Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kleinod am Riesrand
Kirchenserie Die Kirchheimer Klosteranlage beeindruckt durch ihre Größe. Auch viele Kunstschätze blieben erhalten
Es war bestimmt nicht der erste Jagdausflug des Oettinger Grafen Ludwig III. Beinahe wäre es aber sein Letzter geworden. Der Graf, vielleicht ganz in die Treibjagd vertieft, geriet in sumpfiges Gebiet. Mit seinem Pferd blieb er im Moor stecken, seine Befreiungsversuche schlugen allesamt fehl. Ludwig musste um sein Leben fürchten. Seine letzte Chance auf Rettung sah der verzweifelte Graf im Gebet. Sollte er befreit werden, wolle er an genau dieser Stelle ein Kloster errichten.
So trug sich, zumindest der Legende nach, die Gründung des Kirchheimer Klosters zu. Eine Inschrift in der Kirche zeugt noch heute davon, dass der Graf sein Versprechen am St. Urbanstag 1267 eingelöst hatte. Jahrhunderte später wartet Edwin Michler am Brunnen im Klosterhof auf Besucher. Er stammt ursprünglich aus dem Münsterland. In das Kirchheimer Nonnenkloster habe er „eingeheiratet“, wie er scherzhaft erzählt. Seine Frau ist in Kirchheim aufgewachsen. Seit der Gründung 1978 leitet er den Freundeskreis Kloster Kirchheim und ist als Heimatforscher immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen zur bewegten Geschichte des Klosters.
Nach einer Prüfung durch die Äbte von Kaisheim und Raitenhas- wurde das Kloster dem Zisterzienserorden, einem sogenannten Reformorden, angeschlossen. Sie strebten ein Leben in strenger Armut an und pflegten den viel zitierten benediktinischen Grundsatz „ora et labora“, „bete und arbeite“. Das erklärt auch die Größe des Wirtschaftsbereichs um die Kirche und den Konvent herum.
Die Frauen lebten hinter den Klostermauern streng isoliert von der Außenwelt. Im Eingangsbereich zum Abteiflügel findet sich neben der abgeschlossenen Eingangstür bis heute ein kleines vergittertes Fenster, durch das die Nonnen mit Besuchern sprechen konnten. Selbst wenn Bettler nach Essen fragten, wurde die Tür nicht geöffnet. Essen und andere Gegenstände konnten durch eine Durchreiche in oder aus dem Kloster herausgegeben werden. Dazu wurden sie in eine Art hölzerne Tonne gelegt. Deren Öffnung kann man entweder nach außen, zum Besucher gewandt, oder nach innen, zu den Klosterschwestern, drehen. Michler erzählt dazu eine Anekdote aus der Kindheit seiner Frau. Als sie in den Kindergarten ging, war der im Klostergebäude untergebracht. Besonders mutige Kinder kletterten in diese Durchreiche und mussten es so lange in der Dunkelheit aushalten, bis gute Freunde sie wieder herausdrehten.
Heute beeindruckt das Kloster Mariä Himmelfahrt seine Besucher vor allem durch seinen guten Zustand. Der macht es einfach, das klösterliche Leben im Mittelalter nachzuspüren. Die ältesten erhaltenen Teile der Anlage stammen aus dem späten 13. Jahrhundert. Das sind die Stiftskapelle und die Klosterkirche, die heute als Pfarrkirche dient. Beide Gebäude weisen typische gotische Stilmerkmale auf. Hohe, spitzbogige Fenster und Kreuzrippengewölbe lenken den Blick nach oben – gen Himmel und zu Gott. Vom Frauenchor kann man durch Fenster hinunter in die Stiftskapelle schauen. Hier konnten die Nonnen, getrennt von allen anderen, insbesondere von männlichen Kirchgängern und dem Priester, an der Messe teilnehmen. „Es ist auch gut möglich, dass sie von dort den Gottesdienst mit Musik und Gesang begleitet haben“, vermutet Michler. An den Wänden des Frauenchors sind noch einige gotische Fresken erhalten, die wohl um 1400 angefertigt wurden. Zumindest legt dies ein an der Wand dargestelltes Wappen nahe. Dasselbe Wappen befindet sich auch auf der Grabplatte im Boden des Frauenchors. Dort liegen Äbtissin Kunigunde von Heideck, laut Inschrift verstorben im Jahr 1403, und ihre Schwester Anna. Man kann also davon ausgehen, dass Kunigunde die Auftraggeberin war.
Bemerkenswert ist auch der barocke Hochaltar in der Klosterkirche. Dort drängen sich Heilige, Putti und eine sternenbekränzte Maria. Ohne Michlers Erläuterungen wäre der Betrachter wohl erschlagen von der golden bemalten, überbordenden Menge an Figuren. Auch der im Allach tar verbaute Marmor müsste eigentlich ein Vermögen gekostet haben. Nein, sagt Michler, alles nur Attrappe. Er führt hinter den Altar, wo die Holzkonstruktion sichtbar wird. Die Marmorierung wurde nur sehr kunstvoll aufgemalt.
1829 starb dann die letzte Äbtissin der Zisterzienserinnen. Knapp 100 Jahre später ziehen Schwestern des Wiener Ordens Dienerinnen des Heiligsten Herzen Jesu in Kirchheim ein. Sie blieben bis 1978. Unter ihrer Führung wurde ein Altenheim im Kloster eingerichtet, welches inzwischen aber schließen musste. Seit vergangenem Jahr bewohnen Flüchtlinge einen Teil des Gebäudes. Das ist nicht das erste Mal, dass das Kloster Menschen Obdach bietet, die ihre Heimat verlassen mussten. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen heimatvertriebene Landwirte in die leer stehenden Häuser im Wirtschaftsbereich ein.
Trotzdem ist ein Großteil der Anlage heute ungenutzt. Der Wunsch Michlers wäre es, das Kloster wieder mit Leben zu füllen. Er ist sich aber bewusst, wie schwer diese Aufgabe ist. Der Freundeskreis Kloster Kirchheim versucht, das alte Gemäuer vor dem Verfall zu schützen und die Kunstschätze, so weit es die finanziellen Mittel erlauben, zu restaurieren. An die 10000 Euro habe es gekostet, das Gnadenbild eines Prager Jesulein wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzen zu lassen. Der Freundeskreis hat aber in den vergangenen Jahrzehnten, zum Beispiel mit der Außen- und Innensanierung der Klosterkirche, schon viel erreicht.
Im Kloster lebten die Nonnen isoliert von Männern