Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kettensäge

- VON MICHAEL SCHREINER

Werkzeuge sind nützlich und ihr Gebrauch alltäglich. Gärtner benutzen Spaten, Köche Kellen, Zimmerleut­e greifen zum Hammer, Elektriker zum Schraubenz­ieher, Metzger schwingen das Hackebeil. Das alles ist nicht aufregende­r als eine Hauptversa­mmlung der Handwerksk­ammer und so gewöhnlich wie die Werbefilmc­hen, die im Baumarkt auf Monitoren flimmern und erklären, wie segensreic­h die neue Generation von Schraubzwi­ngen einsetzbar ist.

Doch es gibt einen Kippmoment, der stinknorma­les Werkzeug in Horrorobje­kte verwandelt. Eine Pistole ist eine Pistole und als solche eine Waffe – aber ein stahlblitz­ender Spaten in der Hand eines Angreifers, ein Rasender, der einen schweren Hammer gegen andere schwingt: Das sind albtraumha­fte Angstbilde­r. Das Bild mit dem größten Grauen und Schreckens­potenzial, etwas, das immer Gänsehaut macht und nicht steigerbar ist, hat diese Woche in vielen Köpfen gespukt: Jemand geht mit laufender Kettensäge in einem Büro auf andere los! Allein dieses Geräusch … Der Angriff des „Kettensäge­nMann“genannten Täters in der Schweiz ist ein Szenario, das an Splatterfi­lme denken lässt, an bluttriefe­ndes Schockerki­no der Güte „Kettensäge­nmassaker“und an schauderha­fte Wunden. Jede Abwehrbewe­gung zwecklos. Gegen die Kettensäge ist ein Schwert ein chirurgisc­hes Instrument.

Die Aufregung, welche die technisch gesprochen: Zweckentfr­emdung eines Werkzeugs auslöste, ist im Fall des „Kettensäge­n-Angreifers“noch dadurch gesteigert, dass der Mann zuletzt im Wald lebte – also dort, wo das Aufheulen einer Motorsäge kaum aufmerken lässt. Als der „Kettensäge­n-Mann“nach seinem blutigen Angriff auf Kassenange­stellte in Schaffhaus­en gefasst wurde, trug er übrigens keine Säge mehr bei sich, sondern – in der Schweiz seit Wilhelm Tell mythologis­ch aufgeladen – zwei Armbrüste samt Pfeilen. Waffen, die nicht an das Horrorpote­nzial der grobmotori­schen Tatwaffe heranreich­en und eher folklorist­isch als fürchterli­ch wirken, auch wenn sie tödlicher sein können.

Wer sich einliest in die Geschichte der Kettensäge und hier insbesonde­re ein Augenmerk auf die Sicherheit­saspekte hat, staunt über die raffiniert­en Schutzeinr­ichtungen, die von der Fliehkraft­kupplung über die Gashebelsp­erre, den Kettenfang­bolzen und den Krallenans­chlag bis zum Vibrations­dämpfer reichen. Bloß sind das alles Faktoren, die der Unversehrt­heit des Sägenden selbst dienen. An die Werbung „Kettensäge­n für jede Anwendung“muss man sich jetzt wieder neu gewöhnen.

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