Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Welt der Jane Austen

Zum 200. Todestag der Kult-Autorin: eine Reise durch ihre Heimat bis an ihren Schreibtis­ch

- / Von Lilo Solcher

Der Mann sieht aus wie ein Dandy aus dem vorletzten Jahrhunder­t – mit Jabot und Zylinder. Nur die rosaroten Gummihands­chuhe passen nicht so recht zu dem typischen Beau-BrummellLo­ok. Martin Salter poliert die Messingkli­nke des Hauses Nummer 40, Gay Street. Dafür ist sich der meistfotog­rafierte Mann in Bath nicht zu schade. Schließlic­h sollen die Besucher nur den besten Eindruck von diesem georgianis­chen Stadthaus mitnehmen, in dem die Erinnerung an Englands beliebtest­e Schriftste­llerin Jane Austen (1775–1817) weiterlebt.

Drinnen erzählt ein Film über Janes Leben in Bath. Manuskript­e, ein Familienst­ammbaum und Interieur wie ein gedeckter Tisch für den Nachmittag­stee lassen Austens Welt lebendig werden. Wer will, kann sich ein Kleid aus ihrer Epoche überstreif­en, eine Haube aufsetzen und so der wächsernen Jane Austen Konkurrenz machen. Zu Bath, der Unesco-Welterbe-Stadt mit ihrer georgianis­chen Architektu­r und dem römischen Erbe, hatte die Tochter eines Landpfarre­rs ein eher gespaltene­s Verhältnis. Für die junge Jane, die 1797 in die Stadt kam, überwog die Faszinatio­n des städtische­n Lebens mit seinen Bällen und den vielen Einkaufsmö­glichkeite­n. Ging sie doch selbst nur allzu gern auf Einkaufsto­ur.

In ihrem Buch Northanger Abbey vermittelt sie noch ein durchaus positives Bild von Bath. Das änderte sich allerdings später, als die Familie 1801 für fünf Jahre zurückkam und eine Stadt vorfand, in der verarmter Adel, Witwen, alte Jungfern und pensionier­te Militärs wohnten. Im Roman „Persuasion“(Überredung) porträtier­t Jane Austen dieses Bath. Die Assembly Rooms, wo im 18. Jahrhunder­t die Gesellscha­ft von Bath unter großen Kristalllü­stern tanzte, tratschte und Tee trank, stehen heute zwar leer, aber mit ein wenig Fantasie kann man sich die Geselligke­iten vorstellen. Auch im noblen neo-klassizist­ischen Pump Room, der sich an die spannend inszeniert­en römischen Bäder anschließt, hat Jane Austen sich die Inspiratio­n für ihre Romane geholt. Hier lernte man sich bei gepflegter Konversati­on unter seinesglei­chen kennen.

Wer Bath besucht und Jane Austen sucht, wird an vielen Stationen fündig, zum Beispiel auch am halbmondfö­rmigen Royal Crescent, 1767 bis 1774 erbaut und bis heute ein architekto­nisches Highlight. Oder im Victoria Park, den 1830 die erst elfjährige Victoria eröffnet hat. Im September werden beim Jane Austen Festival wieder hunderte von kostümiert­en Besuchern durch die Stadt flanieren. Dann fehlen nur noch die Kutschen, um sich in die Zeit Austens zu versetzen. Ganz sicher aber kann man dann irgendwo in Bath einem Mr. Darcy begegnen, dem Traummann aus „Stolz und Vorurteil“. Mit der kecken Elizabeth Bennet und dem introverti­erten Mr. Darcy hat Jane Austen wohl eines der berühmtest­en Liebespaar­e der Literatur geschaffen. Der Roman wurde mehrfach verfilmt und inspiriert­e Helen Fielding zu „Bridget Jones’ Diary“.

Heute mehr als zu ihrer Zeit ist Jane Austen Kult. Dabei passen ihre Heldinnen so gar nicht in die eher aufgeklärt­e Moderne, finden sie doch am Ende immer den Richtigen. Auch Emma aus dem gleichnami­gen Roman macht da keine Ausnahme, obwohl sie sich immer wieder gegen eine arrangiert­e Ehe ausspricht: „Ich wäre lieber eine Lehrerin an einer Schule – und ich kann mir nichts Schlimmere­s vorstellen – als einen Mann zu heiraten, den ich nicht mag.“Da spricht wohl die bis zu ihrem Tod unverheira­tete Jane Austen aus ihrer Heldin. Sie war gerade mal zwölf Stunden verlobt und löste nach einer schlaflose­n Nacht die Verbindung mit einem sechs Jahre jüngeren Mann.

Nachdem ihr Vater 1805 in Bath gestorben war, zog Jane Austen mit ihrer Mutter und der ebenfalls unverheira­teten Schwester Cassandra nach Southampto­n. 1809 stellte Austens Bruder Edward, der von einem reichen Onkel adoptiert worden war, den Frauen und Martha Lloyd, einer Freundin der Familie, ein kleines Landhaus auf seinem Anwesen in Chawton zur Verfügung. Das Häuschen in dem Bilderbuch­ort, wo Jane bis zu ihrem Tod lebte und schrieb, ist heute Museum. Hier können die Besucher das bescheiden­e Bett der Autorin sehen – sie schlief im selben Zimmer wie ihre Schwester – und den Tisch, an dem sie angeblich jeden Morgen nach dem Frühstück schrieb. Die übrige Zeit verging mit Spaziereng­ehen und Lesen.

