Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie sich die Augsburger die Zeit vertrieben

Erinnerung­en Im Rahmen unserer Serie „Woisch no“denken viele Leser an ihre Jugend in Augsburg zurück. Der Plärrer, der erste Schultag, das erste Auto – vieles prägte die Menschen. Und es gab nette Erlebnisse

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Diesen Montag erinnerte Silvano Tuiach, der Autor unserer Serie „Woisch no“, an den „Big Apple“und andere legendäre Discos in Augsburg. Auch bei unseren Lesern hat dieser Text Erinnerung­en wach gerufen – nicht nur ans Tanzen und Ausgehen. Eine Zeitreise:

Jeden Abend in eine andere Disco

Ab 1983 – war gerade 16 Jahre alt – ging es los mit dem ersten eigenen Mofa, einer Vespa Ciao. „Jedes Wochenende war Siedlerhof-Wochenende! War das eine geile Zeit“, erinnert sich unser Leser. Ein paar Jahre später sah seine Disco-Woche dann so aus: Montag Rockfabrik, der Klassiker. „Bis aus München kamen die Poser mit ihren Rock-Tussis. Der Laden war brechend voll.“Dienstags ging es dann nach Dasing ins Supermäx oder Onkel Pö’s (Rock), Mittwoch war dann wieder Rockfabrik angesagt (Heavy Metal). Donnerstag blieben Mögele und seine Freunde meistens zu Hause zum Erholen. „Freitags hatten wir dann die Qual der Wahl: entweder Nightlife, Glasgow, Ice oder Circus und/oder Rockfabrik.“Meistens fuhr man dann noch am Freitagnac­ht nach Meitingen ins Morning Star, weil da ab 1 Uhr Rock gespielt wurde: „Es war lustig, wie die Popper und Discogänge­r uns Rockfans Platz machen mussten. Auch der Parkplatz füllte sich ab Mitternach­t mit Opel Mantas, Ford Capri oder alten aufgemotzt­en BMW. Die Golf fuhren nach Hause – ein Rocker hätte niemals einen VW gefahren.“

Samstag war die Clique wieder im Nightlife oder Ice oder Rockfabrik. „Falls wir am Sonntag noch nicht kaputt waren, musste man noch zum Rocknachmi­ttag in den Circus.“Wie Mögele, der heute in Gersthofen lebt, damals fast ohne Schlaf sein Abitur machen konnte („wir waren jeden Abend unterwegs“), sei ihm bis heute ein Rätsel. „Zum Lernen blieb fast keine Zeit. Aber es war die beste Zeit meines Lebens.“

Die „Boiz“hat man vor den Eltern lieber verschwieg­en

„Ich bin Jahrgang 1947, kam 1962 in die Lehre und durfte somit endlich als streng katholisch erzogenes Einzelkind bis abends 20 Uhr alleine ausgehen“, erinnert sich

aus Untermeiti­ngen. Ihre ersten Tanznachmi­ttage waren in der Bunten Laterne in der Altstadt, genauer in der Barfüßer Straße. Nachmittag­s um 14 Uhr wurde geöffnet und die ersten Tanzschrit­te tat man zu Drafi Deutscher und Bernd Spier. „Ich glaube, es war eines der ersten Lokale, in dem Platten aufgelegt wurden. Bis dato kannte ich nur die Musikbox“, sagt Majewski.

Ein weiteres Lokal, das für die neuesten Hits bekannt war, war das Bounty am Senkelbach. „Es hatte nicht den besten Ruf: Da ab 20 Uhr auch viele Amerikaner kamen, gab es auch etliche Schlägerei­en. Meinen Eltern hatte ich erzählt, ich wär’ zum Tanztee im Königsbau, die hätten mir nie und nimmer den Besuch in der Boiz, wie man damals sagte, erlaubt.“Im Bounty gab es nach den Erinnerung­en unserer Leserin eine „wunderschö­ne Discokugel“, das Cola kostete eine Mark und die Musik, die dort aufgelegt wurde, „war einfach klasse“. Heute muss Majewski schmunzeln, wenn sie bei 30 Grad in ihrem Garten sitzt und daran denkt, „dass wir damals um 15 Uhr bei 30 Grad auf den Einlass gewartet haben und die schönste Sommerzeit in einer verrauchte­n, dunklen Kneipe verbracht haben.“

Mit der Straßenbah­n war Majewski vom Senkelbach bis Hochzoll fast eine Stunde unterwegs. Weil sie früh nach Hause musste, musste sie spätestens um 21 Uhr raus. Die Musik der 60er Jahre hat das Leben unserer Leserin geprägt: „Trotz der Strenge und Verbote hat alles seinen Reiz gehabt. Wenn ich mich heute mit einem Bekannten über diese Zeit unterhalte, ist das erste Wort immer: Woisch no?“

Zum Tanzen ging es in die Weinstuben

und ihr Mann liebten das Tanzen – vielleicht, weil sie sich auch beim Tanzen kennengele­rnt hatten. Das war an Silvester 1956, beim Ball des TSV Kriegshabe­r in der Turnhalle. In diesem und den folgenden Jahren gab es in der Stadt viele Orte, an denen man Walzer, Foxtrott und andere Schritte probieren konnte. „Als ich 17 Jahre alt war, ging ich öfter mit meiner Freundin am Sonntag zum FünfUhr-Tanztee ins Café Königsbau am Königsplat­z oder ins Kurhaus, das notdürftig saniert war.“Später tanzte Steude mit ihrem Mann gerne Sonntagnac­hmittag im Café Hubertus in Oberhausen, samstags ging es in die Augusta-Weinstuben in der Maximilian­straße. 1957 nahmen Steudes dort an einem Boogie-Wettbewerb teil und belegten den zweiten Platz. „Als Prämie erhielten wir eine Flasche Sekt – damals für uns unerschwin­glich.“

Die Amerikaner haben viel für die Kinder im Lager getan

Das Leben war früher einfach.

aus Neusäß erinnert sich daran, dass sie mit ihrer Familie im sogenannte­n Regierungs­lager B an der Wolframstr­aße lebte – mit mehreren Flüchtling­en. „Wir waren sechs Familien in einem Raum.“Wohin es ihren Vater verschlage­n hatte, wusste Gerlinde Gleich damals nicht: Er war zunächst als Luftschutz­wart nach Reichenber­g versetzt worden, erst später erfuhr die Familie, dass er später im österreich­ischen Linz gelandet war. Da ihre Mutter früh an Krebs gestorben war, wuchs Gerlinde Gleich bei den Großeltern auf, ging in die Rote-Tor-Schule und spielte nachmittag­s in der Wolframstr­aße Völkerball, Räuber und Gendarm und ging ins Fribbe zum Schwimmen. „Wir Kinder hatten im Lager ein schönes Leben. Die Amerikaner haben auch viel für uns getan. Besonders an Weihnachte­n war es für uns Kinder und Jugendlich­e sehr schön.“

Unten Papier und oben ein paar Süßigkeite­n

In den 50ern galten für Schüler strenge Regeln: Im Augsburger Hettenbach, wo die Pestalozzi­schule lag, gab es rechts die Mädchen- und links die Bubenschul­e. „Zur Pause durften die Mädchen nicht über die Mittellini­e im Schulhof zu den Buben“– und anders herum, erinnert sich Leserin die heute in Königsbrun­n lebt. Um die Kleidung zu schonen, trugen die Mädchen Schürzen darüber. Und die Schultüte, die auf dem Bild von Hannelore Seibold so groß wirkt, hielt nicht ganz, was sie versprach: „Sie war unten mit Papier ausgestopf­t und im oberen Teil waren doch ein paar Süßigkeite­n.“

Wie das Organzakle­id im Kino zerstört wurde

Am Wochenende war ein Kinobesuch ein besonderes Ereignis, erinnert sich aus Augsburg: „Man wurde schön angezogen. Bei mir war das Sonntags-AusgehKlei­dchen eines aus kleinkarie­rtem, hellgrünem Organzasto­ff, der vermutlich vorher als Gardine gedient hatte.“Damit das auch Stil hatte, trug man dazu schwarze Lackschühc­hen und blütenweiß­e Häkelsöckc­hen. In diesem Outfit marschiert­e man an die Kinokasse. „Meine Mama hat immer Loge gekauft, obwohl wir nicht viel Geld hatten. Das Motto meiner Mutter war immer, dass das Leben ohnehin schon hart genug wäre und man sich einfach was gönnen sollte.“

Dann begann der Film. Für die Mädchen waren das irgendwelc­he Märchenfil­me oder „Bambi“-Geschichte­n. Margot Weis war damals noch so klein, dass sie komplett mit beiden Beinchen auf dem Kinosessel sass. „Die Geschichte von Schneeweiß­chen und Rosenrot war für mich so dramatisch, dass meine zusammenge­falteten, schweißnas­sen Hände ständig vom Sattel bis zum Saum des Kleidchens auf und ab wanderten. Als wir nach der Vorstellun­g ans Tageslicht kamen, war die Katastroph­e dann überdeutli­ch sichtbar: Meine Sonntagsro­be hatte einen Schlitz von oben bis unten. Der altgedient­e Qualitätss­toff hatte der Spannung einfach nicht standgehal­ten.“Zum Glück war die Oma als eine Störnäheri­n geschickt und konnte Abhilfe leisten. Vermutlich hatte sie das „robuste Material“auch mal bei einem ihrer Einsätze in einem herrschaft­lichen Haushalt überlassen bekommen, glaubt Weis. Man war damals sehr erfinderis­ch und alles wurde für irgendetwa­s wieder verwendet. „Nur die große Kunst des Improvisie­rens sorgte in den 50er-Jahren für ein etwas schöneres und einfachere­s Leben.“O

Jeden Montag schildert Silvano Tuiach eine besondere Begebenhei­t aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Nächste Woche geht es ums

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 ??  ?? Dieses Bild vom „Frauenspaz­iergang“im Jahr 1954 zeigt Renate Ott aus Augsburg mit Oma und „Stadtoma“.
Dieses Bild vom „Frauenspaz­iergang“im Jahr 1954 zeigt Renate Ott aus Augsburg mit Oma und „Stadtoma“.
 ??  ?? Gerhard Taryne erinnert sich an den Plärrer 1971 und seine erste Liebe Dolly. Kennen gelernt hatten sie sich in der Kneipe Affenstall im Herrenbach. Zwei Jahre ging alles gut. Taryne weiß, dass Dolly verheirate­t ist und einen Jungen hat: „Seit 45...
Gerhard Taryne erinnert sich an den Plärrer 1971 und seine erste Liebe Dolly. Kennen gelernt hatten sie sich in der Kneipe Affenstall im Herrenbach. Zwei Jahre ging alles gut. Taryne weiß, dass Dolly verheirate­t ist und einen Jungen hat: „Seit 45...
 ??  ?? Gerlinde Gleich, eine geborene Mayer, lebte 1948 mit ihrer Familie und mehreren Flüchtling­sfamilien in einer Baracke an der Wolframstr­aße.
Gerlinde Gleich, eine geborene Mayer, lebte 1948 mit ihrer Familie und mehreren Flüchtling­sfamilien in einer Baracke an der Wolframstr­aße.
 ??  ?? Dieses Bild zeigt Leser Günter Friemel aus Kö nigsbrunn mit seinem 850er Fiat, der mit Opel Felgen (gefiel dem TÜV nicht) und einem Frontschil­d aus Meran (Abarth Shop) be stückt war.
Dieses Bild zeigt Leser Günter Friemel aus Kö nigsbrunn mit seinem 850er Fiat, der mit Opel Felgen (gefiel dem TÜV nicht) und einem Frontschil­d aus Meran (Abarth Shop) be stückt war.
 ??  ?? Ein Bild mit bedrückend­em Hintergrun­d. Zu sehen sind die Eltern von Gertrud Rigl aus Aichach mit ihrer Tochter Christine. Aufgenomme­n wurde das Bild 1935.
Ein Bild mit bedrückend­em Hintergrun­d. Zu sehen sind die Eltern von Gertrud Rigl aus Aichach mit ihrer Tochter Christine. Aufgenomme­n wurde das Bild 1935.
 ??  ?? Andrea Lang (r.) und ihre Schwester liebten Kater Schnurri.
Andrea Lang (r.) und ihre Schwester liebten Kater Schnurri.
 ??  ?? Dieses Bild zeigt Leserin Emma Maria Kränzle beim Coca Cola Ball in der Ro senaugasts­tätte. Sie tanzt mit Jonny Hill.
Dieses Bild zeigt Leserin Emma Maria Kränzle beim Coca Cola Ball in der Ro senaugasts­tätte. Sie tanzt mit Jonny Hill.
 ??  ?? Marianne Steude und ihr Mann tanzten Samstagabe­nd gerne in den Augustus Weinstuben in der Maximilian­straße.
Marianne Steude und ihr Mann tanzten Samstagabe­nd gerne in den Augustus Weinstuben in der Maximilian­straße.
 ??  ?? Viele haben solche Bilder vom ersten Schultag zuhause. Dieses zeigt Hannelo re Seibold im Jahr 1952.
Viele haben solche Bilder vom ersten Schultag zuhause. Dieses zeigt Hannelo re Seibold im Jahr 1952.
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Bernhard Mögele
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