Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Immer schön der Kompassnad­el nach

Orientieru­ng Pfadfinder gab es auch schon mal im Zusamtal. Warum diese soziale und gemischte Jugendbewe­gung immer noch als altbacken und martialisc­h verkannt wird. Und wie hilfreich sie gleichzeit­ig sein kann, selbst in der Gleichbere­chtigung

- VON GÜNTER STAUCH

So etwas wäre Manfred Nittbaur früher nie passiert. Eine Laufgruppe soll sich kürzlich in einem Wäldchen zwischen Gottmannsh­ofen und Hohenreich­en verirrt und einfach nicht mehr weitergewu­sst haben. Auch über das „blinde Vertrauen auf die NaviTechni­k im Auto“kann der Endsechzig­er nur den Kopf schütteln. Statt Smartphone zückt er einen alten Kompass und holt die Karte heraus. Schließlic­h passt der bekannte Wertinger Künstler immer noch locker in die „Uniform“eines Pfadfinder­s, dessen Vereinigun­g im Zusamtal eine lange Tradition vorweisen kann.

Dabei hat die Bewegung zwischen Buttenwies­en und Villenbach ihre Zeltlager schon längst abgebaut. „Mitte der 90er-Jahre ist sie buchstäbli­ch im Sande verlaufen und hat sich aufgelöst“, bedauert Manfred Nittbaur, der mit etwas Wehmut zurückblic­kt. Immer wieder waren sie losungsgem­äß „zu mindestens einer guten Tat am Tag“aufgebroch­en – zunächst zwischen Ende der 40er- und 60er-Jahre, dann noch mal fast 20 Jahre lang ab 1973.

Wie bei einer kleinen Zeitreise sitzt der erfahrene Pädagoge und Kunstschaf­fende in seinem Garten mitten in der Natur, dem LieblingsA­mbiente aller Scouts. Und „nordet“die Wanderkart­e erst mal ein: Dabei wird die Unterlage mitsamt einem anliegende­n Marschkomp­ass so lange gedreht, bis dessen Nadelspitz­e gen Norden zeigt, der Refe- renzrichtu­ng für alle weiteren Aktivitäte­n. Das „Ur-Navi“wird dabei von einer mächtigen magnetisch­en Kraft im Erdreich geleitet und funktionie­rt bis heute ohne Strom aus Netz oder Batterie.

Über ungeheure Energien verfügten Nittbaur und seine Kumpels, als sie sich wie er im Alter von zehn Jahren einst der weltweiten Aktion anschlosse­n, bei der eine natürliche Orientieru­ng im Gelände eine große Rolle spielt. Sie war Anfang des vergangene­n Jahrhunder­ts von dem britischen General Robert Baden-Powell angestoßen worden, der seinerzeit vom „Leben unter freiem Himmel, der Ritterlich­keit und der Vaterlands­liebe“schwärmte.

Doch selbst in der bisweilen martialisc­h aussehende­n Kleidung mit bunten Stickern und auch mal einem am Gürtel baumelnden Finnenmess­er stecken keine Militarist­en. Schon eher Idealisten wie zum Beispiel der Wertinger Manfred Nittbaur. „Uns hat man mit der Hitlerjuge­nd verglichen, dabei wurden diese Leute im Dritten Reich eingesperr­t“, schmerzt es den ehemaligen Stammleite­r der Deutschen Pfadfinder St. Georg in der Zusamstadt. Der überzeugte Friedensde­monstrant, der sich beim Streit um ein zweites Atomkraftw­erk im Ried vor drei Jahrzehnte­n schon mal mit den „Großkopfer­ten“angelegt hat, unterstrei­cht die Weltoffenh­eit und Brückenbau­erfunktion der Gruppe, der bislang 300 Millionen Menschen in über 200 Ländern ange- hört haben. In Deutschlan­d sind aktuell rund 250000 von ihnen registrier­t.

Dazu zählte Alfred Sigg, ehemaliger Museumsref­erent der Stadt und Geschichts­kenner par excellence. Zwar outet auch er sich als fasziniert­er Naturbursc­he, der zwischen dem zwölften und 25. Lebensjahr dabei war. Doch seine Motive fürs Mitmachen lauten ein wenig anders: „Es war damals die einzige Möglichkei­t, hier fortzukomm­en.“Damals sei man noch nicht in den Urlaub gefahren, wie das heute selbstvers­tändlich wäre. „Ich habe das Zelt- und Lagerleben sehr genossen, und das Ganze völlig ideologief­rei.“

Dem schließt sich Karl Färber an, der sich wie Sigg den „Uralt“-Pfadfinder­n zugehörig findet und auf den gelegentli­chen Frühschopp­en mit Gedankenau­stausch im Gasthof Zum Hirsch verweist. Deren Einsatz für Soziales und den Mitmensche­n lobte der damalige Bürgermeis­ter Dietrich Riesebeck zum Beispiel beim 40-jährigen Gründungsf­est 1988 in höchsten Tönen. „Sie präsentier­en interessan­te Freizeitan­gebote und leisten einen Beitrag zur Kritikfähi­gkeit der jungen Menschen.“

Auch die Gleichbere­chtigung, die seinerzeit in vielen gesellscha­ftlichen Bereichen noch als Fremdwort galt, beanspruch­te die vermeintli­che Männertrup­pe für sich. Manfred Nittbaur erinnert: „Wir haben von Anfang an auf ein bewusstes Miteinande­r von Frau und Mann gesetzt.“

 ??  ??
 ?? Fotos: G. Stauch (2), privat ?? Die Fotos zeigen den jungen Pfadfinder Manfred Nittbaur (unten ganz rechts) im Jahr 1965 auf dem Marktplatz vor der Abfahrt zu einer Radtour ins Fichtelgeb­irge. 52 Jahre später weiß Nittbaur noch genau, wie mit Karte und Kompass gearbeitet wird (oben)....
Fotos: G. Stauch (2), privat Die Fotos zeigen den jungen Pfadfinder Manfred Nittbaur (unten ganz rechts) im Jahr 1965 auf dem Marktplatz vor der Abfahrt zu einer Radtour ins Fichtelgeb­irge. 52 Jahre später weiß Nittbaur noch genau, wie mit Karte und Kompass gearbeitet wird (oben)....
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany