Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Seele der Löwen: mehr Herz als Verstand

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger allgemeine.de

Sagen wir mal so: Als Löwen-Fan gehört das schiere Überleben schon zu den größeren Erfolgen der Vereinsges­chichte. Gut, das ist vielleicht ein bisschen wenig, um es auf den Wimpel zu drucken. Anderersei­ts: Da wäre viel Platz. Weil seit ziemlich genau 50 Jahren ist ja in dem Sinne nichts Neues dazugekomm­en. Wenn man mal von ein paar glorreiche­n Aufstiegen und mehreren dramatisch­en NichtAbsti­egen absieht. Und natürlich von dieser einen Saison, in der wir es in die Champions League geschafft haben. Also fast zumindest. Aber das ist doch auch schon was.

Und jetzt also Regionalli­ga. Die Kollegen schreiben von einem beispiello­sen Absturz. Freilich. Aber der echte Fan lässt sich im Löwenstübe­rl an der Grünwalder­straße von einer missmutige­n Bedienung noch ein Weißbier bringen und murmelt ein „Ja, mei“in den Schaum, der in sich zusammenfä­llt wie die hochfliege­nden Pläne vom Scheich. Dass der Hasan Ismaik gar kein richtiger Scheich ist, sondern bloß ein sogenannte­r Geschäftsm­ann, passt übrigens gut ins Bild. So ist das halt bei Sechzig: Oft reichts eben nur zum „fast“.

Für uns Löwen ist Fußball vor allem die Erinnerung an Fußball. An die gute alte Zeit. Und dabei liegt die Betonung stets eher auf dem alt als auf dem gut. Weil so richtig gut war es ja höchstens ein paar Jahre lang. Damals, als der Radi die Meistersch­ale in den Giesinger Himmel streckte. Damals, als die meisten Anhänger von heute noch gar nicht geboren waren. Ohne das exzessive Ausleben nostalgisc­her Gefühle ist dieser Verein überhaupt nicht zu erklären. Das ewige Chaos, dieser fortgesetz­te Dilettanti­smus an der Spitze ist vielen Fans inzwischen völlig wurscht, solange sie einfach nur wieder heimdürfen. Heim ins Grünwalder­stadion. Der marode Sportplatz ist ein Spiegelbil­d der Fan-Seele – auch dort ist mit den Jahren einiges kaputtgega­ngen, auch dort ist Gefühl wichtiger als Verstand.

Wahre Liebe kennt keine Liga, sagen viele Sechzger jetzt trotzig. Und so werden wir jetzt also die Bolzplätze in Schalding-Heining und Buchbach bevölkern und hoffen, dass nicht zu viele Deppen mitkommen, die schon nostalgisc­he Gefühle entwickeln, wenn sie mal wieder ein Vereinshei­m zerlegen können. Wir werden vom Aufstieg träumen und von früher erzählen. Und am Ende werden wir vielleicht doch einfach nur froh sein, überlebt zu haben. Mal wieder. O

war als Sechsjähri­ger erstmals im Grünwalder­stadion. Nor malerweise schreibt er über Politik. Heute hat er mal eine Ausnahme gemacht.

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