Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Ringen um die Kirche im Dorf

Reform Vor fünf Jahren erntete der Augsburger Bischof einen Proteststu­rm, weil er das katholisch­e Bistum umstruktur­ierte. Damit reagierte er auf sinkende Priesterza­hlen. Wie Gläubige und Verantwort­liche heute zu dem Vorhaben stehen

- VON DANIEL WIRSCHING

Der katholisch­e Pfarrer aus der Diözese Augsburg hat diesen Satz oft gehört, auch andere Pfarrer kennen ihn: „Der Pfarrer kümmert sich nicht um uns.“Er spricht über die Belastunge­n, die es mit sich bringt, Pfarrer einer Pfarreieng­emeinschaf­t zu sein, zerrieben zu werden zwischen den Erwartunge­n der Gläubigen und den eigenen Ansprüchen. Zwischen Seelsorge und Verwaltung. „Viele von uns müssen von einem Gottesdien­st zum anderen hetzen, weil es eben so wenige Pfarrer gibt“, sagt er. Er hat auch diesen Satz oft gehört: „Sie haben ja so viel zu tun.“Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen.

*** Das Bistum Augsburg reagierte auf den Priesterma­ngel so, wie es Bistümer in ganz Deutschlan­d tun. Sie legen Pfarreien zu größeren Einheiten zusammen, zu Pfarreieng­emeinschaf­ten. Vor fünf Jahren, am 13. Juli 2012, setzte Bischof Konrad Zdarsa die „Pastorale Raum- und Personalpl­anung 2025“für seine Diözese in Kraft – eine damals heftig umstritten­e Strukturre­form.

*** Tausende Katholiken fordern Anfang 2012: „Unsere Kirche muss im Dorf bleiben.“Sie sind entrüstet über die Pläne des Bischofs und wie er über sie spricht. Die Gläubigen müssten bereit sein, „in den Zug einzusteig­en und in die vorgegeben­e Richtung mitzufahre­n“. Die Gläubigen aber fürchten, dass Kirchen geschlosse­n werden; dass kleine Pfarreien in „Monster-Gemeinden“untergehen und Pfarrgemei­nderäte aufgelöst werden. Sie bilden Menschenke­tten um Gotteshäus­er, ziehen mit Protest-Plakaten vor den Dom. Ein Jahr später schien Ruhe eingekehrt zu sein. Dabei blieb es.

*** Täuscht der Eindruck? „Nein“, sagt selbst der Sprecher des kritischen „Initiativk­reis Bistumsref­orm“, Robert Sauter. „Das bedeutet aber nicht, dass die Probleme gelöst sind.“Er kenne Orte in der Diözese, da habe die Kirche kein Gesicht mehr, da gebe es niemanden mehr, an den sich Gläubige wenden könnten: keinen Pfarrer, keinen Kaplan. „Das befördert die Entfremdun­g der Menschen von der Kirche.“

*** Marlies Kohnheisne­r aus Buch bei Kutzenhaus­en im Kreis Augsburg engagiert sich seit Jahren als Mesnerin. Sie erlebte mit, wie eine Pfarrei nach der anderen zur Pfarreieng­emeinschaf­t Dietkirch hinzukam. Ein Ganzes würden die sechs Pfarreien

lange nicht bilden, weil jede ihre eigenen Traditione­n habe, sagt die 62-Jährige. Und im Moment einen Pfarrer und einen Kaplan aus Indien. „Die sind für so ein großes Gebiet zuständig, die können gar nicht all das leisten, was früher möglich war.“Früher sei alle vier Wochen in der St.-Alban-Kapelle in Buch Gottesdien­st gefeiert worden, heute alle zwei, bisweilen alle vier Monate. Wer kann, fährt am Wochenende zum Gottesdien­st ins benachbart­e Kutzenhaus­en. Ins fünf Kilometer entfernte Dietkirch fährt

kaum einer. Gerade für Ältere, die nicht so mobil sind, sei das schwierig. „Viele Leute gehen an ihrem Ort in die Kirche oder gar nicht mehr“, sagt Marlies Kohnheisne­r. Aus ihren Worten spricht Verständni­s und Frust gleicherma­ßen.

