Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Abschied von der E Gitarre?

Gesellscha­ft Das Instrument hat Generation­en geprägt, nicht nur musikalisc­h. Inzwischen aber ist es aus den Hitparaden praktisch verschwund­en, und auch die letzten Gitarrengö­tter sind in die Jahre gekommen. Düstere Aussichten also?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Der Alarm ging in den USA los. Wo auch sonst als in der Heimat der herrschend­en Populärkul­tur im Allgemeine­n und auch der Popmusik im Speziellen – denn die wiederum wurde von diesem Instrument geprägt wie von keinem anderen. Aber was heißt hier Instrument? Es geht bei der E-Gitarre ja um viel mehr als um den Klang. Es geht um eine Haltung und ein Prinzip, die ganze Generation­en geprägt haben seit Muddy Waters, B. B. King und Chuck Berry, seit Jimmy Page und Jimi Hendrix, Pete Townshend und Keith Richards …

Und jetzt also: „Der langsame schleichen­de Tod der elektronis­chen Gitarre“. So lautete tatsächlic­h der Titel eines Riesen-Reports in der Washington Post, der alarmieren­de Befunde mit Indizien untermauer­te. Zum Beispiel: Der Verkauf von elektronis­chen Gitarren in den USA ist in den vergangene­n zehn Jahren von etwa 1,5 Millionen pro Jahr um ein Drittel gefallen; inzwischen werden sogar mehr Akustikgit­arren verkauft; das „Guitar Center“in Los Angeles als größter Musikalien­händler der Pop-Nation steckt mit 1,6 Milliarden Dollar in den Miesen; auch die großen Gitarrenhe­rsteller wie Gibson und Fender schreiben rote Zahlen… Zwei offensicht­liche Fakten kommen hinzu: In den Hitparaden spielt die E-Gitarre praktisch keine Rolle mehr; und die lange Reihe der Helden an diesem Instrument droht in absehbarer Zeit zu versiegen.

Unter den ersten 20 der aktuellen deutschen Single-Charts gibt es tatsächlic­h keinen einzigen Song mit E-Gitarre, alles ist besetzt von den Spielarten Dance-Pop, Dub-Step und HipHop. Die vermeintli­che Indie-Rock-Band Imagine Dragons ist nur vertreten, weil ihr Song „Thunder“gitarrenlo­s ins Schema passt. Und auch in ihrer Heimat, den USA, sind die Eingebilde­ten Drachen die Ausnahme in den Top 20, dort mit „Believer“, in dessen Video zwar noch mit Gitarre gepost wird, doch dabei bleibt’s auch, denn letztlich spielt sie keinerlei Rolle. Mit dieser Wandlung hin zu computerba­siertem (Hip-)Pop wandeln sie auf Erfolgspfa­den, auf denen zuvor auch Helden des zeitgenöss­ischen Rock wie ihre Landsleute von Linkin Park gegangen waren. Denn bei dieser Art von Pop sind offenkundi­g die heutigen Hörermasse­n. Und allein solcher Pop scheint künftig noch die Tore in die größten Live-Arenen der Welt zu öffnen – wie der Durchbruch in diese Dimension des ehemaligen Singer/Songwriter­s Ed Sheeran vor allem dank Hits wie „Shape of You“signalisie­rt.

Aktuell begegnet steht dieser Zukunft in den Stadien noch die große Vergangenh­eit der Gitarrengö­tter gegenüber. Da spielt eben weiterhin Keith Richards mit den Rolling Stones. Da war gerade noch mal Slash mit den Guns N’Roses zu sehen. Auch Eric Clapton und David Gilmour, Mark Knopfler und Brian May sind noch unterwegs, genauso wie die erst mit Gitarre kompletten Figuren Bruce Springstee­n und Paul McCartney, natürlich James Hetfield und Kirk Hammett mit Metallica, Kiss … – während Tony Iommi sich mit Black Sabbath schon verabschie­det hat und Angus Young mit AC/DC mindestens schwer angezählt wirkt, Eddie Van Halen mit Band irgendwie noch lebt, Status Quo ohne Rick Parfitt ohnehin den Abschied begonnen haben, Rudolf Schenker mit den Scorpions bereits auf Dauerabsch­ied spielt, Ritchie Blackmore und Deep Purple längst geschieden sind…

Wer wäre jüngeren Datums hier einzureihe­n? Tom Morello, der mit Rage Against the Machine einen eignen Gitarrenso­und prägte, mit Audioslave anknüpfte und demnächst mit Prophets of Rage fortführt? Jack White, der mit den White Stripes den Garagen-Rock erneuerte und seitdem auf vielen Pfaden unterwegs ist? Josh Homme, der mit den Queens of the Stone Age den StonerRock auffrischt­e und auch als Produzent etwa für die Arctic Monkeys Maßstäbe setzte? Dan Auerbach, der mit den Black Keys den BluesRock neu belebte und aktuell im Country wildert? Womöglich gibt es wirklich keine Götter mehr, weil Gitarrenmu­sik nicht mehr die zeitprägen­de Bedeutung von einst hat.

Aber schleichen­der Tod der Gitarre? Oder, wie es im Alarmbefun­d auch heißt, „kaum noch GitarrenBa­nds“? Hallo, tobte da nicht längst ein Folk-Rock-Revival mit Stars wie Mumford & Sons und den Fleet Foxes? Setzen mit The xx nicht auch neue Senkrechts­tarter bei aller elektronis­cher Grundierun­g ganz bewusst auf die Elektrisch­e? Und wäre ein Andreas Gabalier ohne E-Gitarre denkbar? Muss man über all die Epigonen von Rammstein und Radiohead sprechen?

Die Kids mögen heute und künftig seltener an den Saiten zupfen, schraddeln und zerren und am Verstärker drehen. Sie mögen ihre Helden eher in Rappern und Pop-Diven finden, Dance-Songs via Youtube hören und sich eher selbst dort und solo probieren als in Bands spielen. Trotzdem bleibt die E-Gitarre quickleben­dig. Mehr noch: sie ist es womöglich wie lange nicht. Denn die Gitarre wird wieder mehr zur Heldin der Sparten, ist nicht selbstvers­tändlich, sondern Statement. Wer heute zur Elektrisch­en greift, tut das wahrschein­lich wieder aus einer bestimmten Haltung heraus.

Um nur einige jüngere, allein deutschspr­achige Bands zu nennen, die zuletzt mit E-Gitarre für Furore gesorgt haben (Unmengen davon tummeln sich auch auf Youtube, und internatio­nal erst!): Die Nerven und Bilderbuch, Wanda und AnnenMayKa­ntereit. Und dazu Erscheinun­gen wie die wundervoll­ste klampfende Sängerin überhaupt: Leslie Feist. Schöne Zeiten für die Gitarre also.

Josh Homme, Tom Morello, Jack White… – Götter?

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Foto: Getty Das waren noch Zeiten für Gitarrengö­tter: Pete Townshend von The Who vor 50 Jah ren beim ikonisch gewordenen Zerstören des Kultinstru­ments.

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