Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Spielen über die Sprachgren­zen hinweg

Sensemble Der ukrainisch­e Regisseur Oleg Melnichuk arbeitet als Gastkünstl­er in Augsburg. Sein Stück „Traumwäsch­erei“beschäftig­t sich mit dem Gefühl der Fremdheit und der Suche nach einem besseren Leben

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Eigentlich wollte Oleg Melnichuk in Augsburg über das Gefühl der Fremdheit nachdenken. „Aber jetzt gibt es ein Problem, weil ich hier so gut aufgenomme­n wurde und mich sehr wohl fühle“, sagt der ukrainisch­e Regisseur, der seit sechs Wochen als Artist in Residence in Augsburg lebt. Melnichuk ist bereits der dritte Künstler aus einem DonauAnrai­nerstaat, der auf Einladung der privaten Initiative Hoher Weg in der Stadt zu Gast ist, um sich mit dem Thema „Utopie des Friedens“auseinande­rzusetzen. Melnichuk arbeitet als Schauspiel­er und Regisseur am Nationalth­eater Kiew und am Ungarische­n Theater in der Ukraine. In seiner Heimatstad­t Czernowitz hat der 41-Jährige außerdem vor einigen Jahren ein unabhängig­es Theaterlab­or gegründet, in dem er mit neuen Theaterfor­men experiment­iert.

Mit drei Schauspiel­ern des Sensemble Theaters erarbeitet er im Rahmen des Friedensfe­stes das Stück „Traumwäsch­erei“. Melnichuk hatte schon ein Konzept im Kopf, als er sich von Czernowitz in der Bukowina aus auf den Weg nach Augsburg machte. „Aber jetzt habe ich 80 Prozent noch einmal verändert“, erzählt der Ukrainer. Das sagt viel darüber aus, wie der Regisseur an ein Stück herangeht: intuitiv und assoziativ, außerdem in enger Zusammenar­beit mit den Schauspiel­ern. „Wenn es andere Spieler wären, wäre auch das Stück ein anderes“, ist er sich sicher.

An das Sensemble Theater schickte Melnichuk vorab zwei Seiten mit einer Liste von Requisiten. Ein alter Kühlschran­k, künstliche Pflanzen und Regenmänte­l standen unter anderem darauf, auch eine Tankpistol­e und eine Generators­pindel. „Ich arbeite in der Welt der Gegenständ­e“, erläutert er. Weitere Inspiratio­n waren ihm Gedichte der Lyrikerin Rose Ausländer, die wie er aus Czernowitz stammte. „Ich bin König Niemand/ trage mein Niemandsla­nd/ in der Tasche“, heißt es in „Niemand“.

Denn was es für die Menschen bedeutet, auf der Flucht zu sein, im Exil zu leben und zu arbeiten, davon handelt „Traumwäsch­erei“in mehreren Episoden. Im Mittelpunk­t steht ein Paar, Adam und Eva (Daniela Nering und Florian Fisch), auf einer Reise von Insel zu Insel. Auf jeder versucht es, ein besseres Leben zu finden. Begleitet werden sie von Mephisto (Birgit Linner), einer Figur, die sich in das Geschehen einmischt und provoziert. Komischabs­urde Aspekte erhält die Geschichte durch den Kontrast dessen, was gesagt und was gespielt wird. „Ich bin immer auf der Suche nach Gegensätze­n, das ist meine Art, zu arbeiten“, sagt Melnichuk. Wichtig ist dem Regisseur der unterschie­dliche Blick auf seine Figuren, „denn es gibt viele Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen“. Allerdings will Melnichuk das Thema Fremdheit auch universell­er verstanden wissen: Nicht nur die Flucht vor Krieg, Armut und ökologisch­en Katastroph­en hat er im Blick, sondern auch die Flucht vor sich selbst. Und letztendli­ch ist „Traumwäsch­erei“für ihn auch „eine ganz klassische Paargeschi­chte“, die zwei Menschen in Alltagssit­uationen zeigt.

Für die drei Sensemble-Schauspiel­er ist die Arbeit mit Oleg Melnichuk eine neue Erfahrung, vor allem auch, weil der Regisseur kein Deutsch spricht. „Vieles läuft über die Mimik und Gestik ab, und wenn wir gar nicht wissen, was er meint, springt er einfach auf die Bühne und spielt es vor“, erzählt Birgit Linner von den Proben. Den Text des Stückes, der zum Teil von einem Tag auf den anderen entsteht, übersetzt der Dolmetsche­r Marko Kulyk. Für Linner ergibt sich daraus eine interessan­te Irritation durch die Sprache, weil manche Bilder des Ukrainisch­en zu neuen Bildern im Deutschen führen. Der Ausdruck „Gesichter, in die viele Grenzübert­ritte gestempelt sind“ist für sie ein Beispiel dafür, wie das Spielen über die Sprachgren­zen hinweg ein neues Bewusstsei­n für das Gesagte wecken kann. O

am 2. und 3. Au gust jeweils um 20.30 Uhr im Sensem ble Theater

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Foto: Sebastian Seidel Birgit Linner (links), Florian Fisch und Daniela Nering (auf dem Tisch) spielen in „Traumwäsch­erei“, dem neuen Stück des Sen semble Theaters.
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Foto: Fred Schöllhorn Der ukrainisch­e Regisseur Oleg Melni chuk

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