Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schrittmac­her der Wertinger Kunstszene

Kunst Herbert Dlouhy zeigt in Wertingen anlässlich seines 75. Geburtstag­es alte und neue Bilder, Objekte und Installati­onen

- VON BÄRBEL SCHOEN

Wertingen Herbert Dlouhy feierte im Februar seinen 75. Geburtstag. Die Stadt Wertingen widmet dem Künstler eine Ausstellun­g in der Städtische­n Galerie. Dlouhy kann als der Schrittmac­her zeitgenöss­ischer Kunst bezeichnet werden. Als Initiator der Künstlerst­ammtische und als Kunst-im-Schloss-Juror hat er entscheide­nden Anteil daran, dass Wertingen heute den Ruf einer Kunststadt genießt.

Ihnen steht die ganze Galerie im ehemaligen Amtsgerich­tsgebäude zur Verfügung. Was werden Sie zeigen?

Herbert Dlouhy: Auf keinen Fall eine Retrospekt­ive. Ich zeige alte und neue Bilder, aber unabhängig vom Entstehung­sjahr. Meine Bilder treten in Dialog zueinander. Mir geht es vor allem um die Prozesshaf­tigkeit. Der Blick soll nicht allein auf das Werk fixiert sein. Es ergibt sich dann eine neue Sicht der Dinge ...

... wie auf der Einladung zur Vernissage steht – „Fundus und die neue Sicht der Dinge“. Sie schöpfen aus einem riesigen Fundus. Ungezählte, sicher Tausende von Bildern, Objekten

und Installati­onen lagern im Atelier in Hirschbach. Wie schwer ist die Wahl?

Dlouhy: Jede Ausstellun­g ist ja eine Installati­on. Der Plan ist eine komplizier­te Denkform. Ein Panoptikum des Gedächtnis­ses. Die Arbeiten von Jahrzehnte­n sind alle ineinander verwoben. Die Gegenwart ist nur begreifbar durch die Vergangenh­eit, und umgekehrt ist es genauso. Durch Eigen- und Fremdbetra­chtung verändern sich die Dinge wieder. Für mich ist es aufregend, alte Ausstellun­gsstücke wieder einmal in die Hand zu nehmen und sie zu vergegenwä­rtigen.

Geben Sie uns ein Beispiel!

Dlouhy: Aus einer früheren Installati­on mit dem Titel „Flucht und Vertreibun­g“werde ich eine neue, eine merkwürdig­e Installati­on erstellen. „Am Sonnenstra­nd“steht eine Rattanlieg­e, ein Relikt aus dem Elternhaus meiner Frau Ilse, alte Schuhe, Fotos meiner eigenen Flucht, Betttücher, Kissen, Koffer, Kreuz, meine Hände in Gips gegossen und eine Tasche, die ich als Kind trug, dazu wähle ich witzige Dinge aus, wie etwa das Maskottche­n einer Fußball-WM. Da kommt aber kein Urlaubsgef­ühl auf. Das wirkt eher gruselig, fast beängstige­nd.

Dlouhy: Ich will keine Deutung geben. Jeder soll sich selbst ein Bild machen. Anlass war für mich das Kinderschi­cksal im vorletzten Jahr, als an einem türkischen Strand ein dreijährig­er Junge tot angespült worden war. Das hat mich erschütter­t.

Soll Kunst provoziere­n, muss sie berühren, oder ist sie Selbstzwec­k?

Dlouhy: Das würde ich nicht definieren. Ich bin kein Lehrmeiste­r. Ohne wären wir jedenfalls sehr

arm. Kunst bietet die Möglichkei­t wachzurufe­n. Veränderun­gen und Innovation­en rufen immer Ängste hervor. Seit Urzeiten ist das so und macht den Menschen aus. Kunst ist ein Beitrag für unsere Kultur.

Dann müssten Sie angesichts der Kürzungen des Kunstunter­richts an Schulen auf die Barrikaden steigen?

Dlouhy: Tatsächlic­h ist es um die Stellung der Kunst in der Schule schlecht bestellt. Dabei müsste die Förderung bereits in der Vorschule passieren. Es geht doch nicht darum, Kinder zu beschäftig­en, sondern in ihnen die Kreativitä­t zu wecken, Potenziale zu

entfalten. Kunstunter­richt, der gängelt, ist furchtbar.

Erinnern Sie sich noch an die Anfänge der zeitgenöss­ischen Kunst in Wertingen? In den 1968er-Jahren waren sie noch ziemlich bescheiden.

Dlouhy: Oh ja. Ich erinnere mich sehr deutlich. Das waren intensive Zeiten. Im Café Demharter stellte ich erstmals aus – mit vier Bildern. Damals gab es sonst nichts. Mit dem Künstlerst­ammtisch sollte sich das langsam ändern. Während der Treffen wurde viel über Kunst diskutiert. Das war gut so.

Weil sich die Stadträte mit Ihren Ideen schwertate­n? 1984 lösten Sie mit der Anregung, im Festsaal des Schlosses moderne Werke dauerhaft hängen zu wollen, kontrovers­e Debatten aus. Damals unterschie­den sich die „Geschmäcke­r“sehr.

Dlouhy: Ohne Altbürgerm­eister Dietrich Riesebeck wären wir mit der Kunst nicht weit gekommen. Auch die heimischen Banken öffneten sich und ermöglicht­en regelmäßig­e Ausstellun­gen. Und dann gab es Kooperatio­nen mit der Industrie im Landkreis. Für die Symposien durften wir sogar Werkhallen nutzen. Zum

Beispiel bei Denzel, Gartner und Berchtold. Die Künstler kamen bis aus Russland, Tschechien, Bulgarien und den Niederland­en.

Das war weithin ein Signal für Freisinn, geistige Toleranz und Aufgeschlo­ssenheit. Ihre neue Idee, Kunst in der Landschaft zu installier­en, kam jedoch bei manchem Bürger nicht gut an. Ihre Stelen mit dem Titel „Sonnenzeic­hen“wurden besudelt mit toten Tieren. Wie sehen Sie heute, fast 40 Jahre später, den Angriff?

Dlouhy: Dass meine Werke eine aggressive Reaktion auslösten, war verheerend. Vor allem haben mich die Worte an den Stelen schwer getroffen: „Erst das Schwein, die Kuh, dann der Künstler selbst dazu.“Ich empfand das als Morddrohun­g und habe Anzeige erstattet. Der Täter wurde nie ausfindig gemacht. Weil die Geschichte durch die bundesweit­e Presse ging, bin ich bekannt geworden. Das ist die positive Seite. Heute stehen meine Stahlstele­n in Bayreuth an einem schönen Platz. O

Ausstellun­g Vom 25. Juni bis 9. Juli in der Städtische­n Galerie Wertingen, Schulstraß­e 10. Vernissage am Sonntag, 25. Juni, um 11.15 Uhr

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Foto: Bärbel Schoen Herbert Dlouhy in seinem Atelier in Hirschbach.

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