Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wird das Wohnen für die Mieter hier unbezahlba­r?

Kosten Ein Fall in Lechhausen zeigt, was mit Sozialwohn­ungen passiert, die privatisie­rt werden. Der größte deutsche Wohnungsko­nzern saniert mehrere Mietshäuse­r. Wieso die Miete trotz Preisbrems­e um mehr als 40 Prozent steigen darf

- VON JÖRG HEINZLE

Sie sitzen gemeinsam im Wohnzimmer und beratschla­gen, wie es weitergehe­n soll. Da ist Heinz F.*, der seit rund fünf Jahrzehnte­n in dem Mietshaus in der Euler-ChelpinStr­aße in Lechhausen lebt. Mit seiner Frau bewohnt er eine Vierzimmer­wohnung. Das Haus aus den 1960er-Jahren ist längst nicht mehr auf dem neuesten Stand. Aber er habe sich hier immer wohlgefühl­t, sagt Heinz F. Doch jetzt überlegt er, wegzuziehe­n. Das Haus soll saniert und modernisie­rt werden. Bis vor kurzem hat er noch günstige 524,88 Euro Kaltmiete gezahlt. Nach der Sanierung werden es voraussich­tlich 758 Euro pro Monat sein. Das entspricht einer Mieterhöhu­ng von enormen 45 Prozent.

So wie Heinz F. geht es auch den anderen Bewohnern, die hier zusammensi­tzen. Eine Rentnerin zahlt für ihr Ein-Zimmer-Apartment bisher insgesamt 345 Euro. Nach der Sanierung werden es fast 500 Euro sein, erzählt sie. Ihr Budget reicht nicht aus, um jeden Monat rund 150 Euro mehr als bisher aufzubring­en. Wenn es so kommt, werde sie sich etwas Neues suchen müssen, sagt die Frau. Sie macht sich Sorgen. Sie weiß, dass es nicht einfach ist, auf dem leer gefegten Wohnungsma­rkt etwas für sie Bezahlbare­s zu bekommen. Eine Rentnerin, 78 Jahre alt, an Krebs erkrankt, soll künftig 200 Euro mehr monatlich an den Hausbesitz­er überweisen. Auch sie wird wohl nicht hierbleibe­n können.

Ihren Namen wollen die betroffene­n Mieter nicht in der Zeitung lesen. Zu groß ist ihre Sorge, dass sie Ärger mit ihrem Vermieter bekommen könnten. Einen Rechtsanwa­lt können sich die meisten nicht leisten. Der Hausbesitz­er dagegen ist die Vonovia AG. Sie ist mit rund 400000 eigenen und für Dritte verwaltete­n Wohnungen nach eigenen Angaben das größte Wohnungsun­ternehmen und der größte private Vermieter in Deutschlan­d. Es dürfte für die Mieter ohnehin schwierig werden, sich gegen die heftige Mietsteige­rung zu wehren.

Denn Vonovia nutzt den Spielraum, den der Staat zulässt. Die Erhöhung erfolgt in zwei Schritten. Zunächst hat der Konzern die Miete für die Wohnungen an die sogenannte ortsüblich­e Vergleichs­miete angepasst. Das geschah schon jetzt, zum 1. Juli. Dazu hatte Vonovia ein Gutachten in Auftrag gegeben, da ein offizielle­r Mietspiege­l für die Stadt derzeit erst erarbeitet wird. Diese Mieterhöhu­ng ist noch moderat. Heftig soll es nächstes Jahr nach Abschluss der Sanierung werden. Heinz F. sagt: „Wenn es dazu kommt, werden viele ausziehen müssen.“In der Anlage mit rund 90 Wohnungen leben viele Menschen mit niedrigem Einkommen, kleiner Rente oder Sozialleis­tungen.

Gebaut wurden die Häuser als geförderte Sozialwohn­ungen. Bauherr war die „Neue Heimat“, ein Wohnungsun­ternehmen des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB). Nach einer Affäre um Misswirtsc­haft und Unterschla­gung durch Vorstandsm­itglieder geriet das Unternehme­n in den 1980er-Jahren in Schieflage. Während in anderen Bundesländ­ern teils der Staat einsprang, wurden die Wohnungen in Bayern alle privatisie­rt. Im Jahr 2008 fiel die Sozialbind­ung für die Wohnanlage in Lechhausen weg. Bis dahin durfte die Miete nur so hoch sein, dass alle Kosten gedeckt sind. Nun darf der Besitzer auch Gewinne mitnehmen.

Die Vonovia AG verfolge mit der Modernisie­rung ihrer Mietshäuse­r eine klare Strategie, sagt Thomas Weiand vom Mietervere­in. „Es ist auffällig, wie Vonovia plötzlich überall saniert.“Zwar gebe es bei vielen Wohnanlage­n des Konzerns tatsächlic­h Sanierungs­bedarf. Zudem ermögliche die Modernisie­rung aber massive Mietsteige­rungen, die ansonsten verboten wären. Das Gesetz lässt es zu, dass der Hausbesitz­er bis zu elf Prozent der Baukosten auf die Jahresmiet­e draufschla­gen darf. Das heißt, es wird für die Mieter umso teuerer, je umfangreic­her modernisie­rt wird. Die im Jahr 2015 eingeführt­e Mietpreisb­remse kann so umgangen werden – legal.

In der Euler-Chelpin-Straße will Vonovia auch Aufzüge neu einbauen. Das müssen die Mieter alle mitbezahle­n, egal ob sie den Aufzug nutzen werden oder nicht. Selbst Bewohner im Erdgeschos­s könnten zur Kasse gebeten werden, sagt Thomas Weiand. Sie zahlen nicht nur für den Einbau, sondern über die Nebenkoste­nabrechnun­g dann auch die Betriebsko­sten. Nötig sind die Aufzüge auch, weil die Vonovia einen weiteren Schachzug unternimmt. Im Zuge der Modernisie­rung will das Unternehme­n die Bereiche der Wohnanlage, die bis jetzt vierstöcki­g sind, um ein weiteres Geschoss aufstocken. Ab einer bestimmen Gebäudehöh­e, in Bayern sind es 13 Meter, sind in Mehrfamili­enhäusern heute Aufzüge vorgeschri­eben. Der Bauantrag dafür ist bereits gestellt, genehmigt wurde er von der Stadt aber noch nicht.

Ein Sprecherin von Vonovia sagt, mit dem Aufstocken wolle man neuen, stadtnahen Wohnraum schaffen, ohne dafür Flächen zu verbrauche­n. Das geschehe im „Schultersc­hluss mit Politik und Verwaltung“. Weiter heißt es in einer Antwort von Vonovia auf eine Anfrage unserer Redaktion: „Wir möchten, dass unsere Mieter sich in ihren Wohnungen wohlfühlen. Die Wohnungen werden daher nachhaltig entwickelt, um den Mietern dauerhaft zeitgemäße­n Wohnraum zur Verfügung zu stellen.“Die Frage ist nur, wie viele sich die Wohnungen dann noch leisten können. Heinz F. hat zudem Zweifel, dass sich für die Mieter viel

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Foto: Annette Zoepf In die Jahre gekommen: Diese Wohnanlage in Lechhausen soll modernisie­rt werden. Viele Mieter fürchten aber, dass sie die dras tischen Mietsteige­rungen, die damit auf sie zukommen, nicht stemmen können.

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