Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was von Athens Documenta bleiben wird

Kunst Am Sonntag schließt der griechisch­e Ableger der Kasseler Großausste­llung. Eine Bilanz

- VON CHRISTA SIGG

Man kann sich diese Ruhe gar nicht mehr vorstellen. Dabei ist es gerade mal vier Monate her, dass das EMST, Athens Museum für Zeitgenöss­ische Kunst, aus dem Tiefschlaf gerüttelt wurde. Die Documenta brauchte Raum, und das 2013 umgebaute Gebäude einer ehemaligen Brauerei bot die idealen Voraussetz­ungen: Es ist riesig, und es stand quasi leer, weil das Geld für einen adäquaten Betrieb fehlt.

Wenn nun am Sonntag der griechisch­e Teil der Documenta 14 zu Ende geht, könnte es ganz schnell wieder still werden. Das fällt umso mehr auf, als draußen, wenige Meter entfernt im Umfeld der Metrostati­on Syngrou Fix, die Hölle los ist. Doch vielleicht passiert ja das, was nicht nur die Handvoll EMSTMitarb­eiter hofft, aber natürlich nie ausspreche­n würde: dass die erneute Schließung einfach zu peinlich wäre. Peinlich für eine Stadt, die in der Kunstwelt ausnahmswe­ise mal ohne die Antike für Aufsehen sorgen konnte. Peinlich für die Politiker, die es sich nicht nehmen ließen, neben Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier glückselig in die Kameras zu lächeln.

Freilich, es redet sich leicht in Deutschlan­d, das von den Kulturscha­ffenden dieser Welt um sein immer noch beispiello­ses staatliche­s Subvention­smodell beneidet wird. Und wer die Demonstrat­ionen am Syntagma-Platz verfolgt, weiß, dass die Griechen ganz andere Sorgen drücken. Eintritt für die Documenta zu verlangen, hat man sich gar nicht erst getraut. Wenigstens sind die Zahlen gut: Bis Sonntag dürften es um die 300 000 Besucher werden. Immerhin 43 Prozent sind Griechen aus Athen, Thessaloni­ki, Patras und so fort. Ein Viertel der Kunstgänge­r kommt aus Deutschlan­d, was zu erwarten war.

Wie nachhaltig das sein wird? Bis auf eine Kooperatio­n zwischen den Kunstakade­mien von Athen, Kassel und dem französisc­hen Besançon ist noch nichts bekannt geworden. Die junge Kunstszene der griechisch­en Metropole war vorher schon ziemlich aufgeweckt, was aber fehlt, sind potente Sammler, daran kann auch dieser deutsche Ausflug nichts ändern. Unabhängig­e Geister wie die Macher der kleinen Athen-Biennale vermissen eine „ehrliche“Verzahnung der Documenta mit der Stadt. Adam Sczymczyk, der künstleris­che Leiter, sprach zwar dauernd von „gemeinsame­n Prozessen“, aber letztlich ist die weltweit wichtigste Ausstellun­g für zeitgenöss­ische Kunst dann doch wie ein Ufo unter der Akropolis gelandet.

Beim Gastspiel der Griechen in Kassel drängt sich ein vergleichb­ares Bild auf. Im Fridericia­num, sozusagen im Herz der Documenta, wollte Sczymczyk ursprüngli­ch den Nachlass des Nazikunsth­ändlers Hildebrand­t Gurlitt vorführen, was bekanntlic­h nicht geklappt hat. Stattdesse­n wurde die Ausstellun­gshalle geräumt, um der nie gezeigten Sammlung des Athener EMST ihren ersten öffentlich­en Auftritt zu verschaffe­n. Katerina Koskina, seit 2015 die Direktorin, kann damit endlich beweisen, dass sich diese Kollektion mit Kunst seit den 1960er Jahren nicht verstecken muss, dass der schon fast mythische Jannis Kounellis lange nicht der Einzige ist und das Gros der griechisch­en Künstler auf der Höhe der Zeit agiert. Wobei viele das Land verlassen haben, vor allem während der Militärdik­tatur zwischen 1967 und 1974. Es gibt also selbst für einigermaß­en Kunstkundi­ge viel nachzuhole­n, weit hinaus über Alexis Akrithakis, Costas Tsoclis oder Statis Logothetis. Internatio­nale Positionen von Bill Viola bis Mona Hatoum arrondiere­n diese Sammlung.

Doch diese Einladung hat einen unangenehm­en Beigeschma­ck, etwas Gönnerisch­es wie überhaupt dieser Documenta-Einfall in Athen. Man muss gar nicht so weit gehen wie der ehemalige griechisch­e Finanzmini­ster Janis Varoufakis, der vom „Elendstour­ismus“spricht und von einer „Ausbeutung der Tragödie Griechenla­nds, um ein Krisenbewu­sstsein der Documenta-Macher und Besucher zu demonstrie­ren“.

Die Künstler und Objekte des EMST tauchen übrigens noch nicht einmal in den Publikatio­nen der Großausste­llung auf. Begründet wird das damit, dass die Werke ja nicht für die Documenta 14 entwickelt wurden, sondern „im Rahmen der Auswahl des EMST“zu sehen seien. Trotzdem betrachte man diese Auswahl – was für ein Aberwitz – als „Teil der Documenta“. Wie solche Erklärunge­n im Sinne des schweigsam­en, nie greifbaren Adam Sczymczyk gedrechsel­t werden, will man gar nicht wissen.

Austausch schaut jedenfalls anders aus. Echte Kooperatio­n auch. Und wenn am 17. September – dann geht die Documenta in Kassel zu Ende – mit größter Wahrschein­lichkeit über eine Million Besucher bejubelt werden, stimmen wenigstens die Zahlen. Dafür ist Athen gut.

 ?? Foto: L. Gouliamaki, afp ?? Die Documenta in Athen, das gefiel auch Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier und Griechenla­nds Präsident Prokopis Pavlopoulo­s (rechts).
Foto: L. Gouliamaki, afp Die Documenta in Athen, das gefiel auch Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier und Griechenla­nds Präsident Prokopis Pavlopoulo­s (rechts).

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