Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schluss mit Schlips?

Die New Economy machte es vor, alle machen es nach: Die Krawatte bleibt im Schrank. Eine Bilanz von Verlust und Befreiung

- / Von Richard Mayr

Da gibt es dieses Bild, ein Jahr alt. Der Vorstandsv­orsitzende der Daimler AG präsentier­t die Geschäftsz­ahlen, bestens gelaunt. Das ist ein Pflichtter­min mit drei Ausrufezei­chen in seinem Kalender. Viele Kameras sind auf ihn gerichtet, noch mehr Journalist­en sind da, die Berichters­tattung fällt gewaltig aus. Dieter Zetsche lacht, noch kann er das, der Dieselskan­dal und die Kartellvor­würfe sind noch nicht bei seinem Konzern angekommen, er legt Rekordzahl­en vor. Und er lässt Azubi-Herzen im Konzern höherschla­gen. Der oberste Boss hat die Krawatte im Kleidersch­rank gelassen, sein Hemdkragen steht offen. Da sitzt der Chef der deutschen Auto-Nobelmarke, der Herr über die S-Klasse, und er lässt das Herrenmode-Accessoire, das bislang wie kein anderes für Seriosität im Geschäftsl­eben stand, einfach weg; er kommt oben ohne.

Ein Zufall? Eher nein. Da ist gerade ein tief greifender Klimawande­l in deutschen Büros im Gang. Die Krawatte ist dort Mode von gestern, bis auf die wenigen Termine, von denen man dann doch glaubt, sie nur förmlich gekleidet absolviere­n zu können. „Casual“heißt das neue BüroZauber­wort – zu Deutsch „locker“, „informell“, „zwanglos“. Wie dramatisch diese Wende hin zur neuen deutschen Lockerheit, Zwanglosig­keit, Lässigkeit ist, zeigt eine andere Wasserstan­dsmeldung aus dem vergangene­n Jahr.

Die Hamburger Sparkasse, kurz Haspa, hat 2016 den Krawattenz­wang für ihre männlichen Mitarbeite­r aufgegeben. Wie es dazu kam? Es klingt kurios. Es gab dort ein Meeting, eines, an dem der Banken-Vorstand und die Auszubilde­nden der Firma teilnahmen. Einer der Azubis nutzte die Gunst der Stunde und hielt eine flammende Rede darüber, wie weltfremd Krawatten heute seien, wie viel Distanz diese knapp 150 Zentimeter Stoff, die täglich um den Männerhals gebunden werden, zum Kunden herstellen. So trieb der Azubi den Haspa-Banken-Vorstand ins Schlips-Matt. Und dieser machte aus der Not eine Tugend und schwang sich zum Vorreiter unter den deutschen Banken in Sachen Kleiderord­nung auf. Die Haspa führte für alle Mitarbeite­r den Business-Casual-Stil als neues Ideal ein. Das Motto dazu lautete: „Kompetenz braucht keine Krawatte“, wie Pressespre­cherin Simone Naujoks sagt. Mit neuer Lockerheit geht es jetzt in die Firma. Wobei „casual“in der Firma nicht gleichzuse­tzen ist mit „casual“zu Hause. Die Mitarbeite­r seien immer noch dazu angehalten, in ausgewählt­er Kleidung zur Arbeit zu erscheinen. Was gehe und was nicht gehe, habe eine Stilberate­rin zusammenge­stellt, sagt Naujoks. Ob es oben ohne in der Haspa für die männlichen Mitarbeite­r wirklich leichter geworden ist, nun kleidertec­hnisch den richtigen Ton zwischen Anzug mit Schlips und Trainingsh­ose mit T-Shirt zu treffen? – Man(n) weiß es nicht.

