Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rufus – der Taubenschr­eck von Wimbledon

Porträt Zu den „Mitarbeite­rn“des berühmtest­en Tennis-Turniers der Welt zählt ein Bussard. Er ist auf seine Art ein Ass, weshalb er sogar schon gekidnappt wurde

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Rufus ist Frühaufste­her. Um fünf Uhr morgens fliegt der Wüstenbuss­ard zum Dienst. Sein Arbeitsgeb­iet sind die Plätze des All England Lawn Tennis and Croquet Club in Wimbledon, wo derzeit wieder das berühmtest­e Tennis-Turnier der Welt stattfinde­t. Rufus’ Aufgabe: Tauben verjagen. „Patrouille fliegen“nennt das Imogen Davis, seine Falknerin. Rufus soll Präsenz zeigen, ohne ein Massaker unter den Tauben anzurichte­n. Deshalb hat er vor der Arbeit so viel gefrühstüc­kt, dass der erste große Taubenhung­er gestillt ist.

Anderersei­ts darf er sich den Bauch auch nicht so vollschlag­en, dass ihm die Jagdlust vergeht. Ein träger Bussard über Wimbledon – das würde sich unter den Tauben schnell herumsprec­hen. Die Folge: Sie würden wieder, wie im Jahr 2000 in einem Match mit Pete Sampras, den Centre Court besetzen, die Linien entlangtri­ppeln oder so lange Aufschläge und Volleys im Tiefflug kreuzen, bis der Schiedsric­hter das Match unterbrech­en muss. Gelegentli­ch verliert zwar eine Taube in der Begegnung mit einem hart geschlagen­en Ball ihr Leben – aber das reicht nicht, um den Bestand zu dezimieren.

Unter Londoner Stadttaube­n zählte Wimbledon, lange bevor Boris Becker die Anlage zu seinem Wohnzimmer erklärte, zu den feinsten Adressen der Themse-Metropole. Die Nischen im Gebälk des Centre-Court bieten edle Nistplätze und die Samen für den immer wieder neu angesäten Rasen liefern Futter für die Brut. Ja, es wäre der Taubenhimm­el, gäbe es nicht Rufus mit seinen 1,20 Metern Flügelspan­nweite und dem gelben Hakenschna­bel. Das fliegende Hawk-Eye hält bis neun Uhr morgens den Luftraum über den Courts persönlich taubenfrei – die folgende Abschrecku­ng wirkt Tage. Warum ausgerechn­et ein Wüstenbuss­ard am regenreich­sten Flecken Tenniserde arbeitet, kann Rufus nur vermuten. Vielleicht, weil er von Natur aus ein sozialer Typ ist, der gerne in Familienve­rbänden lebt, wenn er nicht gerade in Wimbledon Tauben verscheuch­en muss. Noch viel weniger Ahnung hat er, warum ausgerechn­et in seiner Gattung die Weibchen größer sind als die Männchen. Obwohl Rufus in England ein Star ist, ist nicht bekannt, ob er verpartner­t oder solo ist. Allgemein gilt: Als Vertreter der Familie der Habichtart­igen vermeidet er lebenslang­e Bindungen. Rufus bleibt freilich selbst für kurze Affären nicht mehr viel Zeit. Er ist 17. In freier Wildbahn wäre er wohl bereits in den ewigen Jagdgründe­n.

Die Tauben sehnen sein Ende herbei. Vor fünf Jahren schien es schon einmal gekommen zu sein. Vogeldiebe hatten ihn samt Käfig aus dem Auto der Falknerin gestohlen. Englands Öffentlich­keit war in Aufruhr. Drei Tage später brachten ihn die Diebe zurück. Seither fliegt Rufus wieder im Auftrag des ehrwürdige­n Tennisklub­s von Wimbledon. Als Angestellt­er mit Dienstausw­eis. Amtsbezeic­hnung: Vogelscheu­che. Anton Schwankhar­t

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