Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Stiefkind Naturschutz
Gut ein Jahr später wurde nun versucht, den Fall strafrechtlich aufzuarbeiten. Die einfache Frage lautete: Wer ist schuld am Tod des minderjährigen Buben? Fünf Personen hatte die Staatsanwaltschaft zunächst im Visier: Drei Betreuer des Langerringer Sportvereins sowie zwei Bademeister des Oberammergauer Freizeitbades wurden wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.
Am ersten Prozesstag wurde das Verfahren gegen die drei Ehrenamtlichen aus Langerringen eingestellt. Ihre Anwälte hatten argumentiert, eine Verkettung unglücklicher Umstände habe zum Tod des Buben geführt, die Betreuer seien ihrer Aufsichtspflicht so gut wie irgend möglich nachgekommen. Richter Andreas Pfisterer sah das ähnlich. Wegen geringer Schuld stellte er das Verfahren ein, verdonnerte die drei Erwachsenen allerdings zu Geldauflagen in Höhe von zweimal 1500 und einmal 3000 Euro an gemeinnützige Einrichtungen.
Blieben auf der Anklagebank bis gestern also noch die zwei Bademeister übrig, die am Tag der Tragödie im „Wellenberg“Dienst hatten. Warum hatten sie den Todeskampf des Buben nicht mitbekommen – obwohl sie zum Unfallzeitpunkt beide in einem Kontrollraum waren, in dem sie auf elf Bildschirmen das gesamte Geschehen in dem Bad verfolgen konnten? Vor Gericht wurde deutlich, warum: Als Lukas ertrank, versorgten die Bademeister ein blutendes Kind, ermahnten über Lautsprecher eine Gruppe wild rutschender Kinder und beobachteten ein kleines Kind ohne Schwimmflügel, das sich ohne Aufsichtsperson im Schwimmerbecken aufhielt.
Viel zu tun also für einen Zeitraum von zehn Minuten – in diesen hätte das Leben des Buben noch gerettet werden können, erklärte eine Rechtsmedizinerin.
Wie Kollegen der Angeklagten gestern aussagten, hätten sich die Bademeister des „Wellenbergs“schon lange vor dem Unfall bei der Gemeinde Oberammergau darüber beschwert, dass sie personell zu schlecht aufgestellt seien. Eine lückenlose Kontrolle des Badebetriebs sei mit zwei Mann unmöglich. Erst nach dem Unfall reagierte die Gemeinde – und stellte einen weiteren Bademeister ein. Richter Pfisterer stellte gestern daraufhin auch das Verfahren gegen die beiden Bademeister ein. Wegen „geringer Schuld“. Sie müssen als Auflage 3000 und 2400 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen.
Naturschutz ist eine komplizierte Angelegenheit – wissenschaftlich wie politisch. Es gibt zwar zum Beispiel sehr konkrete – und sehr erschreckende! – wissenschaftliche Erkenntnisse über den Artenschwund. Das gesicherte Wissen über die Ursachen aber ist beschränkt. In aller Regel wird ein ganzes Bündel genannt: Umweltverschmutzung durch Industrie, Verkehr, Haushalte und intensive Landwirtschaft sowie Zersiedelung, Flächenverbrauch und selbstverständlich der Klimawandel.
Das politische Problem, das sich daraus ergibt, ist offenkundig: Für den Schutz der Lebensräume gefährdeter Arten kann nur vor Ort konkret etwas getan werden. Aber vor Ort gibt es halt immer jemanden, der sagt: Warum ausgerechnet bei uns? So ist es am Riedberger Horn im Allgäu, wo der Naturschutz dem Bau einer Skischaukel im Weg steht, so ist es überall dort in Bayern, wo ein dritter Nationalpark am Widerstand der Landwirte und Waldbesitzer scheitert, und so ist es in jeder Gemeinde, die lieber ein Gewerbegebiet mehr und ein Biotop weniger hätte.
„Nicht gegen den Willen der Bevölkerung“– so lautet das Credo des Ministerpräsidenten. Er hat seine liebe Not damit. Aus diesem Grund wird er den dritten Nationalpark, den er sich wünscht, vermutlich ebensowenig bekommen wie die dritte Startbahn am Münchner Flughafen. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist eine zweischneidige Sache. Es sollte, da haben die Grünen recht, beim Naturschutz kein Dogma sein. Andernfalls geht gar nichts voran.