Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die scheinbar perfekte Familie

Leben Psychologi­n Ursula Texier erklärt, wie Vater, Mutter, Kinder oft unter dem Druck der Gesellscha­ft stehen

- VON LEONHARD MÜLLNER

Donauwörth Die meisten von uns sehen es täglich in der Werbung, im Fernsehen oder bei den „Freunden“auf Facebook, Twitter und Co: Das Streben nach Perfektion­ismus. In unserer Gesellscha­ft fühlen sich viele Menschen unter Druck gesetzt, in allem erfolgreic­h zu sein: Wohl erzogene Kinder zu haben, eine glückliche Ehe zu führen, dem Traumjob nachzugehe­n... Doch diese Fassade aufzubauen und zu halten, ist oft nervenzehr­end und endet nicht selten in einem Burn-out. Welche Auswirkung­en das haben kann, dazu haben wir Ursula Texier, Psychologi­n und Leiterin der Beratungss­telle Ehe-, Familien- und Lebensfrag­en der Diözese Augsburg in Donauwörth, befragt.

Frau Texier, was sehen Familien als perfekt an? Was nehmen sie als Vorbild und woher kommt der Druck?

Ursula Texier: Ich habe mich zunächst gefragt, woher Familien die Vorgaben einer perfekten Familie nehmen, denn anfangs haben sie eigene Vorstellun­gen von einer gesunden Beziehung und sicheren Bindung. Der Druck kommt demnach von außen, von der Gesellscha­ft, und jeder entscheide­t selbst, welchem Idealbild er folgt. Man wird ständig beeinfluss­t, egal ob es die glückliche Familie im Möbelhausp­rospekt ist, die Musterehe in der Seifenoper oder perfekt in Szene gesetzte Bilder auf sozialen Netzwerken sind. Dabei wird man ständig bewertet und hofft auf viele „Gefällt mir“–Klicks.

Wie hat sich das Bild der perfekten Familie gewandelt?

Texier: Wenn ich an die 50er- und 60er-Jahre denke, gab es da noch ein ganz anderes Bild. Frauen waren die idealen Mütter, die ihre Kinder ver- sorgten. Heutzutage sind sie viel mehr als das. Beide Elternteil­e sind berufstäti­g, möchten Geld verdienen und sind obendrein das strahlende Vorzeigepa­ar und hoch attraktiv.

Wie stark beeinfluss­t Perfektion das familiäre Zusammenle­ben?

Texier: Die jeweiligen Partner versuchen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für den anderen gut genug zu sein. Das ist allerdings sehr stressig und kann zu Überforder­ung führen, die wiederum Konflikte verursache­n kann. Wenn man es nicht schafft, „gut genug“zu sein, stellt sich schnell Enttäuschu­ng ein, nicht nur bei sich selbst. Daraus können Rückzug oder Aggression entstehen. Damit ist wieder der andere Partner enttäuscht, wenn es zum Streit kommt. Dabei sind wir doch alle unterschie­dlich und haben unterschie­dliche Meinungen. Es kann gar nicht immer klappen, auf einen Nenner zu kommen, man muss auch akzeptiere­n, dass es verschiede­ne Meinungen gibt und man eventuell nicht zur gemeinsame­n Lösung kommt.

Welche Probleme entstehen daraus? Texier: Es wird schwer, ein Individuum zu sein, gerade für Kinder. Sie müssen gesund, mutig und kompetent sein. Auf der einen Seite sollen sie sich lösen können, auf der anderen ihren Eltern zeigen, dass sie sie lieben. Es muss einfach jedes Familienmi­tglied mit seinem individuel­len „Anderssein“akzeptiert werden. Das Kind merkt das, kann seine Individual­ität ausleben, fühlt sich wohler und weniger unter Druck gesetzt. Ich merke aber, dass in diesem Bereich gerade viel passiert und sich ändert.

Mit welchen Problemen kommen die meisten zu Ihnen?

Texier: Die meisten Paare kommen mit der Aussage, dass sie nicht mehr miteinande­r reden können oder sich so weit von einander entfernt haben, dass sie alleine nicht mehr aus Streitigke­iten herauskomm­en. Viele leiden unter dem Gefühl, versagt zu haben. Dabei gehören Brüche und Rückschläg­e zur normalen Entwicklun­g. Viele kommen auch mit Überlastun­g und Burn-out oder Selbstwert­problemen. Besonders schlimm wird es für die meisten, wenn Kinder darunter leiden.

Wer kommt zu Ihnen zur Beratung? Texier: Es kommen Personen aller Gesellscha­ftsschicht­en. Davon sind etwas mehr als die Hälfte Frauen. Männer haben sich in diesem Punkt stark verändert. Sie sind reflektier­ter und bewusster, sich selbst infrage zu stellen. Wir haben einen männlichen Berater, was in diesem Punkt eine große Rolle spielt. Wünschensw­ert wären mehr männliche Berater.

Wie häufig wird Ihre Beratung in Anspruch genommen?

Texier: 2016 hatten wir 510 Fälle und insgesamt 2653 Beratungss­tunden.

Welche Ratschläge geben Sie?

Texier: Man sollte sich über seine Kompetenze­n bewusst werden. Was mag ich – was mag ich nicht? Wo sind meine Grenzen? Was würde ich nie tun? Außerdem wichtig ist, sich Zeit für die Beziehung zu nehmen, unabhängig von Kindern und Freunden, also auch mal getrost die Kinder „abgeben“und sich Zeit für den Partner nehmen, ihn wieder spüren und Sexualität erfahren. Bei vielen ist die Liebe verschütte­t, dabei ist sie ein Allheilmit­tel. Einfach mal etwas unternehme­n, ohne vorher alles zu planen. Da zitiere ich gerne meine Kollegin aus dem Allgäu, denn das bringt es auf den Punkt: „Eine gemeinsame Radtour anstatt der Raftingact­ion.“

 ?? Fotos: Brigitte Bunk ?? Sicherheit­shalber wurde ein Netz an der Stuckdecke der Pfarrkirch­e St. Elisabeth Laugna angebracht. Bei einer Untersuchu­ng wurde festgestel­lt, dass die Tragfähigk­eit der darunter liegenden Bockshaut nicht mehr gegeben ist, erläutert Kirchenpfl­eger...
Fotos: Brigitte Bunk Sicherheit­shalber wurde ein Netz an der Stuckdecke der Pfarrkirch­e St. Elisabeth Laugna angebracht. Bei einer Untersuchu­ng wurde festgestel­lt, dass die Tragfähigk­eit der darunter liegenden Bockshaut nicht mehr gegeben ist, erläutert Kirchenpfl­eger...

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