Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Liebespoltern und Alltagsrauschen
Konzert Sven Regener zeigt auf Schloss Scherneck, dass es unmöglich ist, Element of Crime angemessen zu zitieren
Man muss in Sven Regeners Gegenwart vorsichtig sein, was man sagt oder schreibt. Unvergessen ist seine Explosion im bayerischen Radio, als er nicht damit einverstanden, also überhaupt nicht einverstanden war – Schweinerei! –, dass der Wert der Musik durch die Digitalisierung marginalisiert wird. Streaming? Da verdient man doch nix. Tauschbörsen? Teufelszeug. Sein jüngstes Aufregerthema ist Bob Dylan. Wobei er – Was soll die Frage überhaupt?! – gar nicht genau weiß, warum ausgerechnet er zum Literaturnobelpreis und diesen seltsamen Auftritt in Stockholm befragt wird. Er kann aber genauso wenig abstreiten, dass er oft darüber spricht und in all seiner Sven-Regener-Haftigkeit kokettiert und polarisiert.
Beim Auftritt seiner Band Element of Crime auf Schloss Scherneck hört sich das so an: „Eigentlich hätte Bob Dylan doch jeden Nobelpreis verdient. Von mir aus auch Physik.“Was er hinter den markigen Sprüchen verbirgt, ist seine jüngste, spitzfindige Auseinandersetzung mit dem Thema „Können Rocksongs Literatur sein?“. Regeners Antwort: Musiktexte sind keine Literatur. „Sie sind nicht zum Lesen da, sie müssen gehört werden“, sagte er in einem Interview dem Journalisten der Neuen Zürcher Zeitung. Nebenbei hat er mit seinem Kumpel, Herr-Lehmann-Regisseur Leander Haußmann, ein Theaterstück geschrieben, wie sich zwei darüber streiten, ob Dylans schräger Auftritt angemessen oder doch überinszeniert war. Egal, sagt Regener, es ist ja Bob Dylan.
Warum das Dylan-Trara? Weil jeder Text über Element of Crime zwangsweise mit einem Fehler beginnen muss, der damit erklärt sei. Man kann die pointiertesten, hintersinnigsten und melancholischsten Textstellen aus dem 26 Songs (!) langen Abend herausfischen und abtippen. Man würde dem großartigen Auftritt in keiner Weise gerecht werden. In der Zeitung wird eben nicht gehört, sondern gelesen. Der Satz „Wo die Neurosen wuchern, will ich Landschaftsgärtner sein“ aus dem Song „Straßenbahn des Todes“löst – geschrieben – nicht annähernd das Haut-, Hirn- und Herzbeben aus, wie mit 1200 Neugierigen, Alt- und Jungfans der Band, die mittlerweile mindestens zwei Generationen umfassen. Wäre ja auch schlimm, wenn es anders wäre.
Nächstes Aufregerthema für Regener: Tod im Pop-Business. 32 Jahre ist es her, dass sich die Band gegründet hat und die Fragen nach den alternden Herren des Rock sind unausweichlich. Der Tod gehört zum Leben dazu und dieses „Rest in Peace“Geschreibsel auf Facebook bei B.B. King sei eine lächerliche Unsitte. Ausrufezeichen. Genau mit jener unsentimentalen Haltung geht Regener in seine Auftritte und das tut allen gut. Endvierziger und Mittfünfziger stehen mit „Too-OldTo-Die-Young“-Bandshirts im Publikum und eine Zuschauerin, Mitte 20, erzählt ihrem Begleiter, dass sie die Musik eigentlich von ihrem Papa kenne. Das verbindet.
Genau so funktionieren auch Regeners Texte. Über Liebe und Sehnsucht schreiben, ohne schmalzig zu werden („Am Ende denk ich immer nur an dich“). Das Alltägliche, Pragmatische, Zwischenmenschliche manchmal zynisch, manchmal bierernst entfalten lassen („Michaela sagt“). Und ganz ohne Altersklischees vom roten Wein und französischen Käse zitieren: Wenn die Band heute die Songs von damals spielt, klingt Regeners bierseeliger Bass so, als wäre alles für genau diesen einen Moment geschrieben worden. So pathetisch würde Element of Crime allerdings niemals klingen.