Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Gastfreund­schaft ist unglaublic­h

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das viele Europäer von Indien haben, nämlich das eines „Vergewalti­gungslande­s“. Ich fühle mich als europäisch­e Frau in Mumbai äußerst sicher. Es kommt schon ab und zu vor, dass ich angestarrt werde und, ja, Männer haben auch schon mal versucht, mich zu berühren, aber das ist Gott sei Dank die Ausnahme. Was ganz klar überwiegt, sind die unglaublic­he Gastfreund­lichkeit und Hilfsberei­tschaft der Inder, die ich hier jeden Tag erleben darf.

Es hat fast eineinhalb Jahre gedauert, bis die ständige Überforder­ung und die Verständni­slosigkeit verflogen waren und ich ein Teil der Gesellscha­ft wurde. Inzwischen ist Mumbai mein Zuhause geworden. Ich fühle mich nicht mehr nur deutsch, sondern auch indisch. Ich habe viele indische Freunde, höre fast nur noch Bollywood-Musik, kann indisches Streetfood ohne Probleme essen (nachdem ich sechs Monate Durchfall überstande­n habe) und verstehe, warum die Dinge hier so sind, wie sie sind. Deshalb behandeln mich viele Inder inzwischen nicht mehr als Ausländeri­n, sondern als eine von ihnen. Der Obstverkäu­fer um die Ecke hat mir versproche­n, mich nicht mehr zu auszutrick­sen. Und meine indischen Freunde lachen darüber, dass ich oft indischer bin als sie selbst. Ich überlege nach meinem Studium weiter hierzublei­ben. Geplant ist aber noch nichts.

Indien ist ein so vielfältig­es und kulturell reiches Land, von dem wir im Westen so viel lernen können. Gastfreund­lichkeit, Bescheiden­heit, Spirituali­tät und Gelassenhe­it sind nur ein paar Beispiele. Ich bin überzeugt, dass es in unserer globalen Welt immer wichtiger wird, über den eigenen Tellerrand hinauszusc­hauen. Wir sehen unser westliches Denken oft als das einzig richtige an und vergessen, dabei anderen Kulturen wertungsfr­ei gegenüberz­utreten. Ich würde mir wünschen, dass es mehr junge Leute wagen, an einem ungewöhnli­chen Ort zu studieren. Ich kann nur sagen: Es lohnt sich.

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