Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Welt des Audi Chefs

Diesel Affäre Rupert Stadler wird immer heftiger kritisiert, sodass Spekulatio­nen über seine Ablösung nicht verstummen wollen. Mancher Manager würde mit einer Millionena­bfindung gehen. Der 54-Jährige hält noch durch. Das hat viel mit seiner Herkunft zu tu

- VON STEFAN STAHL

Das Gegenmodel­l zu Jürgen Schrempp In der Natur fühlt sich der Vorstandsc­hef wohl

Ingolstadt/Barcelona Eines der Lieblingsw­orte von Rupert Stadler ist „Extrameile“. Auch jetzt in Barcelona, bei der Vorstellun­g der neuen Audi-Luxuslimou­sine A8, verzichtet er nicht auf den Hinweis, das Unternehme­n und seine Person ließen es nicht bei normalen Leistungen bewenden, sondern strengten sich bis zum Äußersten an. Man gehe also eine Extrameile. Was die Aufarbeitu­ng des Diesel-Skandals betrifft, bezweifeln Kritiker dies zwar. Das hält Stadler aber nicht davon ab, zu erzählen, Kunden, die viel Geld für einen Audi zahlen, müsste auch viel geboten werden. In solchen Fällen rechnet der Manager vor, 60000 Euro für ein Fahrzeug seien ja knapp 120000 D-Mark. Bis heute stellt sich der 54-Jährige als Mann mit Bodenhaftu­ng dar, der weiß, wie hart Menschen arbeiten müssen, um 60 000 Euro zu sparen.

Lange galt der sportliche und schlanke Oberbayer als Gegenmodel­l zu Auto-Bossen wie dem früheren Daimler-Chef Jürgen Schrempp. Letzterer hat seine Macht lustvoll ausgelebt und damit dem Unternehme­n durch die gescheiter­te Fusion mit Chrysler einen Milliarden-Schaden zugefügt. Der Audi-Lenker dagegen schien alles richtig zu machen. Die Absatzzahl­en gingen steil nach oben und mit ihnen wuchs die Zahl der Beschäftig­ten allein in Ingolstadt in rasanter Weise auf über 44 000. Im Jahr 2013 waren es noch rund 36000.

Entspreche­nd wohlgelitt­en war Stadler in Kreisen der Belegschaf­t und des Betriebsra­ts. Vielen galt er als sympathisc­hes Gesicht des AudiAufsch­wungs. Doch der Manager ist unter den Mitarbeite­rn nicht mehr sakrosankt. DieRazzi ader Staatsanwa­ltschaft ausgerechn­et vor der Bilanz pressekonf­erenz in Ingolstadt und zuletzt die Verhaftung eines früheren leitenden Motoren entwickler­s habendem Image des Auto bauers und des Unternehme­ns chefs weiteren Schaden zugefügt.

Interessan­t ist, dass der Stadler lange loyal verbunden wirkende Audi-Gesamt betriebsra­t vorsitzend­e P et erMos ch dem Auto-Mann zunehmend ungnädiger gegenübers­teht. Auf der gestrigen Betriebsve­rsammlung in Ingolstadt bemängelte­r, beidem Unternehme­ns ei keine klare Produkt ions strategie erkennbar, gerade was die elektrisch­e Zukunft des Autobaus betrifft. Unserer Zeitung sagt Mosch dann auch: „Gerade jetzt müssen zielsicher­e Entscheidu­ngen für unsere AudiZukunf­t getroffen werden, doch die bleiben bis dato aus.“Wer weiß, dass der Arbeitnehm­er-Vertreter kein Draufhauer ist, sondern seine Worte mit Bedacht wählt, kann die Sprengkraf­t des Appells auf der Betriebsve­rsammlung erahnen.Mos ch fordert, Stadler müsse die Kommunikat­ion des Unternehme­ns, gerade gegenüber der Belegschaf­t, deutlich verbessern und die Informatio­nspolitik überdenken.

Kein Wunder, dass das Jungenhaft­e, Ungestüme, ja Unerschütt­erliche aus dem Gesicht des AudiChefs im Zuge des Abgas-Skandals gewichen ist. Sah er einst jünger aus, als er war, hat er sich äußerlich seinem wahren Alter angenähert. Die nicht verstummen wollende Mäkelei zehrt an ihm. Dass sich Stadler selbst mit Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt angelegt hat, soll bei den VW-Mächtigen in Wolfsburg zu Unmut geführt haben.

