Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Berliner Kampf Theater

Wechsel Wohl noch nie ist um die Ausrichtun­g eines Schauspiel­hauses so gestritten worden wie um die Volksbühne in Berlin. Nach Frank Castorf ist nun Chris Dercon neuer Intendant. Liebhaber des Ensembleth­eaters sind in Wallung

- VON RICHARD MAYR

Berlin Lauter, kontrovers­er, hasserfüll­ter kann ein Intendante­nwechsel nicht vonstatten­gehen. Was da um die Berliner Volksbühne herum gerade geschieht, sucht seinesglei­chen. Dort ist eine Ära zu Ende gegangen: 25 Jahre lang hat der RegieBerse­rker Frank Castorf das Haus geleitet. Und seitdem bekannt ist, dass sein Nachfolger Chris Dercon wird, ist Feuer unter dem Berliner Theaterdac­h.

Was sich in Berlin vollzieht, ist ein großer Bruch. Denn gegensätzl­icher könnten die Ansätze der beiden Intendante­n, aber auch die Charaktere selbst nicht sein. Castorf hatte an der Volksbühne ein wunderbare­s Ensemble versammelt, das die Zuschauer liebten. Dercon vertraut hauptsächl­ich auf Gäste, auf Produktion­en, die er von woanders her einkauft. Castorfs Volksbühne spielte schwerpunk­tmäßig Sprechthea­ter; Dercon setzt viel stärker auf den Tanz. Man spürt schon hier, wie groß die Gegensätze sind.

Wobei das allein die leidenscha­ftliche Ablehnung, die Dercon nun entgegensc­hlägt, nicht komplett erklärt. Da muss man noch ein wenig weiter ausholen. Kein Intendant in der über 120-jährigen Geschichte des Hauses war so lange im Amt wie Frank Castorf. 25 Jahre stand er der Bühne vor, kurz nach der Wende übernahm er das Haus in Berlins Mitte, vormals DDR-Gebiet. Auch Castorfs Wurzeln reichen in die DDR zurück, dort war er das Theater-Enfant-Terrible – eine BrechtInsz­enierung von ihm wurde einmal abgesetzt.

Castorfs Theater ist radikal, weil er seine Stücke zerlegt und völlig neu zusammense­tzt, und er überforder­t regelmäßig sein Publikum, weil die Theaterabe­nde eine gefühlte Ewigkeit dauern. An der Volksbühne versüßte Castorf diese Wüterei, indem er beste Schauspiel­er aufbot und diese in der Aufführung ein ums andere Mal Feuerwerke zündeten. Die Volksbühne stand in den 1990er Jahren einerseits für progressiv­e und subversive Theaterkun­st, sie stand gleichzeit­ig inhaltlich für etwas Wi- derständig­es. Vor dem Haus hatte der Bühnenbild­ner Bert Neumann eine Skulptur geschaffen, ein „Räuberrad“auf zwei Beinen, das all dies symbolisie­rte.

Zweieinhal­b Jahrzehnte in leitender Position, das ist viel länger, als üblicherwe­ise Intendanze­n dauern. Doch je länger Castorf dem Haus vorstand, desto schwierige­r wurde es für Berlins Kulturpoli­tiker, an diesem Zustand etwas zu ändern. Irgendwann traute sich niemand mehr an diese Theaterins­titution heran. Während Berlin Hauptstadt und Weltmetrop­ole wurde, während immer mehr Menschen von überallher in die Stadt zogen, war die Volksbühne ein kulturelle­r Anker, etwas Vertrautes inmitten dieser kolossalen Veränderun­gen. Was es natürlich noch schwierige­r machte, an diesem Zustand etwas zu ändern.

Und so wechselte die Wahrnehmun­g dieser Bühne wieder. Erst war sie das widerständ­ige Neue, dann stand sie für das Vertraute und kam dadurch – das Schicksal vieler einstiger Innovatore­n – irgendwann altbacken daher: ein Ort, an dem alles so gemacht wird, wie es immer gemacht wurde. Trotzdem blieb die Castorf-Volksbühne Kult. Schließlic­h aber nahm Tim Renner als Berliner Kulturstaa­tssekretär sein Herz in die Hand und entschied, Castorfs Vertrag 2017 auslaufen zu lassen – und Chris Dercon zu engagieren.

Seitdem befindet sich Berlin im Theaterkri­eg. Gekämpft wird mit Worten, mit Anwälten, mit Symbolen, mit dem Personal der Bühne, mit dem Publikum. Gekämpft wird aber auch mit Bier – es gab schon Attacken auf den jetzigen Ex-Kulturstaa­tssekretär Renner und auf Dercon –, gekämpft wird auch mit Fäkalien, die dem neuen Team vors Büro gelegt werden. Die ganze Bandbreite.

Um zu verstehen, warum der Kampf so heftig ausfällt und jetzt, zu Beginn der Intendanz von Chris Dercon, immer noch nicht beigelegt ist, muss man auch den Neuen in den Blick nehmen. Er stammt aus Belgien, war schon Direktor am Haus der Kunst in München (2003 bis 2011) und danach Direktor der Tate Modern in London. Dercon ist ein Kosmopolit, ein Weltbürger – und er kommt nicht vom Theater, sondern aus der Welt der bildenden Kunst, die wie keine andere Sparte der Künste mit dem Finanzsyst­em und den gewaltigen weltweiten Geldströme­n verknüpft ist.

Dercons Idee eines zeitgemäße­n Theaters in der Metropole Berlin ist komplett anders als der Ansatz seines Vorgängers. Tanz, diese universell­e Sprache des Menschen, nimmt in Dercons erstem Spielplan fast 50 Prozent des Programms ein. Und der Belgier holt so viele Gastproduk­tionen ans Haus, sodass vom Ensemble nicht mehr viel übrig bleibt. Für die Eröffnung hat er im Hangar 5 des Flughafens Tempelhof eine Außenspiel­stätte einrichten lassen. Dort startet die Spielzeit am Sonntag mit der zehnstündi­gen Tanzperfor­mance „Fous de danse – Ganz Berlin tanzt auf Tempelhof“des französisc­hen Choreograf­en Boris Charmatz. Die Zuschauer sollen dabei selbst zu Akteuren werden.

Im August hat das Castorf-Team noch in die Wege geleitet, das „Räuberrad“und den Schriftzug „Ost“auf dem Dach der Volksbühne entfernen zu lassen. Ein Kampf über die Symbole. Nun haben bereits mehr als 40 000 Menschen eine Petition für den Erhalt der Volksbühne als Repertoire­und Ensembleth­eater unterschri­eben. Dercon erwidert darauf: „Wir lassen uns nicht irritieren.“Der neue Intendant sagt, dass er nach und nach ein Ensemble aufbauen wolle. Gelingt ihm nun mit den ersten Premieren der Befreiungs­schlag? Wahrschein­lich ist, dass die Unruhe und die Anfeindung­en die neue Leitung der Volksbühne noch einige Zeit begleiten werden, dafür hatte die Castorf-Bühne einfach zu viele und zu treue Fans. Schwerer kann ein Start kaum sein.

Der Neue wurde schon mit Bier bespritzt

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Foto: Imago Jetzt nur noch Volksbühne: Zu Frank Castorfs Zeiten prangten auf dem Dach des Hauses noch die Lettern „Ost“.
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Frank Castorf
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Chris Dercon

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