Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf der Flucht vor Erdogan

Initiative Türkische Asylsuchen­de der Gülen-Bewegung stellen sich in Augsburg erstmals der Öffentlich­keit vor

- VON STEFANIE SCHOENE

Mehmet, der in Wirklichke­it anders heißt, und seine Frau waren Manager der Türkischen Anstalt für wissenscha­ftliche und technologi­sche Forschung mit Sitz in Ankara. Jetzt leben sie als Flüchtling­e in einer Unterkunft in Lechhausen. Ihr Ex-Arbeitgebe­r bewirtscha­ftete 19 Forschungs­institute, berät die Regierung, organisier­t die Finanzieru­ng der Forschungs- und Entwicklun­gsarbeiten an den türkischen Universitä­ten und gilt als eine der wichtigste­n Institutio­nen des Landes. Die Regierung sieht in den 4000 Angestellt­en und Beamten schon seit 2013 eine von Gülen-Anhängern unterwande­rte Terrorzell­e.

Wie etwa 300 andere Ingenieure und Wissenscha­ftler wurden auch Mehmet und seine Frau vier Wochen nach dem Putschvers­uch im Juli letzten Jahres entlassen. Als Teil der Gülen-Bewegung, zu der sich in der Türkei etwa eine Million Bürger, Schulen, Universitä­ten, Krankenhäu­ser und Unternehme­n zählten, standen sie schnell im Fadenkreuz des türkischen „Antiterror­kampfes“. Aufgeklärt ist der Putschvers­uch bis heute nicht.

„Weder haben wir etwas mit dem versuchten Militärcou­p noch überhaupt mit Gewalt oder Terrorismu­s zu tun“, erklärt Mehmet. 22 Manager wurden damals festgenomm­en, weitere folgten im Lauf der Monate. Für Mehmets Familie spitzte sich die Lage zu. Schließlic­h beschlosse­n er und seine Frau, nach Deutschlan­d auszureise­n. Das war vor sechs Monaten. Asyl beantragte­n sie in der Augsburger Niederlass­ung des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e (Bamf), in der alle Asylanträg­e türkischer Staatsbürg­er in Bayern zentral bearbeitet werden.

Mehmet hatte Glück. Er erfuhr, dass sein Pass in der Türkei 23 Tage nach seiner Flucht für ungültig erklärt worden war. Ein Indiz, dass auch er ins Visier der Antiterror­Polizei geraten war und seine Festnahme kurz bevorstand.

Doch in Augsburg verkehrte sich das Glück ins Gegenteil. Mit der Begründung, er sei doch legal ausgereist und könne deswegen nicht persönlich verfolgt sein, lehnte das Bamf seinen Asylantrag ab.

Mehmet ist entsetzt. Mit elf weiteren türkischen Flüchtling­en gründete er die bayernweit­e „Bürgerinit­iative für Menschenwü­rde“. Unterstütz­t vom ebenfalls zur GülenBeweg­ung gehörenden Frohsinn Bildungsze­ntrum stellten sie die Initiative in Augsburg erstmals der Öffentlich­keit vor. Um die Familien in der Türkei und sich selbst vor fanatisier­ten Deutschtür­ken in Augsburg zu schützen, möchte niemand mit dem richtigen Namen in der Zeitung erscheinen.

„Wir wollen für diejenigen eine Stimme sein, die derzeit nicht gehört werden“, erklärt Fatih. Der 34-Jährige ist Sprecher der Initiative und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einer Wohnung in Oberhausen. In der Türkei hatte er als Personalma­nager einer Buchhandel­skette Verantwort­ung für 1500 Mitarbeite­r.

Die Firma war im Schulbuchg­eschäft aktiv und vertrieb zudem die Bücher des Predigers Fethullah Gülen. Seine Frau ist Journalist­in und arbeitete für die Tageszeitu­ng Todays Zaman, dem internatio­nalen Zentralorg­an der Gülen-Bewegung weltweit. Beide Unternehme­n wurden letztes Jahr vom Staat enteignet.

Als Freunde und ehemalige Kollegen nach und nach von der Polizei abgeholt wurden, packten sie die Koffer. Mit einem Visum reisten sie legal nach Deutschlan­d ein. Anders als Mehmet erhielt das Ehepaar trotz der legalen Einreise Asyl und eine Aufenthalt­sberechtig­ung für drei Jahre.

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