Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Und Martin Luther mittendrin
Geschichte Anfang des 16. Jahrhunderts gehört die Stadt zu den bedeutendsten Zentren des Reichs. Der Reformator stattet ihr einen unfreiwilligen Besuch ab. Wie man sich das damalige Augsburg vorstellen muss /
1517Martinist das Jahr, in dem Luther in Wittenberg seine 95 Thesen anschlug. Es jährt sich heuer zum 500. Mal. Ein Jahr später, 1518, wurde Luther nach Augsburg beordert, wo er vor dem päpstlichen Gesandten Cajetan widerrufen sollte. In welche Stadt kam der Reformator damals? Wie muss man sich Augsburg um 1517 und 1518 vorstellen? Ein Beschreibungsversuch.
● Die Bevölkerungszahl in Augsburg liegt in den Jahren von 1500 bis 1550 ungefähr auf dem selben Niveau: Rund 30000 bis 35000 Menschen leben in der Stadt. Für damalige Verhältnisse ist das viel: Augsburg ist zu dieser Zeit nach Köln und Prag die drittgrößte Stadt des Heiligen Römischen Reiches D eutscher Nation. Drei Vergleiche, um diese Bevölkerungszahl einordnen zu können: Zur Römerzeit hat Augusta Vindelicum rund 12000 Einwohner. Im Dreißigjährigen Krieg, also von 1618 bis 1648, nimmt die Bevölkerung drastisch ab: 1635 leben in Augsburg nur noch knapp 16 000 Menschen. Aktuell steuert die Stadt auf 300000 Einwohner zu. ● Der Baustil um 1520 ist die Renaissance und sie ist in der Reichsstadt Augsburg gut vertreten. Trendsetter sind die Fugger: Ihr Stadtpalais in der heutigen Maximilianstraße weist Merkmale eines italienischen Palastes auf und ist wohl eines der prachtvollsten Gebäude in dieser Zeit. Die Schaubrunnen mit Herkules, Merkur und Augustus gibt es Anfang des 16. Jahrhunderts noch nicht. Stattdessen steht inmitten der Maximilianstraße – auf Höhe des heutigen Standesamtes – das sogenannte Siegelhaus, wo die Weinfässer kontrolliert werden. Zwischen diesem Haus und St. Moritz, wo noch das Tanzhaus steht, gibt es einen ansehnlichen Platz, der für große Feste genutzt wird. Luther, der während seines Aufenthalts in St. Anna wohnt und in den Fuggerhäusern auf Cajetan trifft, spaziert auf seinem Weg also an zahlreichen Stadtpalästen vorbei. ● Natürlich darf man sich die „Geschäfte“von einst nicht so vorstellen wie die heute. In den Häusern entlang der Maximilianstraße gibt es keine Läden und keine Schaufenster. Die Augsburger Bürger kaufen ihre Waren auf Märkten: Zwischen St. Moritz und dem Rathaus beispielsweise liegt der Brotmarkt, um St. Jakob herum der Saumarkt. Schon damals gibt es die Osterund die Michaelidult, da Luther aber Ende Oktober in Augsburg weilt, dürfte er beide verpasst haben. Und für den Weihnachtsmarkt, der auch damals schon existiert, ist es noch zu früh. ● Augsburg, sagt der Historiker Prof. Rolf Kießling, war um 1520 eine bunte und lebendige Stadt. Wer durch die Straßen flanierte, begegnete Menschen aus allen Bevölkerungsschichten. Zwischen Dom und St. Ulrich, in der sogenannten Oberstadt, hielten sich vornehmlich Patrizier und Kaufleute auf. Ging man den Berg nach unten in die heutige Altstadt, befand man sich im Handwerkerviertel, wo es sehr geschäftig zuging, weil dort viele Werkstätten lagen. ● Das Augs- des 16. Jahrhunderts ist, unter anderem, eine Weberstadt. Als Luther hierher kommt, gibt es zwischen 1000 und 1500 Weberwerkstätten. Auch Gerber und Färber arbeiten hier, sie haben ihre Werkstätten – ebenso wie die Metzger – an den Kanälen in der heutigen Altstadt. Das Treiben beginnt dort frühmorgens, mit Sonnenaufgang. „Das Leben hing damals noch stark am Tageslicht“, sagt Kießling. Was viele nicht wissen: Ab 1520 spielt Augsburg zunehmend eine Rolle im Bergbau, um 1530 teilt es sich den europäischen Kupfermarkt mit Nürnberg auf. Ein dritter, wichtiger Wirtschaftsfaktor ist das Bankenwesen, zudem ist Augsburg eines der großen Druckzentren des Reiches. ● „Ich ess, was ich mag, ich sterb, wann Gott will.“Dieses Motto gilt damals fürs Essen. Luther kommt während seines Augsburg-Aufenthalts im damals katholischen Kloster St. Anna unter. Die Karmeliten dort, schätzt Prof. Kießling, dürften keine Kostverächter gewesen sein – obwohl es sich um einen Bettelorden handelte. Die einfachen Bürger ernähren sich um 1520 vor allem von Hafer- und Getreidemus. Fleisch gibt es bei ihnen höchstens zwei- oder dreimal die Woche. Die Patrizier speisen besser: Es gibt Braten, Gesottenes, Wildbret und süße Nachspeisen. Die reichen Augsburger können sich außerdem teure Gewürze wie Pfeffer leisten. Gemüse und Milchprodukte kommen damals vom Land, Weintrauben vom Bodensee. Und: Es gibt große Ochsentriebe, in denen man die Tiere von Ungarn nach Schwaben treibt. In den dortigen Schlachthäusern werden sie dann verarbeitet. Luther wird in Augsburg ziemlich sicher gut versorgt: Die Karmeliten gelten als gastfreundlich. Stadtschreiber Peutinburg ger lädt den Mönch außerdem zu einem Festmahl in sein Haus ein. Auch einige Ratsmitglieder sind dabei. Das Messer haben die Menschen damals in der Regel stets dabei, den Löffel ebenfalls – er hängt am Hosenbund. Die Gabel dagegen ist um diese Zeit ein Zeichen der Zivilisation und noch nicht so häufig in Gebrauch. ● Selbst Luther, ein Mönch, dürfte damals wohl einige Münzen bei sich getragen haben, da er auf Reisen ja Kost und Logis bezahlen musste. Im 16. Jahrhundert kennen die Menschen nur Münzgeld: Heller, Batzen und Schillinge gehören zur Silberwährung. Mehr wert ist die Goldwährung: Gulden und Florine. Man trägt sie in Beuteln bei sich. Der Jahreslohn eines Handwerkers beträgt damals rund 20 bis 30 Gulden. Zum Vergleich: Der Augustusbrunnen, der von 1588 bis 1594 entsteht, kostet 10 000 Gulden.