*** Der Generalvik­ar des Bistums, Harald Heinrich, hat den Eindruck, dass die Raumplanun­g inzwischen gut angenommen wird. Dies liege auch daran, dass man einen Wunsch, der aus Pfarreien und von Pfarrern gekommen sei, aufgegrifn­och

fen habe: „Eine wirksame Unterstütz­ung in der Verwaltung, damit die Priester mehr Freiräume für die Seelsorge bekommen.“Deshalb seien neue Stellen in den Pfarrbüros geschaffen worden. „Es wurden und werden auch Verwaltung­sleiter eingestell­t, und wir haben das ,Zentrum KITA‘ gegründet, das die Pfarreien bei der Verwaltung von Kindertage­seinrichtu­ngen wirksam und kompetent entlastet“, sagt er. 90 Kitas würden schon so betreut.

*** Karl Eder ist Geschäftsf­ührer des Landeskomi­tees der Katholiken in Bayern, ein Zusammensc­hluss der Diözesanrä­te und katholisch­en Organisati­onen. Eder ist in diesen Tagen damit beschäftig­t, eine Zusammensc­hau zu erstellen über den Stand der Umstruktur­ierungspro­zesse in den Bistümern. Diese werden ein großes Thema sein bei der Herbstvoll­versammlun­g des Landeskomi­tees. Es hatte Fragebögen an die Diözesanrä­te geschickt und sie gebeten, ihre Erfahrunge­n zu schildern. Eders bisherige Erkenntnis: „Die pastoralen Räume werden zusehends größer. Wie man Hauptund Ehrenamtli­che allerdings einsetzt, um kirchliche Angebote aufrechtzu­erhalten, ist sehr unterschie­dlich. Vieles ist noch im Fluss.“

*** Der Pfarrer, der anonym bleiben möchte, spricht über ein bei Gläubigen verbreitet­es Besitzstan­dsdenken und Verlustäng­ste. Die Einsicht, dass ein Pfarrer nicht fünf ersetzen könne, sei da. Aber wenn das eigene Pfarrheim geschlosse­n werden müsse, sei die Aufregung groß. Wichtige Aufgabe eines Pfarrers sei heute, die Gemeindemi­tglieder miteinande­r in Kontakt zu bringen. Durch Pfarrfeste, Ausflüge. Das Zusammenwa­chsen werde Jahrzehnte dauern.

*** Als Pfarrgemei­nderatsvor­sitzender von St. Konrad in Augsburg-Bärenkelle­r ist Karl Knöpfle einer von mehr als 10 000 Menschen, die sich in der Diözese in Pfarrgemei­nderäten engagieren. Anfangs, sagt der 63-Jährige, habe es überhaupt keine Berührungs­punkte unter den einzelnen Pfarreien seiner Pfarreieng­emeinschaf­t gegeben. „Wir waren uns fremd und wollten nicht zusammen.“Schließlic­h sei die Erkenntnis gewachsen: „Wenn wir in Zukunft bestehen wollen, müssen wir uns zusammenra­ufen.“Es seien bereits Freundscha­ften entstanden.

*** Unsere Kirche muss im Dorf bleiben? Hildegard Schütz, die Vorsitzend­e des Diözesanra­ts der Katholiken im Bistum Augsburg, meint: Wenn es unserer Kirche in Zukunft nicht gelingt, nahe bei den Menschen zu sein, wird sie zunehmend verdrängt, etwa aus dem Bereich Gesundheit­swesen. Sie denkt auch an freie Theologen, die Hochzeiten oder Beerdigung­en gestalten. Sie erhofft sich für die Zukunft eine „echte Zusammenar­beit von Priestern und Laien“. Ihr Herzensanl­iegen: Wer vor fünf Jahren für die Kirche vor Ort gekämpft habe, solle sich weiter engagieren. Als Kandidat bei den Pfarrgemei­nderatswah­len am 25. Februar 2018.

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 ?? Archivfoto: Fred Schöllhorn ?? Tausende zogen im April 2012 vor den Augsburger Dom – aus Verärgerun­g über die „Pastorale Raum und Personalpl­anung 2025“. Ihre Hauptforde­rung an Bischof Konrad Zdarsa lautete: „Unsere Kirche muss im Dorf bleiben.“
Archivfoto: Fred Schöllhorn Tausende zogen im April 2012 vor den Augsburger Dom – aus Verärgerun­g über die „Pastorale Raum und Personalpl­anung 2025“. Ihre Hauptforde­rung an Bischof Konrad Zdarsa lautete: „Unsere Kirche muss im Dorf bleiben.“

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