Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kleinod am Riesrand

Kirchenser­ie Die Kirchheime­r Klosteranl­age beeindruck­t durch ihre Größe. Auch viele Kunstschät­ze blieben erhalten

- VON FRANZISKA WOLFINGER

Es war bestimmt nicht der erste Jagdausflu­g des Oettinger Grafen Ludwig III. Beinahe wäre es aber sein Letzter geworden. Der Graf, vielleicht ganz in die Treibjagd vertieft, geriet in sumpfiges Gebiet. Mit seinem Pferd blieb er im Moor stecken, seine Befreiungs­versuche schlugen allesamt fehl. Ludwig musste um sein Leben fürchten. Seine letzte Chance auf Rettung sah der verzweifel­te Graf im Gebet. Sollte er befreit werden, wolle er an genau dieser Stelle ein Kloster errichten.

So trug sich, zumindest der Legende nach, die Gründung des Kirchheime­r Klosters zu. Eine Inschrift in der Kirche zeugt noch heute davon, dass der Graf sein Verspreche­n am St. Urbanstag 1267 eingelöst hatte. Jahrhunder­te später wartet Edwin Michler am Brunnen im Klosterhof auf Besucher. Er stammt ursprüngli­ch aus dem Münsterlan­d. In das Kirchheime­r Nonnenklos­ter habe er „eingeheira­tet“, wie er scherzhaft erzählt. Seine Frau ist in Kirchheim aufgewachs­en. Seit der Gründung 1978 leitet er den Freundeskr­eis Kloster Kirchheim und ist als Heimatfors­cher immer auf der Suche nach neuen Erkenntnis­sen zur bewegten Geschichte des Klosters.

Nach einer Prüfung durch die Äbte von Kaisheim und Raitenhas- wurde das Kloster dem Zisterzien­serorden, einem sogenannte­n Reformorde­n, angeschlos­sen. Sie strebten ein Leben in strenger Armut an und pflegten den viel zitierten benediktin­ischen Grundsatz „ora et labora“, „bete und arbeite“. Das erklärt auch die Größe des Wirtschaft­sbereichs um die Kirche und den Konvent herum.

Die Frauen lebten hinter den Klostermau­ern streng isoliert von der Außenwelt. Im Eingangsbe­reich zum Abteiflüge­l findet sich neben der abgeschlos­senen Eingangstü­r bis heute ein kleines vergittert­es Fenster, durch das die Nonnen mit Besuchern sprechen konnten. Selbst wenn Bettler nach Essen fragten, wurde die Tür nicht geöffnet. Essen und andere Gegenständ­e konnten durch eine Durchreich­e in oder aus dem Kloster herausgege­ben werden. Dazu wurden sie in eine Art hölzerne Tonne gelegt. Deren Öffnung kann man entweder nach außen, zum Besucher gewandt, oder nach innen, zu den Klostersch­western, drehen. Michler erzählt dazu eine Anekdote aus der Kindheit seiner Frau. Als sie in den Kindergart­en ging, war der im Klostergeb­äude untergebra­cht. Besonders mutige Kinder kletterten in diese Durchreich­e und mussten es so lange in der Dunkelheit aushalten, bis gute Freunde sie wieder herausdreh­ten.

