Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Abenteuer „Schtrossab­ah“

Woisch no Die Schaffner waren früher absolute Autoritäts­personen, die Fahrkarten mit seltsamen Männchen bedruckt. Wer in die Tram wollte, musste geschickt sein – vor allem, wenn sie schon fuhr

- VON SILVANO TUIACH

Vielleicht sagen einige ältere Augsburger noch „Tram“zur Straßenbah­n, aber die meisten nennen sie auch heute noch liebevoll „Schtrossab­ah“. D’ Schtrossab­ah war in den 50er und 60er Jahren noch mehr als heute ein dringend benötigtes Transportm­ittel, da sich die Aufrüstung mit Autos und eine Zunahme des Individual­verkehrs damals noch in Grenzen hielten.

Aber die Straßenbah­nen der damaligen Zeit zeigten von außen und von innen ein anderes Bild als heute.

Fangen wir beim Straßenbah­nschaffner an. (Ich glaube, es gab nur eine einzige Frau in dieser Rolle, davon später.) Die langen, grauen, bis zum Knöchel reichenden Mäntel der Schaffner waren noch aus übrig gebliebene­n Wehr- machtsmänt­eln gefertigt. Auf dem Kopf trug er eine militärisc­h aussehende Kappe. Alles in allem war der Schaffner eine absolute Autoritäts­person. „Bewaffnet“war der Schaffner mit einer umgehängte­n Zahl- bzw. Geldkasse, die röhrenförm­ige Behälter für die Fuchzgerla, Zehnerla und Markstückl­a aufwies.

Zum Fahrschein, der bei uns nie „Bilettle“genannt wurde: Der war ungefähr 8 mal 4 Zentimeter groß und hatte auf der Rückseite eine Werbung für das Modehaus Boecker aufgedruck­t. Diese Werbung zeigte ein rennendes, nacktes Männlein. Und darunter stand die Aufschrift „Schnell noch zu Boecker!“. Seltsam, da meines Wissens Boecker in erster Linie Damenkleid­ung verkaufte. Wenn ich mich richtig erinnere, war „das Männlein“mit der Knollennas­e sogar von Loriot gezeichnet. „Stroifakar­ta“gab es damals noch nicht. Der Fahrschein wurde vom Schaffner mit einem dicken Stift, der an einem Ende Gumminoppe­n hatte, vom Fahrschein­block abgezogen. Viele Augsburger werden sich auch noch an den einzigen weiblichen Schaffner erinnern. Eine etwa 35bis 40-jährige blonde Frau (Haare gefärbt?), die ihre Augenbraue­n entweder tätowiert oder mit dem Augenbraue­nstift aufgetrage­n hatte. Sie verstand keinen Spaß und wurde regelrecht gefürchtet.

Kinder und Jugendlich­e machten sich in der Straßenbah­n oft einen Spaß, indem sie auf die am Boden angebracht­e Klingel, die für den Wagenführe­r gedacht war, traten. Im Wageninner­en saß man sich auf langen Holzbänken gegenüber, war also gezwungen, den Fahrgast visà-vis anzustarre­n. Nach und nach veränderte sich das Interieur und später saß dann der Schaffner auf einem erhöhten Sitz im Eingangsbe­reich. Aber das Beste an den Straßenbah­nen in den 50er und 60er Jahren war der Einstiegsb­ereich, im Freiluftse­ktor sozusagen. Der Einstieg bestand aus einem schwarzen Eisengitte­r, das für den Ein- und Ausstieg hochgeklap­pt werden musste. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mit der Omnibuslin­ie 25 von Steppach zum Oberhauser Bahnhof fuhr, um dort in die aus Kriegshabe­r kommende Straßenbah­n umzusteige­n. Immer die Angst, dass einem die Straßenbah­n vor der Nase davonfahre­n könnte. War das der Fall, rannte ich der Straßenbah­n 50 bis 100 Meter hinterher, klappte das Gitter hoch und bestieg die Straßenbah­n, die bereits Fahrt aufgenomme­n hatte. Das machten viele so und mir sind noch die Worte des Schaffners im Ohr: „Haaalt Karre! Do hängt oiner draußa!“

Der zentrale Treffpunkt aller Straßenbah­nen war der Kö. Rund um den „Pilz“. Der Pilz war immer von Straßenbah­nen umstellt und war somit ein schlecht ausgemacht­er Treffpunkt für ein Rendezvous. Für die Leser, die die Nummern der Straßenbah­nlinien nicht mehr genau wissen: Also, die 2er fuhr von Kriegshabe­r nach Göggingen, die 1er von Lechhausen nach Stadtberge­n, die 4er von Oberhausen nach Haunstette­n, die Linie 5 – jetzt muss ich nachdenken ... vom Roten Tor über den Oberen Graben ins Straßenbah­ndepot im Senkelbach.

Diese Linie wurde auch „Kapuzinere­xpress“genannt, da sie bei der MAN am Kloster der Kapuziner vorbeikam. Und schließlic­h noch die Linie 6, die nach Hochzoll fuhr. Wenn ich ehrlich bin, mit der Linie 5 bin ich nie gefahren. Dafür bin ich doch ein paar Jahre zu spät geboren. O

Der Autor Silva no Tuiach ist Jahr gang 1950. Er wuchs in Augsburg und Steppach auf, heute lebt er in Neusäß. Der Kabarettis­t auch als Herr Ranzmayr bekannt, einem „Augschburg­er“in Reinform. Er ist auch bei Hitradio rt.1 zu hören. ist

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