Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Diese Achterbahn ist sein „Baby“
Volksfest I Schausteller Fredy Schneider ist mit der Berg-und-Tal-Bahn aufgewachsen. Das Fahrgeschäft, das derzeit auf dem Plärrer steht, ist fast 50 Jahre alt. Warum hier noch echte Handarbeit angesagt ist
Er ist stets der Erste, der fährt. Sobald seine Achterbahn auf einem Festplatz fertig aufgebaut ist, setzt sich Fredy Schneider, 57, in einen der Wagen und macht den Test. Er kennt jede Kurve und jedes Rütteln. Er braucht eigentlich gar nicht hinzuschauen. Er sagt: „Ich spüre und höre es, ob mit meiner Bahn alles passt.“Das ist kein Wunder. Der Schausteller aus Nordrhein-Westfalen ist mit der Achterbahn aufgewachsen. Er war im Grundschulalter, als sein Vater die Bahn in Italien bauen ließ. 1968 war das. Seitdem ist das Fahrgeschäft im Familienbesitz. Und mit 49 Jahren ein echter Oldie.
Man sieht der Bahn ihr Alter auf den ersten Blick gar nicht an. Das „Baby“, wie Fredy Schneider sie nennt, wurde stets gut in Schuss gehalten. Sie ist das Kapital der Familie – und die denkt gar nicht daran, die Bahn demnächst in Rente zu schicken. Fredy Schneider („Ich liebe diese Bahn“) setzt darauf, dass die Volksfestbesucher gerade die Nostalgie schätzen, die von dem Koloss aus Stahl ausgeht. Dass die Fahrt nicht so wild und extrem ist wie bei den modernen Bahnen in den großen Freizeitparks, ist für ihn ein Pluspunkt: „Bei uns kann die ganze Familie gemeinsam mitfahren. Auch kleinere Kinder.“
Allerdings: Für den Schausteller ist es auch ein Aufwand, das fünf Jahrzehnte alte Fahrgeschäft zu betreiben. Moderne Attraktionen bau- sich fast schon von alleine auf. Die rund 1200 Einzelteile von Fredy Schneiders Bahn müssen jedes Mal aufs Neue in Handarbeit zusammengesetzt werden. Zehn Tage haben er und seine Mitarbeiter gebraucht, bis das Gewirr aus Schienen auf dem Plärrer fertig war. Alleine etwa zwei Tage Zeit kostet der Aufbau der „Sohle“, wie es Fredy Schneider nennt. Es ist der unterste Rahmen der Bahn. Er muss exakt gerade ausgerichtet sein. Ist hier etwas schief, dann passen später die Schienen nicht ineinander und man muss mühsam nachjustieren.
Fredy Schneider steht in der Mitte der Achterbahn. Er stützt sich mit einer Hand an einem stählernen ab. Um ihn herum rattern die Wagen über die Gleise. Fahrgäste schreien, andere strecken ihre Arme in die Luft. Von der Mitte aus kann man es ganz gut sehen. Die Schienen gleichen, wenn man den Grundriss der Bahn betrachtet, von der Form her einer Acht. An der Seite bilden die Schienen Kreise, in der Mitte kreuzen sie sich. „Wir haben das, was man klassisch eine Achterbahn nennt“, sagt er. Neuere Bahnen folgen meistens nicht mehr diesem Grundprinzip.
Die Bahn wurde in der renommierten Achterbahnschmiede Pinfari in Italien gebaut. Entsprechend elegant wirken auch die Wagen. Wie italienische Rennwagen. Vor einien gen Jahren hat Fredy Schneider die Gondeln aufgemöbelt – jetzt leuchten moderne LED-Lichter an Front und Heck. Die Fahrt selbst ist aber so wie eh und je: Mit einem Tritt auf ein Pedal gibt einer der Mitarbeiter die Strecke frei, mit Muskelkraft schiebt er den Wagen an und gibt ihm Schwung, bis er in einer Kette einrastet und nach oben gezogen wird. Dann geht es runter: 13 Meter in die Tiefe auf einer Strecke von 420 Metern. Eine Besonderheit: Es gibt keine Sicherheitsbügel. Die Bahn ist so konzipiert, dass man nicht aus den Sitzen gehoben wird. Gebremst wird am Ende wieder von Hand. Ein Mitarbeiter, er macht das auch schon seit mehr als zehn JahPfosten ren, zieht an einem langen Hebel, bis die Gondel steht.
Die Achterbahn ist ein Familienbetrieb. Seine jüngere Tochter und seine Frau wechseln sich an der Kasse ab. Sein Sohn hilft am Einstieg. Und eine Handvoll Mitarbeiter reist mit den Schneiders mit. Fredy Schneider muss heute mit weniger Mitarbeitern auskommen als noch vor ein paar Jahren. Auch er musste sparen. Er sagt: „Die Einnahmen passen, aber die Kosten sind enorm gestiegen.“Auch die Sicherheit kostet Geld. Alle fünf Jahre müssen alle Schweißnähte seiner Bahn einzeln kontrolliert werden. Eine Mammutaufgabe. Beim letzten Mal, erzählt er, seien drei Materialprüfer zwei Wochen lang beschäftigt gewesen.
Früher wurde die Bahn in den Wintermonaten gepflegt und auf Vordermann gebracht. Heute geht das nicht mehr, weil die Schneiders – wie die meisten Schausteller – auch auf Weihnachtsmärkten aktiv sind. Auf das zusätzliche Geschäft im Advent kann fast keiner in der Branche mehr verzichten. Jetzt wird im Sommer gearbeitet – immer dann, wenn es gerade eine passende Lücke zwischen zwei Volksfesten gibt.
Wie es mit der Bahn weitergeht, wenn sich Fredy Schneider zurückziehen sollte, ist noch nicht ganz geklärt. Ein Problem, einen Nachfolger zu finden, hat er allerdings nicht. Sein Sohn und seine jüngere Tochter würden beide gerne das Erbe antreten. Er lächelt: „Da gibt es intern noch Klärungsbedarf.“