Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn Schutzberechtigte ihre Familie nachholen
Gesellschaft Die Soufi-Jindis warteten fast zwei Jahre, bis der Vater aus Syrien nach Deutschland durfte. Familiennachzug wird auch in der Region ein immer wichtigeres Thema
Region Von der Öffentlichkeit unbemerkt treffen Menschen aus Syrien, Irak oder Afghanistan in der Region ein. Sie sind keine Flüchtlinge, sondern kommen mit einem Visum im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland. Das Landratsamt Augsburg schätzt ihre Zahl 2017 auf bislang 100 Personen, in AichachFriedberg sind es 55. Die Stadt Augsburg teilt mit, in kommunalen Unterkünften seien unter den 1070 Bewohnern 200 Menschen, die im Rahmen des Familiennachzugs eingereist sind. In den vergangenen Tagen flammte die bundesweite politische Debatte darüber auf, wie man mit dem Thema weiter umgehen soll. Bis März 2018 dürfen nämlich nur Menschen mit Flüchtlingsstatus Angehörige nachholen, nicht diejenigem mit eingeschränktem subsidiären Schutz.
Ein lebendes Beispiel hinter den Zahlen ist die Familie Soufi-Jindi, die in Friedberg-Ottmaring lebt. Hoda Soufi kam – verkürzt gesagt – 2015 mit ihren drei Kindern aus Syrien über die Türkei nach Deutschland. Ihr Ehemann Mustafa Jindi war von der Zwischenstation Türkei nach Syrien zurückgekehrt, um die Universitätsabschlüsse des Ehepaars beglaubigen zu lassen, damit diese in Deutschland anerkannt werden. Als diese wochenlange Prozedur abgeschlossen war, konnte er nicht mehr über die Grenze.
Der Fall sei ungewöhnlich, sagt Simone Losinger, Leiterin der Ausländeramtes Aichach-Friedberg: Es handelt sich um eine Familie, die den Vater nachholt. Meist ist es andersherum. Ein Grund, warum Prognosen, wie viele Menschen per Familiennachzug einwandern, weit auseinandergehen. Prinzipiell gilt, dass die Zahlen steigen.
Laut Auswärtigem Amt wurden im ersten Halbjahr deutschlandweit 2017 knapp 62 000 Visa erteilt, 2016 waren es im ganzen Jahr 105000, 2015 nur 70000 Visa. Das Bundesamt für Migration geht von einer Person im Familiennachzug pro Syrer aus. Losinger schätzt aus der Praxis heraus die Zahl weit höher. Dass bislang noch nicht viele kamen, habe mehrere Gründe. Einer ist die Dauer des Verfahrens.
Wer Asyl in Deutschland beantragt, darf Familienangehörige erst nachholen, wenn er einen Schutzstatus hat. So machte es auch Hoda Soufi. Sie stammt aus der Hafenstadt Latakia. „Das ist kein Kriegsgebiet wie Aleppo“, gibt sie zu. Doch Bomben fallen, Banden kidnappen Kinder, um Lösegeld zu erzwingen, ihr Sohn wurde überfallen. Sie wussten, dass Gangster hinter ihren Kindern her waren. Der Nachbarin wurde in der Wohnung die Kehle durchgeschnitten.
Mustafa Jindi unterrichtete Arabisch an der Universität, Hoda Soufi arbeitete in einer Bank. „Wir hatten ein gutes Auskommen, aber Angst um unser Leben“, sagen sie. Soufi gelangte in einer Phase nach Deutschland, als noch so gut wie alle Syrer Flüchtlingsstatus erhielten, und beantragte den Nachzug ihres Mannes. Bei den komplizierten Anträgen half ihr die Friedberger Asylbeauftragte Ulrike Proeller. Überprüft werden die Anträge von der deutschen Botschaft im Herkunftsland. Das dauert. Ein Jahr und neun Monate war die Familie getrennt, Mutter und Kinder waren in Sorge um Mustafa Jindi. Anfang Juli bekam er sein Visum. Jetzt ist die Familie glücklich. Nur eine größere Wohnung – momentan leben sie in drei kleinen Zimmern – wünschen sie sich. Und damit ist man bei einem riesigen Problem: Wohnraum.
Viele Familien, die über das Nachzugsverfahren einwandern, finden kein eigenes Heim und wohnen in kommunalen Unterkünften. Wie der Augsburger Sozialreferent Stefan Kiefer berichtet, ziehen sogar manche Flüchtlinge dorthin zurück, weil sie ihre Familie in der kleinen Wohnung, die sie ergattern konnten, nicht unterbringen können. „Sorgen bereitet uns, dass bald die ersten Mietverträge für Unterkünfte auslaufen. Auf Dauer benötigen wir für diese Familien Wohnungen“, sagt der Sozialreferent. Auch seitens des Landratsamtes Augsburg heißt es: „Probleme bei der Integration in den Arbeits- sowie den Wohnungsmarkt sind offensichtlich.“Die Soufi-Jindis lernen bereits Deutsch und wollen möglichst schnell das erforderliche Sprachniveau erreichen, um arbeiten zu können. Sie sind gebildet; die Prognosen der Jobberatung waren daher gut. Ihr Ziel ist es, auf eigenen Beinen zu stehen.
Fachleute schätzen, dass die Zahlen beim Nachzug steigen, auch wenn weiter nur Menschen mit Flüchtlingsstatus ihre Verwandten nachholen dürfen. Denn die Anträge wurden nach und nach gestellt und die Botschaften in den Herkunftsländern haben so viel abzuarbeiten, dass es einen Antragsstau gebe. »Kommentar