Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Das Abenteuer „Schtrossabah“
Woisch no Die Schaffner waren früher absolute Autoritätspersonen, die Fahrkarten mit seltsamen Männchen bedruckt. Wer in die Tram wollte, musste geschickt sein – vor allem, wenn sie schon fuhr
Vielleicht sagen einige ältere Augsburger noch „Tram“zur Straßenbahn, aber die meisten nennen sie auch heute noch liebevoll „Schtrossabah“. D’ Schtrossabah war in den 50er und 60er Jahren noch mehr als heute ein dringend benötigtes Transportmittel, da sich die Aufrüstung mit Autos und eine Zunahme des Individualverkehrs damals noch in Grenzen hielten.
Aber die Straßenbahnen der damaligen Zeit zeigten von außen und von innen ein anderes Bild als heute.
Fangen wir beim Straßenbahnschaffner an. (Ich glaube, es gab nur eine einzige Frau in dieser Rolle, davon später.) Die langen, grauen, bis zum Knöchel reichenden Mäntel der Schaffner waren noch aus übrig gebliebenen Wehr- machtsmänteln gefertigt. Auf dem Kopf trug er eine militärisch aussehende Kappe. Alles in allem war der Schaffner eine absolute Autoritätsperson. „Bewaffnet“war der Schaffner mit einer umgehängten Zahl- bzw. Geldkasse, die röhrenförmige Behälter für die Fuchzgerla, Zehnerla und Markstückla aufwies.
Zum Fahrschein, der bei uns nie „Bilettle“genannt wurde: Der war ungefähr 8 mal 4 Zentimeter groß und hatte auf der Rückseite eine Werbung für das Modehaus Boecker aufgedruckt. Diese Werbung zeigte ein rennendes, nacktes Männlein. Und darunter stand die Aufschrift „Schnell noch zu Boecker!“. Seltsam, da meines Wissens Boecker in erster Linie Damenkleidung verkaufte. Wenn ich mich richtig erinnere, war „das Männlein“mit der Knollennase sogar von Loriot gezeichnet. „Stroifakarta“gab es damals noch nicht. Der Fahrschein wurde vom Schaffner mit einem dicken Stift, der an einem Ende Gumminoppen hatte, vom Fahrscheinblock abgezogen. Viele Augsburger werden sich auch noch an den einzigen weiblichen Schaffner erinnern. Eine etwa 35bis 40-jährige blonde Frau (Haare gefärbt?), die ihre Augenbrauen entweder tätowiert oder mit dem Augenbrauenstift aufgetragen hatte. Sie verstand keinen Spaß und wurde regelrecht gefürchtet.
Kinder und Jugendliche machten sich in der Straßenbahn oft einen Spaß, indem sie auf die am Boden angebrachte Klingel, die für den Wagenführer gedacht war, traten. Im Wageninneren saß man sich auf langen Holzbänken gegenüber, war also gezwungen, den Fahrgast visà-vis anzustarren. Nach und nach veränderte sich das Interieur und später saß dann der Schaffner auf einem erhöhten Sitz im Eingangsbereich. Aber das Beste an den Straßenbahnen in den 50er und 60er Jahren war der Einstiegsbereich, im Freiluftsektor sozusagen. Der Einstieg bestand aus einem schwarzen Eisengitter, das für den Ein- und Ausstieg hochgeklappt werden musste. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mit der Omnibuslinie 25 von Steppach zum Oberhauser Bahnhof fuhr, um dort in die aus Kriegshaber kommende Straßenbahn umzusteigen. Immer die Angst, dass einem die Straßenbahn vor der Nase davonfahren könnte. War das der Fall, rannte ich der Straßenbahn 50 bis 100 Meter hinterher, klappte das Gitter hoch und bestieg die Straßenbahn, die bereits Fahrt aufgenommen hatte. Das machten viele so und mir sind noch die Worte des Schaffners im Ohr: „Haaalt Karre! Do hängt oiner draußa!“
Der zentrale Treffpunkt aller Straßenbahnen war der Kö. Rund um den „Pilz“. Der Pilz war immer von Straßenbahnen umstellt und war somit ein schlecht ausgemachter Treffpunkt für ein Rendezvous. Für die Leser, die die Nummern der Straßenbahnlinien nicht mehr genau wissen: Also, die 2er fuhr von Kriegshaber nach Göggingen, die 1er von Lechhausen nach Stadtbergen, die 4er von Oberhausen nach Haunstetten, die Linie 5 – jetzt muss ich nachdenken ... vom Roten Tor über den Oberen Graben ins Straßenbahndepot im Senkelbach.
Diese Linie wurde auch „Kapuzinerexpress“genannt, da sie bei der MAN am Kloster der Kapuziner vorbeikam. Und schließlich noch die Linie 6, die nach Hochzoll fuhr. Wenn ich ehrlich bin, mit der Linie 5 bin ich nie gefahren. Dafür bin ich doch ein paar Jahre zu spät geboren. O
Der Autor Silva no Tuiach ist Jahr gang 1950. Er wuchs in Augsburg und Steppach auf, heute lebt er in Neusäß. Der Kabarettist auch als Herr Ranzmayr bekannt, einem „Augschburger“in Reinform. Er ist auch bei Hitradio rt.1 zu hören. ist