Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Nur nicht den Stift weglegen
Universität Die englische Autorin Malika Booker lehrt in einem Workshop die Methode des „Free Writing“. Sie erklärt, warum es gut ist, ohne Pause einfach drauflos zu schreiben
Acht Studenten und die Autorin Malika Booker stehen in einem Raum der Universität Augsburg im Kreis und legen imaginierte Objekte in die Mitte: eine Lampe, eine Schrotflinte, Engelsflügel. Genommen als Symbole für ihre Namen Therese (die Warme), Niklas (der Tapfere), Malika (der Engel). Dann setzt sich die Gruppe an den großen Tisch, jeder vor seinen Block und schreibt, inspiriert durch die Gegenstände, eine Geschichte. Die Studenten sind Teilnehmer des Workshops „Creative Writing“, den Malika Booker leitet. Die Autorin kommt aus England, ist extra für den Workshop und eine Lesung nach Deutschland geflogen, eingeladen von der Gesellschaft der Freunde der Uni Augsburg sowie vom Lehrstuhl für Englische Literaturwissenschaft und der Juniorprofessur für Neue Englische Literatur.
Booker will den Teilnehmern erst einmal die Technik des „Free Writings“vermitteln, und das bedeutet: schreiben, schreiben, schreiben. Es gilt, drauflos zu texten ohne abzusetzen, wenn man nicht weiter weiß. Lieber Nonsens kritzeln als den Stift wegzulegen. Die Übung darf drei, fünf oder auch gerne fünfzehn Minuten gehen. Man stellt sich eine Stoppuhr und legt los. Wer absetzt, verliert.
Die Studenten schauen erst ziemlich entgeistert auf ihr weißes Blatt Papier. Aber Booker motiviert sie. Sie vermittelt laut lachend und klappernd mit den zahlreichen silbernen Ringen an ihren Armen, dass es hierbei um viel gehe, aber nicht darum, den nächsten „Hamlet“zu schreiben. Ihrem Ansatz liegt der Gedanke zugrunde, in diesem rastlosen, unmittelbaren Schreiben die innere Stimme kennenzulernen, bevor man daraus für größere Texte schöpfen kann. Dem liegt eine gewisse Esoterik inne, es geht viel um das eigene Wohl, die eigene Person. Eine moderne Interpretation des die in vielen Kursen dieser Art im Moment gelehrt wird.
Die meisten Teilnehmer des Kurses haben bisher wenig Berührung mit eigenem, kreativen Schreiben vorzuweisen. Die Techniken könne man aber auch außerhalb des Anspruchs, Literatur zu schaffen, gebrauchen, um Stress abzubauen, oder sich freier zu fühlen, betont die Autorin. Schreiben für das Seelenheil sozusagen. Aber auch ganz praktisch seien die gelernten Techniken, findet Studentin Teresa Münch. „Gerade für das Studium. Wie oft sitzen Studenten vor ihrer akademischen Arbeit und wissen nicht weiter. Durch die Technik kann man Schreibblockaden überwinden.“Tatsächlich scheint das „Free Writing“nach anfänglicher Skepsis bei den Teilnehmern seine Wirkung zu entfalten. Selbst Niklas Schmidt schreibt und schreibt, obwohl er anfangs noch glaubhaft beteuert hatte, nur hier zu sein, weil sein Professor das so wollte.
In England gilt Malika Booker als feste Größe des Literaturbetriebs. Sie selbst bezeichnet sich als Multidisciplinary Artist. Verfasst Gedichte, Theaterstücke und Monologe. Sie tritt als Performance Poet auf und ist Begründerin des Autorenkollektivs „Malika’s Poetry Kitchen“. Der Guardian hat eines ihrer Gedichte aus dem Lyrikband „PepSchreibprozesses, per Seed“abgedruckt. Ins Deutsche wurde ihr Werk bisher allerdings noch nicht übersetzt.
Fragt man Malika Booker, ob kreatives Schreiben stärker an Universitäten unterrichtet werden sollte, bejaht sie das entschieden. Schließlich würde bei anderen Künsten – Musik oder Malerei zum Beispiel – auch niemand infrage stellen, dass die Techniken bis zu einem gewissen Grad erlernbar seien. Angst vor konformistischem Schreiben hat sie dabei nicht, denn jeder bringe ja seine eigene Stimme mit. Daneben müssten junge Schriftsteller erfahren, wie der Literaturmarkt funktioniert. „Das Schreiben ist ein Business, mit Verlegern, Agenten und Autoren als Klienten“, sagt Booker.
Die Studenten erzählen, dass sie den „Creative Writing“Workshop vor allem als gruppendynamische Bereicherung erfahren und den anderen, nicht akademischen Zugang zu Literatur aus der Sicht einer Autorin kennengelernt haben. Dabei haben sie erfahren, dass selbst der eigene Name genügend Stoff für eine Geschichte in sich tragen kann und dass es doch völlig genügt, wenn aus drei Minuten „Free Writing“am Ende in all dem Unsinn ein einziger überraschender Satz zu finden ist, der als Inspiration für ein Gedicht, einen Roman, oder auch als Anfang der Bachelorarbeit stehen kann.