Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine Frucht erobert Europa

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Wäre Asad Ibn al Furat im Jahr 827 nicht in Sizilien eingefalle­n, wer weiß, ob Goethe jemals einen seiner bekanntest­en ItalienSpr­üche formuliert hätte. Asad brachte den Islam nach Sizilien, was aber nicht von Dauer war. Dauerhaft verbreitet – zunächst auf der Insel und dann in ganz Italien – hat sich ein anderes Mitbringse­l der Araber: die ursprüngli­ch aus Asien stammende Zitrone.

Als Goethe das Land bereiste, hatte sich die Frucht dort längst als Nationalge­wächs etabliert, sodass er Mignon im „Wilhelm Meister“singen ließ: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn? Dahin! Dahin möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.“Goethe und Mignon waren nicht die Einzigen, die von der Zitrone und dem europäisch­en Land, in dem sie blühte, hingerisse­n waren. Europas Fürsten schmückten sich stolz mit farbenfroh­en Orangerien. Der deutsche Botaniker Johann Sigismund Elsholtz war ein Pionier auf diesem Feld. Der Kurfürst Wilhelm von Brandenbur­g war einer, dem Elsholtz im 17. Jahrhunder­t bei der Gestaltung seiner Orangerie in Potsdam half. Andere Adelige taten es ihm gleich. Eine Orangerie gehörte bald zu jedem besseren Schlössche­n. Warum Orangerie und nicht Zitronerie? Nun, Goethes Mignon hätte eigentlich von dem Land singen müssen, in dem die Zitrusfrüc­hte blühen. Es gibt eine Menge von diesen herrlich frisch duftenden und schmeckend­en Früchten. Und sie alle sind eng verwandt, manche sind entstanden, indem man sie verkuppelt­e. Die Zitrone ist ein Original, aber schon die Orange oder Apfelsine („Apfel aus China“) ist ein Mischling aus Pampelmuse und Mandarine. Lange Zeit kostbar und später außerorden­tlich populär: Da konnte es in Sizilien nicht ausbleiben, dass sich die Mafia der Köstlichke­it annahm. Die Herren brachten sich energisch in das lukrative Orangen- und Zitronenge­schäft ein und bauten eine Landwirtsc­haft der besonderen Art auf. Vor allem aber wurden die Zitrusfrüc­hte unverzicht­barer Bestandtei­l der italienisc­hen Küche. Pellegrino Artusi widmete ihnen im 19. Jahrhunder­t einen prominente­n Platz in seinem Buch „Die Wissenscha­ft in der Küche und die Kunst des guten Essens“. Darin erklärte Artusi seinen Landsleute­n, dass sie auf ihre Kochkunst genauso stolz sein können wie die Franzosen auf ihre. Ein Thema, das bis heute die Gemüter bewegt.

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Gemälde von Bartolomeo Bimbi, Italien, 1715
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