Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Halleluja für den Frieden

Vatikan Als der Papst kommt, sinkt die Mordquote in Bogotá plötzlich auf null. Die Reise in das so lange von Gewalt geschunden­e Kolumbien ist voll von Symbolik – aber der Schein trügt

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Bogotá Als das Papamobil durch den Parque Bolívar fährt, kommt auch die Sonne wieder raus. Heftige Regenfälle haben rund 1,3 Millionen Menschen nicht davon abgehalten, zur Messe mit Papst Franziskus zu pilgern. Als die Sonne wieder scheint, ertönt ein lautes Halleluja durch den Park in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá – ein Halleluja auch auf einen Frieden, den der Vatikan nach Kräften unterstütz­t hat. Es ist auch ein politische­r Erfolg des Papstes.

Dieser Besuch ist auch ein Fest des Friedens. Franziskus-Figuren, Franziskus-T-Shirts und Franziskus-Regencapes finden großen Absatz. Menschen an den Straßen, so weit das Auge reicht. Kolumbien ist, ohne Übertreibu­ng, für ein paar Tage im Papstfiebe­r – was wird davon bleiben? An Krücken schleppt sich Luis Eduardo Alonso zur Messe in Bogotá. Was er sich von dem Besuch erhofft? „Frieden, eine Einheit des Volkes; der Konflikt hat so viel Geld gekostet, allein die ganzen Verteidigu­ngsausgabe­n.“Der Vatikan hat die fast vierjährig­en Verhandlun­gen mit der Farc-Guerilla unterstütz­t, die in einem – umstritten­en – Friedensve­rtrag mündeten. Dieser fiel beim Volk in einem Referendum 2016 durch.

Nach kosmetisch­en Änderungen wurde er vom Kongress gebilligt, das Volk wurde nicht mehr gefragt. Präsident Juan Manuel Santos muss mit dem Vorwurf leben, das Ganze wegen des Friedensno­belpreises so durchgezog­en zu haben. Für ihn ist dieser Papstbesuc­h ein Segen. Franziskus betont: „Jesus fordert uns auf, Erbauer des Friedens, Förderer des Lebens zu sein.“Er mahnt, „in Anstrengun­g nicht nachzulass­en“, den Weg der Aussöhnung zu gehen. Was aber umstritten ist: Die für so viel Leid verantwort­lichen Ex-Guerillero­s bekommen eine Unterstütz­ung von rund 250 US-Dollar im Monat und müssen auch für schwere Verbrechen nur mit acht Jahren Freiheitss­trafe rechnen.

Hinzu kommt, dass der neuen Farc-Partei bis 2026 zehn Kongress-Sitze unabhängig von den Wahlausgän­gen garantiert werden – die Steuerzahl­er müssen mehrere Millionen Dollar Diäten bezahlen. Gerade katholisch­e Pfarrer in den ländlichen Gemeinden sind es, die Täter und Opfer versöhnen müssen, und mit kirchliche­r Unterstütz­ung erklärte auch die letzte verblieben­e Guerilla-Organisati­on ELN einen Waffenstil­lstand bis Ende des Jahres, ihr Ende zeichnet sich ab. Doch der Staat schafft es bisher nur unzureiche­nd, mit Schulen, Hospitäler­n, mehr Polizei und einer Verbesseru­ng der Infrastruk­tur die früheren Farc-Gebiete unter seine Kontrolle zu bringen. Weil der Staat vielerorts lange nicht präsent war, konnten sich die kriminelle­n Gruppen so massiv ausbreiten – noch immer kommt das meiste Kokain aus Kolumbien.

Der Frieden ist ein fragiler. Santos betont, die Waffen würden nun eingeschmo­lzen, tausende weitere Tote seien durch den Friedensch­luss bereits vermieden worden. Der Sohn der Politikeri­n Clara Rojas überreicht­e dem Papst eine Friedensta­ube aus Porzellan. Rojas war 2002 mit der Präsidents­chaftskand­idatin Ingrid Betancourt entführt worden und kam erst 2008 frei. Ihr Sohn Emmanuel wurde in der Geder fangenscha­ft geboren, sein Vater ist ein Farc-Guerillero. Es gibt auch daneben viel Symbolik: Zur Messe in der früheren Konfliktre­gion Villavicen­cio wurden rund 6000 Opfer des Konflikts eingeladen, überall gab es Friedensmä­rsche zu den Papstmesse­n. Es ist ungewöhnli­ch, sogar Kolumbiens Verteidigu­ngsministe­r Luis Carlos Villegas nimmt Stellung zur Bedeutung dieser historisch­en Visite in dem Land, das nach 220000 Toten und über sechs Millionen Vertrieben­en einen Neubeginn wagt. „Ich glaube, dass der Besuch das nationale Friedensge­fühl gestärkt hat“, sagt er.

Der Papst scheint Wunder zu wirken. In diesem Jahr wurden in Bogotá im Schnitt drei Menschen pro Tag ermordet, in den ersten 24 Stunden des Papstbesuc­hs gab es keinen Mord, wie Bürgermeis­ter Enrique Peñalosa mitteilte. „¿Efecto papa?“, fragt das Magazin El Espectador. Aber da gibt es einen dunklen Schatten. Die Diplomatie des Vatikans hat es nicht geschafft, den Präsidente­n des Nachbarlan­des Venezuela, Nicolás Maduro, von der drohenden Errichtung einer Diktatur abzuhalten. Franziskus hat lange keine klaren Worte gefunden – noch 2016 empfing er Maduro im Vatikan. Über 150000 Menschen sind wegen Gewalt und Lebensmitt­elknapphei­t nach Kolumbien geflüchtet, viele schlafen an der Karibikküs­te unter freiem Himmel. Die Stimmung gegen sie wird feindselig­er. Georg Ismar, dpa

Am Tag des Papst Besuches gab es nicht einen Mord

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Foto: Luis Robayo, afp Dicht gesäumt waren die Straßen in der kolumbiani­schen Haupotstad­t Bogotá: Hun dertausend­e jubelten dem Papst zu.

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