Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ihr Schicksal gab ihr Kraft
Porträt Es heißt, Isabel Allendes Geschichten seien melodramatisch. Ihre Inspiration zieht sie aus ihrem eigenen Leben – und kaum ein Roman könnte es damit aufnehmen
Ginge es nach Isabel Allende, hätte sie schon vor einigen Jahren aufgehört zu schreiben. Die chilenische Schriftstellerin wollte in Rente gehen. Ihre Agentin aber konterte: „Das geht gar nicht. Schreib zur Abwechslung mal einen Thriller.“
Vor drei Jahren erschien „Amandas Suche“, Allendes erster Thriller, dem sie noch ein weiteres Buch folgen ließ. Über 67 Millionen Mal haben sich ihre Geschichten verkauft, sie ist damit eine der meistgelesenen Autoren der spanischsprachigen Welt. Ihr Erfolg hält an, die Leser sind ihr treu. Und das, obwohl nur ihr Debüt-Roman „Das Geisterhaus“, erschienen 1982, die Literaturkritiker wirklich überzeugt hat.
Aus Briefen, die sie ihrem verstorbenen Großvater geschrieben hatte, entwickelte sie einen Roman, der eine chilenische Familie ab den 1920er Jahren begleitet – die Geschichte endet mit dem Militärputsch 1973, bei dem Allendes Patenonkel und Großcousin, der damalige Präsident Salvador Allende, sich selbst erschoss, als die Putschisten den Palast bombardierten.
Immer wieder griff Allende für ihre Bücher auf ihre eigenen Erfahrungen zurück und machte Familienangehörige zu Protagonisten. So verarbeitete sie den Tod ihrer Tochter Paula, die mit 28 Jahren an einer falsch behandelten Stoffwechselkrankheit starb, im gleichnamigen Roman. „Ich glaube nicht, dass ich je wieder etwas so Persönliches schreiben werde“, sagte sie damals über das Buch. Allendes Werke haben den Ruf, „melodramatischer Kitsch“zu sein. Sie handeln meist von starken Frauen, von Liebe und vom Zusammenleben der Generationen. Bedenkt man, wo sie ihre Inspiration findet, überrascht das nicht: Als wäre der Tod der eigenen Tochter nicht Tragödie genug, waren alle drei Kinder, die ihr zweiter Mann mit in die Ehe brachte, drogenabhängig. Zwei starben an einer Überdosis. Ihre vielen Krisen bewältigte sie durch das Schreiben, seit 1981 beginnt sie ein neues Buch immer am 8. Januar. Denn an diesem Datum schrieb sie auch den ersten Brief an ihren Großvater, die Basis für ihren größten literarischen Erfolg „Das Geisterhaus“. Das Datum bringe ihr – Glück, davon ist sie überzeugt. Der Rest ist harte Arbeit: Bis zu zehn Stunden am Tag sitzt sie am Schreibtisch, ehe der erste Entwurf fertig ist.
Die Tochter eines Diplomaten ging in Lateinamerika, Europa und dem Nahen Osten zur Schule, arbeitete als Journalistin und Lehrerin und gab zeitweise eine feministische Zeitschrift heraus. Nach dem Putsch in Chile ging sie ins Exil nach Venezuela, heute lebt sie in Kalifornien.
Irgendwann reichte das Schreiben nicht mehr, um die vielen Tragödien in ihrem Leben zu verarbeiten. Isabelle Allende machte eine Psychotherapie und merkte 2015: Ihre Ehe ist nicht mehr zu retten. „Niemand trennt sich gern mit 73“, sagte sie danach. Aber sie weiß jetzt auch: „Ich bin nicht verschlossen, verbittert oder verhärtet, sondern unverwüstlich.“Heute wird die chilenische Autorin 75 Jahre alt. Orla Finegan