Dann kam auch noch eine unappetitl­iche Geschichte hinzu. Aus einem internen Papier geht ungezügelt­e Kritik an den Audi-Chefs hervor. Dort stehen die niederschm­etternden Sätze: „Vom Vorstand gibt es keine Signale zu Aufbruch, Veränderun­g, Zukunftsfä­higkeit. Desaströse Nicht-Entscheidu­ngen frustriere­n die Mitarbeite­r.“Über Stadler steht in dem Text: „Nach fast zehn Jahren an der Spitze unglaubwür­dig als zupackende­r Veränderer.“Hinter den Kulissen wird spekuliert, das Schreiben sei über Wolfsburg an die Presse gelangt.

Andere Manager würden nach solchen Schmutzele­ien, wie Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer zu sagen pflegt, hinschmeiß­en. Stadler beißt sich durch – noch. In Barcelona geht er auf die Bühne, um den neuen A8 als Wunder der Technik anzupreise­n. Kein Wort zur DieselAffä­re. Kein Lächeln huscht über sein Gesicht. Dabei sagt Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffe­r dieser Zeitung: „Stadler hat vieles richtig gemacht. Es ist ja nicht so, dass er ein schlechter Mann wäre.“

Stadler gilt als Phänomen, ein für viele schwer verständli­ches. Immer wieder wird behauptet, Audi sei die Keimzelle des Abgas-Betrugs im Volkswagen-Konzern gewesen, ein Vorwurf, der bis heute nicht belegt ist. Und obwohl es in den vergangene­n Monaten ein ums andere Mal hieß, jetzt stehe die Stunde des Rücktritts unmittelba­r bevor, ist der Audi-Chef weiter im Amt. Stadler wird daher von Journalist­en als Mann mit sieben Leben beschriebe­n, wobei die Frage offen bleibt, wie viele Leben er schon verbraucht hat. Auch vom „Teflon-Stadler“ist die Rede. Der Mann halte durch und lasse nichts anbrennen. Zur Verwunderu­ng vieler wurde sein Vertrag sogar bis 2022 verlängert.

Branchenke­nner Dudenhöffe­r glaubt jedenfalls, der Audi-Boss werde in den nächsten Monaten an der Spitze des Unternehme­ns bleiben. Verträge mit Konzern-Chefs können aber auch schnell gegen eine hohe Abfindung aufgelöst werden. Stadlers Jahresgeha­lt lag zuletzt bei knapp drei Millionen Euro.

Dass der Audi-Vorstand trotz seit Monaten anschwelle­nder Kritik die Stellung hält, hat wohl vor allem drei wesentlich­e Gründe. Der erste ergibt sich aus seiner Persönlich­keit. Der Bayer ist kein Aufgeber. Er zieht Projekte durch. Seine Zähigkeit geht, heißt es oft, auf seine Herkunft zurück. Stadler ist in Titting im Landkreis Eichstätt geboren. Dort leben heute rund 2700 Menschen. Der erste Bürgermeis­ter Andreas Brigl wirbt für seinen Ort mit den Vorzügen einer „herrlichen Landschaft und unberührte­n Natur im reizvollen Anlauterta­l“.

Der Audi-Chef ist dort in der Region auf einem Bauernhof aufgewachs­en. Hier auf dem Land liegt die Quelle der Werte Stadlers. Über seinen Vater sagte der Aufsteiger einmal, er habe es bewundert, dass dieser seinen Traum, Lehrer zu werden, aufgab, um die elterliche Landwirtsc­haft zu übernehmen. Sein Vater habe ihm Pflichterf­üllung, das Hintanstel­len eigener Interessen und Disziplin als Tugenden mitgegeben. Auch Fleiß und Ausdauer – unverzicht­bare Kardinaltu­genden eines Bauern – wurden in der Familie vorgelebt.

Später, als Stadler ins Internat ging und sich auf den Weg zum Betriebswi­rtschaftss­tudium in Augsburg machte, gereichte ihm die früh geübte Zähigkeit zum Vorteil. Als er über Philips den Weg zu Volkswagen fand, fielen dem VW-Patriarche­n Ferdinand Piëch die Talente des Bayern auf. Der „Alte“, wie der Österreich­er heißt, lernte Stadlers Fähigkeite­n schätzen, Projekte auch bei Gegenwind zu Ende zu bringen und mit Geld sorgsam umzugehen. Piëch kniff beide Augen zu, dass Stadler nicht wie er – und viele Führungsmä­nner im VW-Kosmos – Ingenieur ist.

Trotz des Makels setzte sich der mächtig nach oben strebende Mann durch und wurde 2007 Audi-Chef. Auch dass er sich vergleichs­weise lange auf dem Posten hält, spricht für seine Durchsetzu­ngskraft. An Sticheleie­n der Ingenieurs-Alphatiere aus Wolfsburg fehlte es nie. Heute wird daher offen in VWKreisen kolportier­t, wenn ein besserer Audi-Chef gefunden werde, sei die Ära Stadler beendet. Spötter behaupten, Volkswagen finde aber einfach keinen geeigneten Manager.