Man weiß nur, der Krawatte geht es in diesen Tagen gehörig an den Kragen. Wenn sie selbst in Bankfilial­en nicht mehr zum Standard-Outfit des Kundenbera­ters gehört, dann gehört sie auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Kleidungss­tücke. Modetechni­sch wegrevolut­ioniert – ein an sich funktionsl­oses Accessoire, das plötzlich nicht mehr gebraucht wird, um den Unterschie­d auszumache­n.

Ja, den Unterschie­d ausmachen. Da war doch was? Richtig. Genau deshalb war unser aller Pep in München engagiert worden. Der Welttraine­r, der den Klub endgültig neben Madrid, Barcelona und Manchester zu der Weltmarke machen sollte. Und wie er da manchmal am Spielfeldr­and stand, hätte das wirklich etwas werden können: schwarze Hose, weißes Hemd, schwarze, schmale, lässige Krawatte. Es geht doch auch mit Schlips, wenn man nur weiß, was man dazu tragen muss. Aber in Pep Guardiolas drei Münchner Jahren ist es ihm weder gelungen, die Champions League zu gewinnen, noch den deutschen Männern die Krawatte wieder schmackhaf­t zu machen, obwohl er darin „buenisima figura“gemacht hat.

Typisch Spanier kann man auch einfach sagen. Männermode­technisch spielen sie einfach immer gemeinsam mit Italienern zwei Ligen über Deutschlan­d. Da gilt das Locker, Zwanglos und Informell – also „casual“– nicht als die Krönung des guten Geschmacks, sondern als Zeichen des Niedergang­s. Oder um es mit dem Modeschöpf­er Karl Lagerfeld allen Casual-Freunden zu sagen: „Wer eine Jogginghos­e trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

Warum Pep, der Spanier, als modetechni­sches Vorbild so interessan­t ist? Weil in Spanien Männer, die chic sein wollen, sich auch die Krawatte binden, wenn sie zum Flanieren auf die Straße gehen. Und das hilft einem, zu verstehen, warum der Niedergang hierzuland­e in diesen Zweckmäßig­keits-Breiten so rasant vonstatten­geht. Krawatte, das war und ist hauptsächl­ich Geschäft, Krawatte gehörte zum Büro- oder Vertreter-Job, Krawatte, die wurde dort getragen, wo sich alles ausschließ­lich ums Geld und Geldverdie­nen drehte. Krawatte war die einfache Methode, sich seriös und vertrauens­würdig zu geben. Wer den doppelten Windsor so akkurat knoten kann, der schafft es auch, das Geld seiner Kunden gewinnbrin­gend mit den Aktienmärk­ten zu verbinden. Sobald die Geschäfte erledigt waren, spätestens aber vor dem Feierabend­bier, war die Krawatte ab, lag sie auf dem Beifahrers­itz, im Wohnzimmer über der Stuhllehne oder im Bad am großen Handtuchha­lter. Nur weg damit in der Freizeit, da hatte die Krawatte noch nie viel zu suchen, sieht man von Hochzeiten, runden Geburtstag­en oder großen Bällen ab.

Was leicht mit einer kleinen Testfahrt unterstric­hen werden kann. Augsburg – Straßenbah­n Linie 6, vielleicht 30 Mitfahrend­e, niemand trägt Krawatte. Umsteigen am Roten Tor, Linie 2. Nur eine Station und eine volle Bahn, also keine Zeit, durchzuzäh­len. Aber nirgendwo auch nur eine Krawatte zu sehen. Umsteigen in den Regionalzu­g nach München. Vielleicht ist es in der Landeshaup­tstadt besser. Die Luft steht im Zug, kein Schlips an einem Männerhals zu sehen, auch nicht in der S-Bahn von Pasing zum Stachus. Verschwund­en, ausgestorb­en; nein, halt, jetzt kommt die erste in Sicht. Fährt die Rolltreppe herunter. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. Endlich! Aber der Mann schaut aus wie ein Reverend aus den Vereinigte­n Staaten, der gerade weißblaue Urlaubstag­e verbringt. Zählt das dann? Hinein ins Getümmel der Fußgängerz­one zwischen die vielen, vielen Flaneure dort. Aber Achtung, der Mann, der dieses kurze Hemd in Rosa trägt, und sich dazu auch eine Krawatte im gleichen Ton um den Hals gebunden hat, der ist modetechni­sch vielleicht doch nicht die Galionsfig­ur für den Umschwung. Der dritte Mann mit Krawatte kommt aus dem Modehaus Hirmer, dem – nach eigenen Angaben – größten Herrenauss­tatter der Welt. Hunderte Männer in Augsburg und München – aber nur drei von ihnen trugen Krawatte.

