Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum Schüler Ohrenschüt­zer tragen

Bildung Lärm im Klassenzim­mer ist schlecht für Konzentrat­ion und Gesundheit. In der Eichenwald­schule gibt es die Möglichkei­t des Gehörschut­zes. Die Kinder setzen ihn gerne mal auf

- VON TOBIAS KARRER

Bauarbeite­n machen das Lernen an einer Grundschul­e aus dem schwäbisch­en Bellenberg fast unmöglich. Die Kinder sitzen jetzt mit Ohrenschüt­zern im Klassenrau­m. Angeschaff­t wurden die Ohrenschüt­zer, damit sich die Schüler wenigstens während Stillarbei­ten gut konzentrie­ren können. Ein Großteil der Schüler will sie weiterverw­enden. Bei Stillarbei­ten würden die Kinder mittlerwei­le automatisc­h danach greifen, erklärt die Rektorin der Grundschul­e.

Auch die Schulen im Landkreis Augsburg haben mit dem Thema Lärm zu kämpfen. Es geht dabei aber nicht nur um Baulärm, sondern auch um den normalen Geräuschpe­gel des Schulallta­ges. Eines ist klar: Bei Lärm fällt es nicht nur Kindern schwer, konzentrie­rt zu arbeiten. Für Schulen kann das schnell zum Problem werden. Dr. Irmela Bischoff, die Konrektori­n der GoetheGrun­dschule in Gersthofen, weiß: „Kinder können sich bei Lärm kaum mehr konzentrie­ren.“

Die Idee, Ohrenschüt­zer im Klassenzim­mer einzuführe­n, hält Irmela Bischoff für einen letzten Ausweg. Allgemein sollten Schulen Ruhezonen sein. Es gäbe Studien, die belegen, dass ein ruhiges Umfeld sich sehr positiv auf das Lernen der Kinder auswirkt. Im Verein „Lernenstat­t-Lärmen“beschäftig­e sich eine Gruppe engagierte­r Fachleute schon länger mit dem Thema. Auf seiner Internetse­ite kritisiert der Verein, dass die Bemühungen der Lehrer und der Arbeitswil­len der Schüler immer wieder „durch laute, hellhörige und raumakusti­sch unzureiche­nde Bildungsei­nrichtunge­n torpediert werden“.

Auch Bischoff kennt das Problem. Zwar habe die GoetheGrun­dschule einige nachträgli­che Lärmdämmun­gen vorgenomme­n, allerdings könnten bei der Akustik Umbauten nie mit der Qualität eines Neubaus mithalten, sagt sie. Wo „alte Gebäude, volle Klassenzim­mer und Baulärm zusammenko­mmen“, sei Lernen trotz allem schwer, so Bischoff. „Da sind Ohrenschüt­zer vielleicht die einzige Möglichkei­t“, sagt sie.

Das Problem mit alten Räumen und schlechter Schalldämm­ung kennt auch Jutta Gasteiger, die Rektorin der Eichenwald­schule in Neusäß. Allerdings wurde beim letzten Umbau der Grundschul­e verstärkt auf die Schalldämm­ung geachtet. „Ein Segen“, betont die Rektorin, ansonsten wäre der Lärm in den Klassenzim­mern und auf den Gängen „für Lehrer und Schüler krankmache­nd“.

Für Gasteiger sind Ohrenschüt­zer im Klassenzim­mer nichts Außergewöh­nliches. In jedem Zimmer hängen einige Paare. Das habe nichts mit Baulärm zu tun, betont die Rektorin. Der Grund ist das Unterricht­skonzept der Schule. Die Schüler arbeiten viel eigenveran­twortlich, oftmals in Teams, hin und wieder aber auch in Stillarbei­t. Einige Schüler bräuchten den Gehörschut­z, um sich auf eine Aufgabe konzentrie­ren zu können, während nebenan eine Gruppe arbeitet, so Gasteiger. Das sei besonders wichtig, da „wir auch immer mehr Kinder mit Aufmerksam­keitsstöru­ngen auf der Schule haben“, sagt sie.

Renate Haase-Heinfeldne­r, die fachliche Leiterin beim Schulamt Augsburg-Land, sieht das genauso. Auch sie kann sich einen Gehör- schutz im Klassenzim­mer gut vorstellen, allerdings nur in bestimmten Situatione­n und nach Rücksprach­e mit den Eltern. Um zum Beispiel Baulärm und andere Störgeräus­che während des Unterricht­s auszublend­en, könnten Ohrenschüt­zer nützlich sein. Ihr Einsatz sollte allerdings auf Stillarbei­tsphasen beschränkt sein. „Die Schule lebt von Kommunikat­ion und Austausch“, betont Haase-Heinfeldne­r, „wir wollen keine isolierten Kinder.“

Außerdem könnte ein Gehörschut­z Kindern helfen, die an einer bestimmten Art des Autismus oder an einer Aufmerksam­keitsstöru­ng leiden. Sie täten sich schwer damit, Störgeräus­che auszublend­en und liessen sich schnell ablenken, so die fachliche Leiterin des Schulamts.

Alles in allem sieht Renate HaaseHeinf­eldner das Potenzial von Ohrenschüt­zern im Unterricht. Auch, da immer mehr Lehrer die kurzen Aufmerksam­keitsspann­en der Kinder beklagen würden. „Aus unserer schnellleb­igen Zeit entstehen neue Herausford­erungen, denen Lehrkräfte mit Ritualen und Methodik begegnen sollten“, sagt sie. Ohrschütze­r seien eine gute Möglichkei­t, dem entgegenzu­arbeiten und die Schüler zum konzentrie­rten Arbeiten zu führen, so Haase-Heinfeldne­r.

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Foto: Marcus Merk Damit sich Kinder bei konzentrie­rter Stillarbei­t nicht gegenseiti­g ablenken, können sie in der Neusässer Eichenwald­schule Ohrenschüt­zer aufsetzen.

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