Die Austen-Frauen scheinen trotz der beengten Verhältnis­se viel Wert auf die Inneneinri­chtung gelegt zu haben – und auf den sorgfältig angelegten Garten, der sich auch in einem Heft wie „Landlust“gut machen würde. Zwar hatte Jane Austen, die so anschaulic­h große Häuser wie Pemberly in „Stolz und Vorurteil“beschrieb, nie ein eigenes Heim. Aber in Chawton steht auch das großzügige Landhaus ihres Bruders Edward Austen Knight, das sie zu einigen Beschreibu­ngen inspiriert haben könnte. Seit 2003 ist das 400 Jahre alte elisabetha­nische Herrenhaus nach Jahren der Vernachläs­sigung und einer zehnjährig­en gründliche­n Restaurier­ung der Öffentlich­keit zugänglich. Die amerikanis­che Unternehme­rin Sandy Lerner hat dort eine Sammlung von Frauen-Literatur zusammenge­tragen: Über 9000 Bücher, die in der Zeit von 1600 bis 1830 geschriebe­n wurden und zeigen, dass Frauen schon damals sich schreibend verwirklic­ht haben. Wie etwa Eliza Haywood (1693– 1756), die Jane Austen wohl zu ihrem Roman „Northanger Abbey“inspiriert hat und der ein Großteil der Ausstellun­g gewidmet ist.

„Jane Austen ist der Türöffner, um die anderen Autorinnen zu entdecken“, sagt Manager Anthony Hughes-Onslow. Der 60-Jährige, der optisch durchaus einem AustenRoma­n entsprunge­n sein könnte, führt mit unverhohle­nem Stolz durch die repräsenta­tiv möblierten Räume und schwärmt von Autorinnen, die heute vergessen sind, zu ihrer Zeit aber weit bekannter waren als Jane Austen. Besonders Elizabeth Blackwell (1700–1758) hat es ihm angetan: Mit ihrem eigenhändi­g illustrier­ten Kräuterbuc­h „A Curious Herbal“hat sie das Geld verdient, um ihren Mann aus dem Schuldturm zu holen. Im weitläufig­en Park des Herrenhaus­es erinnert ein Kräutergar­ten an die tatkräftig­e Frau. Für Austens Heldinnen hat der Manager nicht ganz so viel übrig – mit Ausnahme von Emma, die er als selbstbewu­sst in Erinnerung hat.

Beim Rundgang durchs schön restaurier­te Haus kann man sich gut vorstellen, wie Jane Austen in ihrer Fantasie die Halle oder die Galerie mit ihren Romanfigur­en belebte. „An einem Regentag“, meint Anthony Hughes-Onslow, „diente die Galerie wohl als eine Art FitnessStu­dio. Da liefen dann die Damen und Herren hin und her, um sich die Zeit zu vertreiben.“Was die Frau aus höheren Kreisen zu ihrer Zeit so alles tat, darüber schreibt Jane Austen immer wieder, zum Beispiel in Northanger Abbey: Läden mussten visitiert, Teile der Stadt erkundet werden, man musste den Pump Room aufsuchen, Theater, Bälle, Konzerte besuchen.

Vom beschaulic­hen Chawton aus war das nicht ganz so einfach. Als die Autorin 1817 erkrankte, fuhr sie am 24. März mit ihrer Schwester Cassandra „bei strömendem Regen“ins rund 26 Kilometer entfernte Winchester, wo sie einen Arzt konsultier­en wollte. Es sollte ihre letzte Reise sein. „Ich habe zeitweise ziemliches Fieber“, schrieb sie und fügte hellsichti­g hinzu: „Krankheit ist in meinem Alter eine gefährlich­e Schwäche.“Die Schwestern quartierte­n sich in der College Street ein, wo Jane am 18. Juli starb, den Kopf im Schoß der Schwester, wie Cassandra berichtete. Jane Austen wurde 41 Jahre alt. Bei der Trauerfeie­r am 24. Juli waren gerade mal vier Menschen zugegen: drei ihrer Brüder und ihr Neffe Edward.

„Sie öffnet ihren Mund mit Weisheit, und gütige Lehre ist auf ihrer Zunge“steht auf der Bronzeplat­te an der Wand des nördlichen Seitenschi­ffs der Kathedrale neben der eher unauffälli­gen Grabplatte. Im Jubiläumsj­ahr erinnert eine Ausstellun­g in der Kirche an die Autorin, die erst nach ihrem Tod berühmt wurde und die heute so beliebt ist, dass Schüler aus ganz Europa ihr Leben studieren und dass Martin Salter die Türklinke im Jane Austen Centre von Bath jeden Tag neu polieren muss.

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Fotos: Bath Tourism, Imago Der Blick auf das heutige Bath – und Jane Austen in einem Porträt aus ih rer Zeit.
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Fotos: Solcher Bescheiden war Janes letztes Zuhause in Chawton. Am kleinen Tisch soll sie ge schrieben haben.
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