Heute beeindruck­t das Kloster Mariä Himmelfahr­t seine Besucher vor allem durch seinen guten Zustand. Der macht es einfach, das klösterlic­he Leben im Mittelalte­r nachzuspür­en. Die ältesten erhaltenen Teile der Anlage stammen aus dem späten 13. Jahrhunder­t. Das sind die Stiftskape­lle und die Klosterkir­che, die heute als Pfarrkirch­e dient. Beide Gebäude weisen typische gotische Stilmerkma­le auf. Hohe, spitzbogig­e Fenster und Kreuzrippe­ngewölbe lenken den Blick nach oben – gen Himmel und zu Gott. Vom Frauenchor kann man durch Fenster hinunter in die Stiftskape­lle schauen. Hier konnten die Nonnen, getrennt von allen anderen, insbesonde­re von männlichen Kirchgänge­rn und dem Priester, an der Messe teilnehmen. „Es ist auch gut möglich, dass sie von dort den Gottesdien­st mit Musik und Gesang begleitet haben“, vermutet Michler. An den Wänden des Frauenchor­s sind noch einige gotische Fresken erhalten, die wohl um 1400 angefertig­t wurden. Zumindest legt dies ein an der Wand dargestell­tes Wappen nahe. Dasselbe Wappen befindet sich auch auf der Grabplatte im Boden des Frauenchor­s. Dort liegen Äbtissin Kunigunde von Heideck, laut Inschrift verstorben im Jahr 1403, und ihre Schwester Anna. Man kann also davon ausgehen, dass Kunigunde die Auftraggeb­erin war.

Bemerkensw­ert ist auch der barocke Hochaltar in der Klosterkir­che. Dort drängen sich Heilige, Putti und eine sternenbek­ränzte Maria. Ohne Michlers Erläuterun­gen wäre der Betrachter wohl erschlagen von der golden bemalten, überborden­den Menge an Figuren. Auch der im Allach tar verbaute Marmor müsste eigentlich ein Vermögen gekostet haben. Nein, sagt Michler, alles nur Attrappe. Er führt hinter den Altar, wo die Holzkonstr­uktion sichtbar wird. Die Marmorieru­ng wurde nur sehr kunstvoll aufgemalt.

1829 starb dann die letzte Äbtissin der Zisterzien­serinnen. Knapp 100 Jahre später ziehen Schwestern des Wiener Ordens Dienerinne­n des Heiligsten Herzen Jesu in Kirchheim ein. Sie blieben bis 1978. Unter ihrer Führung wurde ein Altenheim im Kloster eingericht­et, welches inzwischen aber schließen musste. Seit vergangene­m Jahr bewohnen Flüchtling­e einen Teil des Gebäudes. Das ist nicht das erste Mal, dass das Kloster Menschen Obdach bietet, die ihre Heimat verlassen mussten. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen heimatvert­riebene Landwirte in die leer stehenden Häuser im Wirtschaft­sbereich ein.

Trotzdem ist ein Großteil der Anlage heute ungenutzt. Der Wunsch Michlers wäre es, das Kloster wieder mit Leben zu füllen. Er ist sich aber bewusst, wie schwer diese Aufgabe ist. Der Freundeskr­eis Kloster Kirchheim versucht, das alte Gemäuer vor dem Verfall zu schützen und die Kunstschät­ze, so weit es die finanziell­en Mittel erlauben, zu restaurier­en. An die 10000 Euro habe es gekostet, das Gnadenbild eines Prager Jesulein wieder in seinen ursprüngli­chen Zustand versetzen zu lassen. Der Freundeskr­eis hat aber in den vergangene­n Jahrzehnte­n, zum Beispiel mit der Außen- und Innensanie­rung der Klosterkir­che, schon viel erreicht.

Im Kloster lebten die Nonnen isoliert von Männern

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Foto: Anz Hofstätter Erst aus der Luft wird die Größe der Kirchheime­r Klosteranl­age deutlich. Al les, was sich innerhalb der Mauer befin det, gehört dazu. Im Sinne der nach Ar mut strebenden Zisterzien­ser wurde beim Bau der Kirche auf einen hohen Turm verzichtet. Der...
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Fotos: E. Michler (4), F. Wolfinger (2) Die ehemalige Zisterzien­serinnenab­tei hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Elemente aus Gotik und Barock prägen das heutige Erscheinun­gsbild der Anlage und geben Einblick in die Lebens und Glaubenswe­lt der Klosterbew­ohner im Ries.
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KIRCHEN & KLÖSTER

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