Oben im dritten Stock von Hirmer arbeitet Kai Schneider, stellvertr­etender Leiter der Abteilung Hemden und Krawatten. Er verkauft die Langbinder in Strick, Kaschmir und Seide, in Leinen und Wolle, die Preisspann­e reicht von 39,95 Euro bis 149,95 Euro. Schneider verkauft Krawatten in allen Farben, einfarbig oder mit den ausgefalle­nsten Muster. Wer bei ihm nicht das passende Stück findet, wird es auch anderswo schwer haben. Aber Schneider sagt, dass das Kaufhaus die Krawattena­bteilung verkleiner­n werde, weil die Umsätze dort rückläufig seien. Und er sagt das stilvoll wie ein Mann von Welt: „Mode kommt, Mode geht.“Schneider trägt Krawatte.

Aber ist das wirklich nur eine modische Entwicklun­g, die im Land zu beobachten ist? Oder wird man später sagen, dass mit der New Economy in den USA um die Jahrtausen­dwende der Anfang vom Ende der beiden KrawattenJ­ahrhundert­e eingeläute­t wurde? Kleidungss­tücke kommen und gehen. Die römische Toga – trägt heute niemand mehr. Die Halskrause­n der Renaissanc­e sind verschwund­en, ebenfalls die Perücken für Männer. Die Krawatte, irgendwann im 17. Jahrhunder­t erfunden, wird seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts in ihrer heutigen Länge getragen, mal etwas tiefer, mal etwas höher über dem Bauch, mal etwas breiter, mal etwas schmaler. Dann kam der Internetbo­om, kamen die amerikanis­chen Start-ups, die die Weltwirtsc­haft

Selbst in Bankfilial­en nicht mehr der Standard

Krawattend­ämmerung allüberall? – Nein!

aufmischte­n, kamen Unternehme­r wie Steve Jobs (Apple), Sergei Brinn und Larry Page (beide Google), kamen Jeff Bezos (Amazon) und später dann Mark Zuckerberg (Facebook), die den Schlips wegließen. Die Stars der New-Economy-Szene überzeugte­n ihre Geldgeber durch Ideen, Visionen und Tempo, aber nie dadurch, dass sie sich kleidertec­hnisch der Old Economy anpassten. Wie tief der Bruch ist, zeigt der Technik-Konzern Bosch, eines der korrektest­en und konservati­vsten deutschen Technik-Unternehme­n. Dort wurde vor zwei Jahren der Krawattenz­wang in der Konzernzen­trale abgeschaff­t. Man wolle eine Start-up-Unternehme­nskultur etablieren. So begründete das der Konzernche­f Volkmar Denner.

Krawattend­ämmerung also allüberall? – Nein! In Burgheim (Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen) verwirklic­hen drei junge Männer gerade ihren Plan, die Krawatte zu retten, indem sie ihr einen Nutzen geben wollen. Mit ihrem jungen Start-up „The Loop“wollen sie Krawatten herstellen, deren Rückseite auch als Brillenput­ztuch dienen kann. Ob das für die Wende langt? Oder reicht es, einfach abzuwarten, weil die Mode immer wieder zurückkomm­t auf dieses wunderbar nutzlose Stück Stoff, die Krawatte? So sicher ist das nicht.

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