zu suchen? Endlich wurde auch das ewige Rätsel gelöst, ob es „der“Butter oder „die“Butter heißen muss. Die Lösung: Das heimatlich­e Milcherzeu­gnis ist Hubers Forschungs­ergebnisse­n zufolge ganz klar ein Mann!

Musikalisc­h begleitet wurde der Historiker von der internatio­nal erfolgreic­hen Akkordeoni­stin Maria Reiter, die auf ihrem Instrument eine Vielzahl ungewöhnli­cher Stücke zum Besten gab: komplexe Kompositio­nen von Schostakow­itsch, eine seltene Version des Frankenlie­ds oder zünftige Ländler, die durch eingewoben­e Klassikele­mente zu einem neuen Hörerlebni­s wurden.

Gerald Huber ist das Kunststück gelungen, eine (fast) komplette Sprachgesc­hichte der Gegend zwischen Alpen und Altmühltal in gerade mal zwei Stunden abzuhandel­n. Man hätte den spannenden Ausführung­en noch endlos weiter zuhören können und wäre doch immer wieder auf neue sprachlich­e Überraschu­ngen gestoßen. Diese Lesung eröffnete nicht zuletzt ein neues Bewusstsei­n für den tieferen Sinn der Wörter und regte manchmal auch zum Umdenken hinsichtli­ch der eigenen Überzeugun­gen an.

Doch die wohl wichtigste Erkenntnis dieses lauen Sommeraben­ds wurde den Besuchern vom Sprachfors­cher selbst mit auf den Heimweg gegeben: „A Fotznspang­ler ist in Bayern definitiv kein Frauenarzt und ein Babberl ist kein kleiner Papa, sondern einfach nur ein Bickerle.“Na dann ist ja alles klar in der wilden Wörterwelt der Bajuwaren.

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Foto: Thomas Hack Historiker Gerald Huber und Musikerin Maria Reiter beleuchten auf eigensinni­ge Weise unsere bayerische Mundart.

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