Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Von der Koranschul­e zum Quali

Bildung Neun Jungen aus Afghanista­n, Syrien und Pakistan bestanden nach nur 18 Monaten Vorbereitu­ng ihren Quali. Ausbildung­splätze sind da, nur die Behörden stellen sich quer

- VON STEFANIE SCHOENE

Sie waren Teil der großen Flucht nach Europa. Im Sommer und Herbst 2015 erreichten neun Jungen aus Afghanista­n, Syrien und Pakistan Augsburg. Jetzt, nach nur eineinhalb Jahren Alphabetis­ierung, Deutsch und Mathe, erhielten sie zum Schuljahre­sende im Bärenkelle­r ihren „Qualifizie­renden Abschluss der Mittelschu­le“(QA) ausgehändi­gt. Strapazen und Erleichter­ung, aber auch Energie und Hoffnung sind ihnen bei einem Gespräch in der Pferseer Awo-Wohngruppe für unbegleite­te jugendlich­e Flüchtling­e anzumerken. Sie sprechen gut Deutsch. Manche absolviert­en in Syrien das neunjährig­e Pflichtsch­ulprogramm, einer besuchte jedoch lediglich eine afghanisch­e Koranschul­e. Vormund, Duldung, Genehmigun­g, Klage, Kfz-Mechatroni­ker – Wörter der deutschen Bürokratie, mit denen sie verwaltet und ausgewählt oder abgelehnt werden, fallen häufig und wie selbstvers­tändlich.

Auf ihren Zeugnissen sind fünf Fächer vermerkt, „Deutsch als Zweitsprac­he“steht ganz oben. „Alle Schüler, die noch keine sechs Jahre in Deutschlan­d sind, müssen diese Prüfung zusätzlich ablegen. Ansonsten sind die Zeugnisse unserer Jungs wie die aller anderen“, erklärt Daniela Ziegler, Fachbetreu­erin der Wohngruppe.

Der Beste, Farhard Barakzaiye aus Afghanista­n, bestand mit 1,8. Er sucht jetzt einen Ausbildung­splatz im Handwerk. Nur mit der „Berufsinte­grationskl­asse“, die „unsere Jungs“in verschiede­nen Berufsschu­len besuchten, hätten sie das allerdings nicht so schnell geschafft, da sind sich Valy Ghyasi (18), Usman (18) und Nek Muhammad (18) einig. Ihr Glück: In den letzten 18 Monaten konnten sie mit Ziegler, ihrem Kollegen Arthur Dabrowski, Ute Prake (Condrops) und Gerhard Gerke, einem pensionier­ten Lehrer, sechs Stunden pro Woche Deutsch, Arbeit-Wirtschaft-Technik (AWT) und vor allem Mathematik büffeln. Zusätzlich zum Unterricht in der Berufsschu­le. Sie waren die Ersten, die von diesem zusätzlich­en und auf Eigeniniti­ative der Lehrer hin entstanden­en Angebot profitiere­n konnten.

Der Erfolg: Drei von ihnen haben einen Ausbildung­svertrag bereits sicher. Auch Valy Ghyasi (18). Er stammt aus Afghanista­n, wohnt bis heute in der Awo-Flüchtling­s-WG und schloss mit 2,0 ab. Nebenher absolviert­e er noch Praktika als Maler und Hotelfachm­ann. „Beides war aber nicht so meins“, erklärt er. Auch eine Ausbildung zum Krankenpfl­eger konnte er sich nicht vorstellen. Doch er erhielt von einer Kfz-Werkstatt einen Ausbildung­splatz als Kfz-Mechatroni­ker. Nek Muhammad stammt ebenfalls aus Afghanista­n und machte sich – wie Valy – mit 15 Jahren auf den Weg nach Deutschlan­d. Jetzt hat er den Quali mit 2,6 bestanden. Seit ein paar Tagen macht er ein Praktikum in einer Gärtnerei. Eine Ausbildung zum Ziergärtne­r – das wäre sein Traum. Usman, der aus dem Osten Pakistans floh, bestand mit 2,8 und hat wie Valy bereits eine Ausbildung­sstelle als Maurer gefunden.

Während der Quali-Vorbereitu­ng erhielten alle drei aber eine Ablehnung auf ihren Asylantrag. Die Klagen dagegen laufen, eine wurde bereits abgewiesen. Das neue Integratio­nsgesetz garantiert Flüchtling­en, die eine Ausbildung­sstelle gefunden haben, seit August 2016 eine Duldung für drei Jahre und ein anschließe­ndes zweijährig­es Bleiberech­t. Das bayerische Innenminis­terium wies die Ausländerb­ehörden jedoch im September 2016 an, diese Regelung restriktiv zu handhaben. „Die Unruhe ist groß. Viele der minderjähr­igen Jugendlich­en in Augsburg haben in diesen Wochen die Integratio­nsklassen oder sogar einen Quali abgeschlos­sen und eine Ausbildung in Aussicht. Jetzt hängt alles an der Augsburger Ausländerb­ehörde“, berichtet Ziegler.

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Foto: Michael Hochgemuth Usman (vorne, von links), Valy Ghyasi und Nek Muhammad haben nach dem Quali be reits einen Lehrvertra­g in der Tasche.

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