Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wo ist noch Platz zum Spielen?

Freizeit Der Wohnungsma­ngel zwingt Städte dazu, immer mehr Freifläche­n zu bebauen. Wissenscha­ftler kritisiere­n: Dadurch werden Kinder ausgegrenz­t

- VON KATHRIN ZEILMANN UND SEBASTIAN MAYR

Augsburg Draußen sein, herumtoben, mit Alltagsgeg­enständen Fantasiewe­lten schaffen – für Kinder müssen es oft nicht kistenweis­e Spielsache­n sein, um sie glücklich zu machen. Aber wenn Städte immer rascher wachsen und wenn auch auf dem Land immer mehr Autos durch die Orte fahren: Wo bleibt da der Platz zum Spielen abseits von Kinderzimm­er und Kita?

„Im Wohnumfeld und im öffentlich­en Raum werden Kinder ausgegrenz­t und auf Reservate wie Spielplätz­e verwiesen. Es ist aber wichtig, dass Kinder frei spielen können“, sagt der Wissenscha­ftler Peter Höfflin, der an der Evangelisc­hen Hochschule Ludwigsbur­g unter anderem zu Spielräume­n von Kindern forscht. „Freies Spiel meint, unbeaufsic­htigt draußen mit Gleichaltr­igen zu spielen. Die Entwicklun­g des Kindes geschieht durch Spielen.“

Aber: Auf Bäume klettern, Fußball spielen, sich verstecken – was Generation­en von Kindern draußen gemacht haben, scheint heute kaum mehr möglich. In den Städten ist der Wohnraum knapp, es wird immer mehr gebaut und in bereits bestehende­n Wohngebiet­en nachverdic­htet, also Freifläche­n überbaut.

Die Bayerische Bauordnung schreibt allerdings vor, dass beim Bau von Mehrfamili­enhäusern ab drei Wohneinhei­ten auch ein Spielplatz mitgeplant werden muss. Und auch die Kommunen unterhalte­n zahlreiche Spielplätz­e: Die Stadt Augsburg kümmert sich um 307 Spielberei­che, die für Kinder verschiede­ner Altersgrup­pen und für Jugendlich­e vorgesehen sind.

Eine außergewöh­nliche Anlage gibt es in Kempten, wie Stadtsprec­her Andreas Weber erklärt: den Spielplatz „Cambodunum“, der sich dem Thema Römerzeit widmet und direkt neben der Ausgrabung­sstätte und dem Museum gelegen ist. Der 2016 errichtete Spielplatz auf der Burghalde dagegen soll mit Wehrtürmen, Hängebrück­e, Kanone und mehr das Mittelalte­r widerspieg­eln. Insgesamt gibt es in Kempten 82 darunter zwei Skateanlag­en, elf Sportanlag­en und knapp 30 Bolzplätze.

Zwischen 105 000 und 130 000 Euro gibt die Stadt Neu-Ulm jährlich aus, um ihre Spielplätz­e zu unterhalte­n. Mit dem Geld werden 69 Spielplätz­e und Fitnessanl­agen, 14 Bolzplätze, zehn Jugendtref­fpunkte, sieben Skateplätz­e, vier Beachvolle­yballfelde­r und ein TrimmDich-Pfad finanziert. Stadtsprec­herin Sandra Lützel bezeichnet auch den Wasserspie­lplatz im Sport- und Freizeitpa­rk Wiley, das Outdoor Gym und das Wasserspie­l im Stadtpark Glacis als besondere Anlagen, die sehr gut angenommen würden.

Doch Spielplätz­e mit Sandkasten, Rutsche, Schaukel und Wippe sind nach Expertenan­sicht kein Ersatz für das Toben auf einer Freifläche. „Dazu wird viel mit künstliche­n Welten gearbeitet statt in der Natur: Es gibt Kletterwän­de statt Bäume. Aber das ist kein richtiger Ersatz. Auch viele Spielplätz­e sind monoton, gerade für Kinder im Grundschul­alter“, sagt Wissenscha­ftler Höfflin.

„Wenn es in Städten Konkurrenz um die Flächen gibt, ziehen Kinder natürlich oft den Kürzeren. Man muss die Kommunen in die Verantwort­ung nehmen“, betont der Soziologie-Professor. Dabei habe ein kindgerech­tes Wohnumfeld auch positive Effekte für Erwachsene und Senioren. „Man kann sehr viel machen, um Stadtquart­iere kindgeSpie­lplätze, recht zu entwickeln. Ich meine damit keine Bullerbü-Idylle, sondern die Schaffung einer kindgerech­ten Stadt.“

Ein weiterer Hemmschuh ist aus Sicht des Wissenscha­ftlers die Angst der Eltern. „Das Beschützen von Kindern hat zugenommen, dazu gibt es auch Studien. Man lässt immer weniger Risiken zu. Aber man darf Kinder nicht in Watte packen. Natürlich können sie nicht an einer viel befahrenen Straße spielen, das ist klar“, sagt Höfflin. Allerdings müsse ein Kind Risikokomp­etenz erst erlernen: „Kinder brauchen das Risiko, sie müssen klettern können, sie müssen sich auch mal das Knie aufschlage­n. Fallen lernt man nur durch Fallen.“

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? In vielen Städten ist der Platz knapp, auf dem Kinder noch spielen können. In Wohngebiet­en sind Spielplätz­e vorgeschri­eben. Doch ein Wissenscha­ftler sagt, dass den Kleinen trotzdem der Platz zum Toben fehlt.
Foto: Alexander Kaya In vielen Städten ist der Platz knapp, auf dem Kinder noch spielen können. In Wohngebiet­en sind Spielplätz­e vorgeschri­eben. Doch ein Wissenscha­ftler sagt, dass den Kleinen trotzdem der Platz zum Toben fehlt.

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