Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie man dementen Senioren die Hand reicht
Gesellschaft Der Fall der Frau, die im Supermarkt zu zahlen vergaß, hat sich zum Guten gewendet. Eine Demenzbeauftragte und ein Banker erzählen, warum es wichtig ist, Älteren gegenüber besonders aufmerksam zu sein
Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt. Eine 91-Jährige wurde von einem Supermarkt wegen Diebstahls angezeigt. Dabei ist die betagte Frau dement. Sie hatte die Waren in der Einkaufstasche schlichtweg vergessen. Die Seniorin war, wie berichtet, über die Anzeige untröstlich. Sie schämte sich zutiefst. Die Geschichte nahm eine gute Wendung. Sie weist aber auf ein Problem hin.
Nachdem wir über den Vorfall berichtet hatten, zog der Supermarkt die Anzeige zurück. Zudem besuchten zwei Verantwortliche die 91-Jährige. Sie brachten ihr nicht nur einen Geschenkkorb mit Leckereien und ihrem geliebten Eierlikör mit, sondern auch eine Entschuldigung, berichtet das benachbarte Pärchen, das sich um die alleinstehende, demente Seniorin kümmert. Demnach äußerten die Mitarbeiter ihr Bedauern, dass in der Filiale nicht erkannt wurde, dass die 91-Jährige an Demenz leidet. Doch genau das ist ein generelles Problem, weiß Claudia Zerbe vom Kompetenznetz Demenz.
Sie und ihre 20 ehrenamtlichen Kollegen sind seit zehn Jahren in der Stadt als sogenannte „Demenzpaten“unterwegs. Sie klären Einzelhändler über die Anzeichen der Krankheit und den Umgang mit den Betroffenen auf, bieten Schulungen etwa auch für die Polizei an und informieren Schulklassen. Als Zerbe von dem Fall der 91-Jährigen las, schrieb sie rund 50 verschiedene Supermarkt-Filialen in Augsburg an und offerierte den Mitarbeitern eine kostenlose Schulung. Von der Resonanz ist sie enttäuscht.
Zerbe erhielt bislang null Reaktion. Dabei wird die Aufklärung immer wichtiger, sagt sie. „In zirka 20 Jahren kommen die geburtenstarken Jahrgänge in das Demenzalter. Die vielen alten Menschen kommen also erst noch. Da muss die jüngere Generation dann Bescheid wissen.“Dass die Fälle von demenzkranken Kunden jetzt schon zunehmen, be- obachtet Jürgen Finger, Geschäftsstellenleiter der StadtsparkassenHauptstelle.
Seit zehn Jahren ist Finger der Demenzbeauftragte der Stadtsparkasse, seit zwei Jahren hat er für die- Aufgabe acht weitere Kollegen an die Seite gestellt bekommen. Sie helfen, wenn Kollegen in Zweigstellen mit dementen Kunden konfrontiert werden. „In vielen solcher Fälle heben die Kunden Geld ab und wissen es oftmals schon beim Rausgehen nicht mehr“, erzählt der Banker. „Tragisch ist bei betroffenen Kunden, dass das sowieso schon wenige Geld schnell weg sein kann. Oder aber der Kunde hat Vermögen, welse ches sich rasch abbaut.“Ein klassisches Anzeichen sei auch, dass Kunden plötzlich ihre Kontoauszüge nicht mehr verstehen. Bei der Stadtsparkasse sehe man sich in der Fürsorgepflicht, sich um diese Klientel besonders zu kümmern. Wenn erforderlich, werde auch Kontakt zu den Angehörigen aufgenommen.
Dass ältere Kunden manchmal besondere Aufmerksamkeit brauchen, weiß auch Pia Konrad vom gleichnamigen Kaufhaus in Pfersee. Da sich in der Nähe vier Altenheime und Betreutes Wohnen befinden, kämen häufig Senioren in das Kaufhaus in der Augsburger Straße. In dem Familienbetrieb ist man sensibilisiert. Man versuche, sich extra Zeit zu nehmen. „Zum Beispiel wissen die Kunden manchmal nicht mehr, wie der Gegenstand heißt, den sie brauchen. Dann gehen wir mit ihnen im Kaufhaus auf die Suche“, berichtet Konrad.
Demenzpatin Claudia Zerbe weiß um die besondere Situation in Pfersee aufgrund der Dichte der Senioren. Aber nicht in allen Geschäften gebe es die erforderliche Sensibilität gegenüber demenzkranken Menschen. „In manchen SupermarktFilialen wurden in der Vergangenheit schon Hausverbote gegenüber alten Menschen ausgesprochen“, erzählt Zerbe.
Einer Filiale habe man vom Kompetenznetz Demenz schon mal angeboten, ein Extra-Konto für einen Bewohner anzulegen. Wenn dieser mal wieder vergaß zu zahlen oder ihm nicht mehr bewusst war, dass er etwas eingesteckt hatte, hätte man die Beträge dort abbuchen können. „Aber der Supermarkt ließ sich nicht darauf ein.“
Für die 91-jährige Augsburgerin ist nach der Rücknahme der Anzeige und der offiziellen Entschuldigung die Welt wieder in Ordnung. Sie ist froh, dass sie nun wieder völlig unbelastet sein kann. Denn die alte Dame genießt ihre täglichen Ausflüge in die Innenstadt. Für die Seniorin bedeuten sie ein Stück Freiheit.