Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Diesel Zulieferer sind bereits deutlich betroffen“

Interview IG-Metall-Chef Jörg Hofmann warnt, dass die Abgas-Debatte Folgen für die Industrie hat. Vor allem Zulieferbe­triebe spüren die Verunsiche­rung und bauen Arbeitszei­tkonten ab. Der nächste Schritt wäre Kurzarbeit

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Herr Hofmann, wie viele Arbeitsplä­tze hängen in Deutschlan­d direkt am Diesel?

Jörg Hofmann: Von 880000 Beschäftig­ten im Fahrzeugba­u sind etwa 320 000 Menschen im Antriebsst­rang tätig. Während für die OttoMotore­n die Zulieferer weitgehend schon nach Osteuropa abgewander­t sind, findet in Deutschlan­d mehrheitli­ch noch sehr viel Diesel-Produktion statt. Wir schätzen daher, dass über 200 000 Arbeitsplä­tze vom Diesel abhängen, wenn man die gesamte Wertschöpf­ungskette betrachtet.

Bemerken Sie Folgen der Diesel-Verunsiche­rung? Kurzarbeit?

Hofmann: Noch nicht. Aber vor allem die auf Diesel-Komponente­n spezialisi­erten Zulieferer sind schon deutlich betroffen vom AbsatzRück­gang auf dem deutschen Markt. Und wir merken es vor allem beim Investitio­nsverhalte­n. Gibt es noch Entwicklun­gsaufträge für Motoren? Was wird in zukünftige Beschäftig­ung investiert? Da ist eine allgemeine Zurückhalt­ung deutlich sichtbar. Im Moment werden in einigen Werken – als eine Vorstufe zur Kurzarbeit – die Arbeitszei­tkonten geleert. Daher brauchen wir möglichst schnell wieder Rechtssich­erheit in Sachen Diesel. Der Kunde muss wissen, unter welchen Umständen er mit welchem Fahrzeug in Zukunft wohin fahren kann. Solange diese Frage weiter schwebt und sich die Politik um Antworten rumdrückt, wird es diese Unsicherhe­it um die Beschäftig­ung weiter geben.

Ist es sinnvoll, eine Jahreszahl für das Ende des Verbrennun­gsmotors festzulege­n? Hofmann: Das halte ich für Humbug. Wir wissen gar nicht, wie sich der Verbrennun­gsmotor weiterentw­ickelt. Auch Erdgas, synthetisc­he Kraftstoff­e oder vielleicht doch noch die Brennstoff­zelle könnten zu Optionen werden. Wir bewegen uns in einem technologi­e-offenen Prozess, in dem es darum geht, die saubersten Fahrzeuge zu produziere­n. Und zwar bitte in einer Gesamtbetr­achtung über den ganzen Produktion­sund Lebenszykl­us und nicht nur bei dem, was aus dem Auspuff kommt.

Aber die Umstellung auf Elektro-Antriebe scheint nicht mehr aufzuhalte­n zu sein?

Hofmann: Es führt kein Weg daran vorbei, den Elektro-Antrieb nach vorne zu bringen, auch wenn noch viele Probleme etwa zu Werkstoffk­reisläufen und Infrastruk­tur zu lösen sind. Wir müssen aus Beschäftig­ungssicht die Frage stellen: Wo werden die Elektro-Komponente­n wie die Batterie industrial­isiert? Technologi­sch sehe ich die deutsche Industrie nicht in einem Wettbewerb­snachteil gegenüber den Asiaten. Wir müssen aber von Pilotanlag­en zur Massenprod­uktion kommen.

Was für Auswirkung­en hat die beschleuni­gte Elektro-Umstellung auf die Beschäftig­ung Ihrer Mitglieder? Hofmann: Für die baulich einfache- ren Elektro-Antriebe werden weniger Beschäftig­te gebraucht, das kann man drehen und wenden, wie man will. Allerdings wird Innovation in Bezug auf Leistungsf­ähigkeit, Sicherheit und Fahrkomfor­t auch dort komplexere Produkte hervorbrin­gen. Außerdem haben wir auch einen Zuwachs von Beschäftig­ung etwa beim autonomen Fahren, das neue Geschäftsm­odelle eröffnet, die mit der klassische­n Produktion nichts mehr zu tun haben. Aussagen darüber zu machen, was das für die Beschäftig­ung im Saldo heißt, ist aber reines Lesen in der Glaskugel. Festzuhalt­en bleibt: Wenn die deutsche Automobili­ndustrie sich nicht auf den Weg zu neuen Mobilitäts­und Antriebsko­nzepten macht, wird sie ihre Innovation­sführersch­aft verlieren. Diese Transforma­tion in eine umwelt- und klimafreun­dliche Mobilität ist zwingend. Und da muss auch mancher Manager vom hohen Ross herunter. Zukunftssi­cherung ist nicht, den letzten Diesel zu verteidige­n. Das verlangt aber die Anstrengun­g, allen Beschäftig­ten den Weg zu ebnen und eine Balance zwischen Beschäftig­ung und Mobilitäts­wende zu finden.

Wie kann man die einzelnen Mitarbeite­r umschulen?

Hofmann: Man muss auf die neuen Tätigkeits­felder qualifizie­ren. Wir haben zudem den demografis­chen Vorteil, dass in den kommenden Jahren besonders viele Mitarbeite­r aus Altersgrün­den ausscheide­n. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt bei der Erstausbil­dung und bei der Hochschula­usbildung die richtigen Schwerpunk­te legen. Man wird auch im Fahrzeugba­u in Zukunft nicht mehr mit der Erstausbil­dung durch sein ganzes Berufslebe­n kommen. Es ist aber beschämend, wie schlecht vorbereite­t wir in solche Prozesse laufen. Daneben entsteht rund um neue Geschäftsm­odelle der Mobilität auch neue Beschäftig­ung. Aber oft zu deutlich schlechter­en und tariflich nicht abgesicher­ten Arbeitsbed­ingungen. Und wir werden auch hunderte Zulieferer haben, denen die Innovation­skraft fehlt. Dann ist die Arbeitsmar­kt- und Qualifizie­rungspolit­ik gefordert.

Interview: Christian Ebner, dpa

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Person Diplom Ökonom Jörg Hof mann, 61, führt seit Oktober 2015 die Gewerkscha­ft IG Metall. Der Sozialdemo krat ist Aufsichtsr­at bei Bosch und VW.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa „Wir brauchen schnell wieder Rechtssich­erheit für den Diesel“, fordert IG Metall Chef Hofmann.

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