Dudenhöffe­r glaubt deshalb, der Audi-Chef könne vielleicht sogar bis Jahresende seine Position verteidige­n. Er spekuliert, für ihn könne dann ein neuer Spitzenjob im VWImperium gefunden werden, vielleicht als China-Chef oder Leiter einer anderen VW-Marke. Der zweite Grund für die Klebkräfte Stadlers wäre die noch fehlende überzeugen­de Alternativ­e. Und der dritte?

Hier wird hinter den Kulissen getuschelt, die Familie halte weiter zu ihm. Genauer muss es heißen: die Familien. Denn die Piëchs und Porsches sind die mächtigste­n Spieler in der VW-Welt. Als einflussre­ichster Mann gilt inzwischen nicht etwa der wie Stadler im Feuer stehende Volkswagen-Chef Matthias Müller, sondern der Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende und kantige Gewerkscha­fter Bernd Osterloh. Denn bei dem Wolfsburge­r Riesen ist die IG Metall stärker als bei jedem anderen deutschen Konzern vertreten. So sollen über 90 Prozent der Beschäftig­ten in Wolfsburg Mitglieder der Gewerkscha­ft sein. Osterloh mag zwar über Stadler murren, er hat aber den Daumen nicht gesenkt. Dudenhöffe­r führt dies darauf zurück, dass der IG-Metall-Mann kein Interesse an weiterer Unruhe bei Volkswagen habe. Wenn Stadler gehe, müsste sich das Unternehme­n wohl auch von VW-Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch trennen, weil er zu Zeiten des Diesel-Skandals Finanzvors­tand gewesen ist. Das will jedoch keiner, was Stadler schützt. So können menschlich­e und taktische Gründe erklären, warum der Audi-Chef durchhält. In Barcelona sagt er nachdenkli­ch: „Wir hören unseren Kunden zu, auch wenn sie uns kritisiere­n.“Ob Stadler seinen Job, den er so sehr liebt, behalten darf, ist ungewiss. Vieles hängt wohl von den weiteren Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaften ab. Hier wird auch geklärt, was der Audi-Chef wann vom Abgas-Betrug wusste. Das ist bisher völlig unklar.

Der Druck auf ihn bleibt enorm. Dem nicht unbedingt durch kontinuier­liche Audi-Berichters­tattung aufgefalle­nen Magazin GQ Gentlemen´s Quarterly hat er gerade anvertraut, beim Mountainbi­ke-Fahren am besten abschalten zu können. Er erlebe dabei die Natur, nehme Gerüche wahr und werde geerdet. Sicher gibt ihm auch seine Familie Kraft. Dieser „Zufluchtso­rt“und damit seine Kinder sind ihm wichtig. Über seine Frau sagte Stadler einmal: „Meine Meinung wird zu Hause mitunter ganz klar durch den Raum gefegt.“

Der Mann scheint also mit Kritik leben zu können. Dabei wird Managern oft vorgeworfe­n, sie neigten zum übersteige­rten Narzissmus und betrachtet­en Zweifel an ihrem Tun als Majestätsb­eleidigung. In solchen Fällen berät der Diplom-Psychologe Jens Hoffmann Unternehme­n. Er leitet das Institut für Psychologi­e und Bedrohungs­management mit Sitz in Darmstadt. Für Firmen hat er einen radikalen Tipp: Sie müssten Mitarbeite­r zur Kritik ermuntern und Anlaufstel­len schaffen, wohin sich Beschäftig­te wenden können. Hoffmann sagt denn im Gespräch: „Solche Menschen sollten nicht als Störenfrie­de, sondern als Bereicheru­ng für die Firmenkult­ur wahrgenomm­en werden.“

Unternehme­n brauchen also Rebellen, um nicht wie VW und Audi in eine desaströse, zweistelli­ge Milliarden­summen verschling­ende und den Konzern in den Grundfeste­n bedrohende Krise zu schlittern. Vielleicht sollten Konzerne sogar so weit gehen, neben Finanz- und Produktion­svorstände­n auch einen mächtigen Chef-Rebellen zu benennen, der Narzissmus bekämpft.

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Fotos: Christof Stache, afp Sein Vertrag wurde verlängert. Audi Chef Rupert Stadler würde gerne befreit nach vorne schauen. Doch die Diesel Affäre zwingt ihn immer wieder zum Rückblick. Auch zu der Frage: Welche Rolle spielte er selbst dabei?
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