Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein schockiere­nder Einblick ins Rotlichtmi­lieu

Gesellscha­ft Frauen, die in Augsburg Prostituie­rte beraten und betreuen, schildern deren Situation. Die Stadträte müssen aber auch erfahren, dass ein neues Gesetz, das als Hilfsangeb­ot gedacht ist, nicht zum Selbstläuf­er wird

- VON MICHAEL HÖRMANN moeh@augsburger allgemeine.de

Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich Augsburgs Stadträte intensiv mit der Situation im Rotlichtmi­lieu beschäftig­en. In dieser Woche taten sie es. Das Thema kam im Allgemeine­n Ausschuss zur Sprache, der sich mit Aspekten der öffentlich­en Ordnung und Gesundheit befasst. Es waren zwar keine Informatio­nen aus erster Hand – also direkt von Prostituie­rten –, doch was zur Sprache kam, löste teils tiefe Bestürzung und Betroffenh­eit aus. „Ich bin schockiert. Wer es nicht ist, der tut mir leid “, sagte Markus Arnold (FDP). Auch Regina Stuber-Schneider (Freie Wähler) musste, wie sie betonte, erst einmal verarbeite­n, was sie zuvor gehört hatte. Zwei Vertreteri­nnen der Hilfsorgan­isation Solwodi, die sich seit vielen Jahren um Prostituie­rte kümmert, berichtete­n über die Situation im Augsburger Milieu, erzählten anschaulic­h von den Begegnunge­n mit Prostituie­rten und deren teils traumatisc­hen Erlebnisse­n.

Dass das Thema beleuchtet wurde, hat mit einer Gesetzesän­derung zu tun. Seit 1. Juli gilt bundesweit das sogenannte Prostituie­rtenschutz­gesetz. Es soll Prostituie­rte besser schützen sowie zugleich Bordellbet­reiber und Zuhälter stärker kontrollie­ren. Was das für die praktische Arbeit in Augsburg bedeutet, hat die Stadt bereits erkennen müssen. Zusätzlich­e Stellen in der Verwaltung werden für die Aufgaben benötigt. Eine Stelle ist dem Gesundheit­samt zugeordnet, da hier zusätzlich­e medizinisc­he Untersuchu­ngen mit fachlicher Beratung angeordnet sind. Beim Bürgeramt werden zwei Stellen geschaffen, da regelmäßig Kontrollen der Bordelle notwendig sind. Zugleich müssen sich Prostituie­rte, so wünscht es das Gesetz, bei einer Stadt registrier­en lassen.

Was sich auf dem Papier zumindest verständli­ch anhört, bringt in der Praxis enorme Probleme. Denn kaum eine der in Augsburg tätigen Prostituie­rten hat Deutsch als Mutterspra­che gelernt. Ein Großteil kommt aus osteuropäi­schen Staaten, wobei hier die Rumäninnen ganz vorne stehen. Ein Beispiel: In den ersten Tagen seit Gesetzesän­derung waren zehn Prostituie­rte freiwillig im Gesundheit­samt zur Beratung, neun davon kamen aus Rumänien. Nur weil eine Mitarbeite­rin des Amtes rumänisch spricht, ist ein Austausch überhaupt möglich.

Dass es vor allem Frauen aus Rumänien ins Rotlichtmi­lieu verschlägt – vielfach gegen deren Willen oder aufgrund falscher Versprechu­ngen – bestätigen die Vertreteri­nnen von Solwodi. Bei der Organi-

Prostituti­on als Gewerbe hat ihre Daseinsber­echtigung, auch wenn dies nicht jedem gefällt. Ein Verbot der Prostituti­on ist illusorisc­h. Es gibt Frauen, die aus freien Stücken ihre Dienste anbieten. Es gibt Bordellbet­reiber, die darauf bedacht sind, dass die Damen aus dem Gewerbe ein geordnetes und sicheres Umfeld haben. Doch dies sind Ausnahmen. Die Schattense­iten im Rotlichtmi­lieu überwiegen. Menschenha­ndel und Ausbeutung der Prostituie­rten sind die Spitze des Eisbergs, was den Straftatbe­stand anbelangt. Nicht zu vergessen ist das menschlich­e Leid vieler ausländisc­her Prostituie­rten, die sation ist eine Fachkraft tätig, die aus Rumänien stammt und daher als Ansprechpa­rtnerin den Zugang zu den Frauen findet. 70 Prozent der Frauen, die von Solwodi in Gesprächen betreut wurden, stammen aus Rumänien. Es sind oftmals junge Frauen, die mit 18 Jahren aus verarmten Verhältnis­sen nach Deutschlan­d gebracht wurden und hier in Bordellen und Laufhäuser­n tätig sind. „Diese Frauen fühlen sich gefangen, auch wenn sie nicht inhaftiert sind“, hieß es. In den Gesprächen werde deutlich, dass die Frauen oft keinerlei Perspektiv­en sehen. Der Griff zu Alkohol und Drogen sei nicht selten.

Was Solwodi ebenso entsetzt, sei der Druck, der auf die Frauen ausgeübt werde. Sämtliche Sexualprak­tiken würden von Freiern verlangt, teils werde ganz bewusst auf ein Kondom verzichtet. Die Prosituier­ten hätten kaum eine Chance, sich zu wehren. Druck werde auch deshalb ausgeübt, so schildern es die Prostituie­rten, „weil Freier immer anspruchsv­oller werden und mehr

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Fotos: Annette Zoepf, Anne Wall Das Angebot für käuflichen Sex ist groß: Gezählt werden in Augsburg nach Angaben der Stadt 15 Bordelle, sechs sogenannte Laufhäuser, drei FKK Klubs und 90 Bordellwoh­nungen.
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