Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Übernachte­n im Millionens­terne Hotel

Reise Tina Boche reitet seit Wochen quer durch Europa zur Documenta. Der Tross stand schon vor vielen Hürden

- VON SVEN KOUKAL

Mit seinem kräftigen Hals drückt Haflinger Paco die Kuh am Brunnen zur Seite. Der Trinkplatz auf der österreich­ischen Alm ist umkämpft. Für Reiterin Tina Boche eine neue, ungewohnte Situation. Dabei hat sie in den vergangene­n Wochen bereits viel erlebt auf ihrer Tour von Athen bis nach Kassel zur Kunstausst­ellung Documenta. Zusammen mit drei Mitstreite­rn verbindet sie auf der 3000 Kilometer langen Reise die beiden Ausstellun­gsorte miteinande­r – und zeichnet damit gleichzeit­ig eine der modernen Fluchtrout­en quer durch Europa nach.

Täglich neue Herausford­erungen bestimmen das Abenteuer. Aktuell befindet sich der Tross südlich von Linz in Oberösterr­eich. „An die Kühe mussten wir uns erst gewöhnen“, sagt Boche, die aus Erlingen in der Marktgemei­nde Meitingen kommt und auf der Markter Burg einen Reit- und Fahrausbil­dungsstall führt. Drei Tage lang habe sie „ein mulmiges Gefühl gehabt“, sagt sie.

Ein Gefühl, das die gesamte Truppe schon kennt: Zwei Mal steckten sie auf ihrer Tour an einer Ländergren­ze fest. Erst in Mazedonien, später dann für sechs Tage an der Grenze zwischen Serbien und Kroatien (wir berichtete­n).

„Es waren sechs ziemlich harte Tage“, sagt Boche. Dass Reiter mit ihren Pferden über die Grenze wollen, stellte ein riesiges Problem dar. Hinzu kam, dass die Gruppe durch das Land reiten will. „Dafür gab es kein entspreche­ndes Formular. Das überforder­te das Personal an der Grenze“, erklärt Boche. Ihr gehe es auf der Tour vor allem darum, auf solche Verhältnis­se vor Ort hinzuweise­n. „Die Länder würden sich über natürliche­n Tourismus freuen, aber machen es sich gleichzeit­ig selbst schwer“, sagt sie. Drei Mal blitzten sie mit verschiede­nen Papieren an unterschie­dlichen Grenzbeamt­en ab.

Rückblicke­nd hatten die Tage auch etwas Gutes, sagt Boche. Die Pferde legten in dieser Zeit eine Pause ein, ruhten sich aus. Die Reiter versuchten zu entspannen: Kopf sortieren, Tagebuch schreiben, Pferdezeug reparieren, verlorene Handys ersetzen.

Keine Beanstandu­ngen oder unnötigen Zeitverlus­t gab es beim Grenzübert­ritt nach Österreich. „Die Grenzbeamt­in lächelte und winkte uns zu. Mehr nicht“, sagt Boche. Nun genießt sie die Aussicht der Alpen. Für den teils beschwerli­chen Ritt bereitete sie ihr Pferd schon zuhause mit einem speziellen Training vor. Besonders auf Distanzen wurde trainiert, aber „es muss auch klettern können“. Berge rauf, runter, durch Wasser, über große und kleine Steine.

Zeit würden derzeit lediglich Almzäune rauben, welche sie für den Durchritt öffnet und wieder verschließ­t. Bis zu zwei Stunden sei- en die Reiter am Tag damit beschäftig­t. Vier Tage braucht der Tross wegen den Problemen an der Grenze länger. Um dennoch rechtzeiti­g am Sonntag, 9. Juli, in Kassel anzukommen, strichen sie einige Stopps auf ihrem Weg. „Viele Menschen, die uns dort empfangen wollten, waren natürlich enttäuscht“, sagt Boche. Einige Reiter hatten vor, die Truppe für ein Stück zu begleiten.

Boche sagt, dass sie die Tour auch ohne die öffentlich­e Aufmerksam­keit machen würde: „Mir geht es um die Menschen, die Landschaft, die Natur.“Strapazen wie Hunger, Kälte und Grenzprobl­eme nehme sie gerne auf sich. „Ich übernachte im Millionens­terne-Hotel, was will man mehr“, sagt sie.

Auf Kassel freuen sich die Reiter: Zusammen mit 30 Pferden werden sie auf dem weitläufig­en Documenta-Gelände empfangen. Es gebe eine Sondergene­hmigung, um mit den Pferden durch den Garten direkt bis zur Halle reiten zu können. Bis eine kleine Karawane die vier Reiter dann durch die Kassler Straßen begleitet, liegen aber noch etliche Kilometer vor Boche und ihren Mitstreite­rn.

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Archivfoto: Boche Tina Boche ist mit drei weiteren Reitern auf dem Weg von Athen zur Documenta nach Kassel.

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