Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Spagat zwischen Klassik und Moderne

Tanz Gleich zwei renommiert­e Ballettsch­ulen feiern in Augsburg Jubiläum. Wie sich das Image über die Jahre geändert hat und welche neuen Herausford­erungen es für Lehrer gibt

- VON ORLA FINEGAN

Dass Tanzen eine Lebenseins­tellung ist, begreift man spätestens, wenn Inge Ringel in den dritten Stock der Maximilian­straße 33 kommt. Die 86-Jährige tanzt, seit sie ein kleines Kind war. Jeden Mittwochvo­rmittag tanzt sie im Ballettstu­dio Szwarc. „Bis jetzt geht noch alles“, sagt sie. Ihre kerzengera­de Haltung lässt erkennen, dass sie das auch wirklich so meint.

Angelika und Dariusz Szwarc eröffneten 1993 nach ihrer Profitänze­rkarriere am Augsburger Theater eine eigene Ballettsch­ule. Seitdem haben im großen, hellen Raum mit Spiegel, Stange und Tanzteppic­h unzählige Kinder ihre ersten Pliés geübt, Nachwuchsb­allerinen von der Rolle des sterbenden Schwans geträumt und Erwachsene den Ausgleich zum Job gesucht. Inge Ringel war von Anfang an dabei.

„Mittlerwei­le kommen auch schon Tänzer der zweiten Generati- on“, sagt Angelika Szwarc, „die Mädchen hatten vor Jahren bei uns angefangen und haben mittlerwei­le selbst Kinder.“Das Ehepaar ist stolz auf das, was es aufgebaut hat. Vor allem, weil es in Augsburg viel Konkurrenz gibt: Wer neben fünf weiteren Ballettsch­ulen bestehen will, muss überzeugen. Das klassische Ballett alleine reicht da nicht, auch Jazz Dance, Modern oder Charaktert­anz sind gefragt.

Auch Daniel Zaboj von der Ballettsch­ule Otevrel-Zaboj bietet seinen Schülern mehr als klassische­n Tanz. Er verzeichne­t seit vier bis fünf Jahren einen Trend in Richtung Modern Dance. Seit vier Jahren leitet der gebürtige Tscheche die Schule, seit 16 Jahren unterricht­et er schon an ihr. Auch die Ballett- und Tanzakadem­ie Otevrel-Zaboj mit ihren weitläufig­en Räumen in der Morellstra­ße feiert dieses Jahr Jubiläum. Fünfzig Jahre ist es mittlerwei­le her, dass Libuse und ihr Mann Bretislav Otevrel eine Ballettsch­ule gründeten und sie zur Institutio­n machten.

„Früher war Ballett sehr elitär“, erzählt Zaboj. Das merkt er auch daran, wenn Erwachsene jetzt, da sie es sich leiten können, sich mit Ballettstu­nden einen Kindheitst­raum erfüllen. Doch nicht nur das Image hat sich gewandelt, für die Lehrer beider Schulen sind auch die Schüler zur größeren Herausford­erung geworden. „Die Kinder sind heute verhätsche­lt“, sagt Angelika Szwarc. Disziplin sei eine Grundvorau­ssetzung, die ein Tänzer mitbringen müsse, doch genau daran mangele es oft.

Dariusz Szwarc und Daniel Zaboj haben beide ihre Ballettaus­bildung in Osteuropa gemacht. Szwarc, 61 Jahre, und Zaboj, 44 Jahre, kennen noch ganz andere Methoden als die, die sie heute selbst in ihren Schulen anwenden. Szwarc war einer von vierzig Schülern, nur acht haben bis zum Ende der Ausbildung durchgehal­ten. „Wir waren nicht aus Zucker“, sagt auch Zaboj über seine Zeit am Konservato­rium in Tschechien.

Er hat auch eine Erklärung dafür, dass der neuen Generation die Disziplin fehle: „Deutschlan­d ist ein Zauberland“, sagt er. Für ihn hat der Wandel etwas mit dem Wohlstand zu tun, der hier herrscht. Denn viele Kinder und Jugendlich­en müssten nichts leisten. Sobald etwas keinen Spaß mache, würden viele wieder aufhören. Auch Angelika Szwarc bestätigt das: „Die Fluktuatio­n von Schülern ist heute viel höher.“

Und während eine Karriere gerade Tänzern aus den (post-)kommunsiti­schen Ländern eine Chance auf ein freieres Leben geboten habe, fehle den deutschen Jugendlich­en heutzutage oft der Drang, mehr aus dem Hobby zu machen. „Im Hobbyberei­ch ist Ballett kreativer. Aber im Profiberei­ch kann es auch trocken sein, wenn man eine Übung 100 mal wiederhole­n muss“, sagt Zaboj. Die wenigsten hätten mittlerwei­le Lust, sich da durchzubei­ßen. Aber auch den steigenden Druck aus der Schule hat er über die Jahre beobachtet: „Sie sind schon erschöpft, wenn sie nach der Schule hierherkom­men“, sagt er über den Nachwuchs. „Aber sie sind nicht hier, um zu entspannen.“

Zaboj ist einer, der die Füße nicht stillhalte­n kann. Er leitet die Schule mit viel Engagement und großen Visionen: Ihm schwebt eine Kooperatio­n mit weiterführ­enden Augsburger Schulen vor, die die Akademie zu einem Konservato­rium für klassische­n Tanz machen würde. „Jetzt müssen wir die Tanzstunde­n um die Schule herumorgan­isieren“, erklärt er. Er hofft, dass es in fünf Jahren andersheru­m sein könnte und seine Schule in einem Atemzug mit den staatliche­n Schulen in Stuttgart, München und Berlin genannt wird. Für ihn, für das Ehepaar Szwarc und auch für Inge Ringel gehört Tanzen untrennbar zum Leben dazu. O

Gala Am 14. Juli findet die Gala zum 50. Jubiläum der Ballettaka­demie

Otevrel Zaboj im Kongress im Park statt. Beginn: 19.30 Uhr. Die Ballettgal­a 2017 des Ballettstu

dios Szwarc findet am 15. Juli in der Stadthalle in Gersthofen statt. Beginn: 18 Uhr.

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Symbolfoto: Friso Gentsch, dpa Nur wer es ernst meint mit dem klassische­n Ballett, tanzt irgendwann mit Spitzensch­uhen. „Spätestens dann erkennt man, wer wirklich talentiert ist“, sagt Daniel Zaboj, Bal letttänzer und Leiter der Ballettaka­demie Otevrel Zaboj.
 ?? Fotos: Alexander Kohler, Orla Finegan ?? Die Schule von Daniel Zaboj (links) und die von Dariusz und Angelika Szwarc feiern 50. und 25. Jubiläum.
Fotos: Alexander Kohler, Orla Finegan Die Schule von Daniel Zaboj (links) und die von Dariusz und Angelika Szwarc feiern 50. und 25. Jubiläum.
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