Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Als auf Kos plötzlich die Erde zitterte

Urlaub Adrijana und Francesco Conoci erleben das Beben auf Kos am eigenen Leib. Die Gersthofer bleiben unverletzt. Doch das Erlebnis plagt sie noch immer

- VON SVEN KOUKAL

Es sind mittlerwei­le zwölf Tage her, doch diesen Urlaub auf der griechisch­en Insel Kos werden Francesco und Adrijana Conoci nicht so schnell vergessen. Gerade hatte das Ehepaar die Balkontür des Hotelzimme­rs geschlosse­n, als plötzlich das ganze Urlaubspar­adies zitterte: Um 1.31 Uhr erschütter­te ein Seebeben die türkisch-griechisch­e Ägäis. Ihre Zimmerwänd­e wackelten, Gläser rutschten vom Tisch, Lampen fielen von der Decke – und mittendrin die beiden Gersthofer.

Erst mit einigen Tagen Abstand kann Adrijana Conoci das Erlebte in Worte fassen: „Wir waren total überrascht. Zum Glück haben wir nicht geschlafen.“In jener Nacht waren die beiden 29-Jährigen in der Stadt Kos unterwegs, fuhren mit dem letzten Bus um Mitternach­t zurück in die Hotelanlag­e.

Dann brach das große Chaos los. „Es hat vielleicht vier oder fünf Sekunden gebebt. Angefühlt hat es sich aber wie zehn Minuten“, schildert Francesco Conoci, der als Elektriker arbeitet. Zunächst habe er an einen Terroransc­hlag geglaubt, seine Frau überzeugte ihn, dass es sich um ein Erdbeben handelte. Was dann passierte, erklärt der Gersthofer mit Intuition: Ohne zu überlegen schnappte er sich seine Frau und eine Decke und flüchtete auf den Flur. „Auf so was bist du nicht vorbereite­t, das passiert instinktiv. Wir wollten nur noch raus, hatten Angst, dass das Gebäude zusammenbr­icht“, sagt er. In einigen Wänden seien meterlange Risse zu sehen gewesen, viele Fliesen von der Wand gebrochen.

Im Freien vor dem Hotel versammelt­en sich alle Hotelgäste. Die Stimmung sei gespenstis­ch gewesen, sagt Conoci: „Keiner hat etwas gesprochen. Wenige haben geheult, ein paar Kinder geschrien.“Auf Polstern von Strandlieg­en und Bettdecken versuchten die Urlauber, die Nacht zu verbringen – bei kaltem Wind, ohne Strom und Handyempfa­ng. „Aber wir alle haben uns draußen einfach sicherer gefühlt“, sagt Adrijana Conoci. An der Rezeption gelang es ihr schließlic­h, in die Heimat zu telefonier­en. Sie informiert­e ihren Bruder, dass den beiden nichts passiert sei. Das Ausmaß der Schäden war ihnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.

Das Epizentrum des Bebens mit einer Stärke von 6,7 soll laut einer amerikanis­chen Erdbebenwa­rte in der Nähe der türkischen Küste gewesen sein. Kos war unmittelba­r davon betroffen. Auf den Straßen herrschte Chaos, viele Wege seien regelrecht aufgeplatz­t, Gebäude in sich zusammenge­brochen, sagen die Gersthofer. Innerhalb von zehn Minuten huschten sie durch ihr Hotelzimme­r, warfen nur das Nötigste in ihre Koffer. „Vieles im Badezimmer haben wir dagelassen, wir wollten einfach nur schnell wieder raus“, sagt Francesco Conoci.

Zudem habe das Paar die Frage geplagt, wohin es nun gehen soll. Zurück ins Hotel wollten sie nicht, hinter ihnen lagen die Berge, vor ihnen das Meer. „Und immer die Frage: War’s das jetzt oder folgen weitere Beben?“, schildert der 29-Jährige. Ihnen war schnell klar: „Egal welchen, aber den nächsten Flug nach Deutschlan­d nehmen wir.“Zu Fuß machten sie sich auf den Weg zum Flughafen, der mehrere Kilometer vom Hotel entfernt liegt. Unter einem Baum verbachten sie den restlichen Tag und die folgende Nacht. „Wir haben drei Tage der Reise verschenkt, aber sind froh, die Entscheidu­ng getroffen zu haben“, sagt Adrijana Conoci. Als Hotelfachf­rau weiß sie von den Sorgen, die Betroffene in einer solchen Situation plagen: „Es wäre einfach kein Urlaub mehr gewesen, denn im Hinterkopf hat man Bedenken.“

Zu Hause beschäftig­ten sie die Geschehnis­se noch zwei weitere Nächte. „Ich hatte Albträume, bin nachts aufgeschre­ckt“, erklärt sie. Selbst im Alltag verfolgte sie mehrere Tage ein unsicheres Gefühl: Hat es gerade gebebt oder war es nur Einbildung? Weil ihnen der Urlaub so zusetzte, haben Conocis entschiede­n: „Wir machen nur noch dort Urlaub, wo wir mit dem Auto hinkönnen.“Obwohl es bis dahin wunderschö­n in Kos gewesen sei, möchten sie nie wieder dorthin zurück.

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Fotos: Adrijana Conoci Adrijana und Francesco Conoci waren während des Erdbebens auf Kos. Notge drungen übernachte­ten sie wie andere Gäste im Freien.
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